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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Schnurrbart auf den zarten Lippen, der mit den weichen feinen Zügen
des Antlitzes nicht eben Hannoniren wollte. Meine Herrn! sagte
dieser Hermaphrodit in gutem Französisch und mit dem Anstande
eines Cavaliers, ich bitte um Ihren Schutz!

-- Soll Ihnen werden, schöne Dame! lachte der Reichsgraf
und faßte sie sanft um die Hüfte. Sie riß sich von ihm los und
trat in martialischer Haltung einen Schritt zurück. Chevalier d'Eon!
sagte der weibliche Mann oder das männliche Weib, Dragonercapi-
tain Sr. Majestät des Königs von Frankreich, Secretair bei der
französischen Gesandtschaft in Se. Petersburg. Mit Depeschen meines
Hofes versehen, bin ich auf der Reise nach dem hohen Norden be¬
griffen. Meine Verbindungen mit dem Bunde, der hier seine Ver¬
sammlungen hält, verschafften mir heut Nacht Zutritt und ich benutzte
die Erlaubniß, nicht ahnend, welchen Gräueln man hier im Lande
der Barbaren ausgesetzt ist. In welcher Tracht ich einhergehe, wird
Jedermann gleichgiltig sein. Man hat mir das Oberkleid von den
Schultern gezogen, man hat meine Freiheit verletzt, meine Ehre ge¬
kränkt. Ich fordere unbedingten Respect, oder ich erkläre vor dem
diplomatischen Corps von Europa meinen Monarchen in meiner
Person sür beleidigt! Der Chevalier überreichte dem Reichsgrafen aus
seiner Brieftasche ein Papier. Diesem genügte ein einziger Blick, es
ihm unter Betheuerungen, daß ihm aller Schutz und jede Ehrenbe¬
zeugung zu Theil werden solle, wieder zuzustellen. Er gab dem Che¬
valier das Geleit bis zur Thür des Hauses, wo dessen Equipage
hielt. Wir sahen uns scheu an und wußten uns die Farce nicht
recht zu deuten. Hatte hier die Laune der Pompadour einen Mann
zum Weibe, oder ein Weib zum Manne gemacht? Sollte eine Fa-
vorite als Diplomat an Katharinens Hofe intriguiren, oder welche
Verwirrung der Geschlechter war hier im Spiel? Mittlerweile war
der Reichsgraf wieder in den Saal getreten und schüttete über den
Vorfall mit schallender Stimme ein Gelächter aus, an dem wir Alle
Theil nehmen mußten und das der homerischen Heiterkeit der Un¬
sterblichen im Olymp Nichts nachgab.

Damit endete die seltsame Faschingsnacht in der Jacobspfarre
zu Nürnberg. Pastor Dreykorn, den ich schon seit Beginn der Feier¬
lichkeiten vermißt hatte, war in den äußern Gängen des Hauses ge¬
fangen genommen und in seine Zimmer abgeführt. Er war der


Schnurrbart auf den zarten Lippen, der mit den weichen feinen Zügen
des Antlitzes nicht eben Hannoniren wollte. Meine Herrn! sagte
dieser Hermaphrodit in gutem Französisch und mit dem Anstande
eines Cavaliers, ich bitte um Ihren Schutz!

— Soll Ihnen werden, schöne Dame! lachte der Reichsgraf
und faßte sie sanft um die Hüfte. Sie riß sich von ihm los und
trat in martialischer Haltung einen Schritt zurück. Chevalier d'Eon!
sagte der weibliche Mann oder das männliche Weib, Dragonercapi-
tain Sr. Majestät des Königs von Frankreich, Secretair bei der
französischen Gesandtschaft in Se. Petersburg. Mit Depeschen meines
Hofes versehen, bin ich auf der Reise nach dem hohen Norden be¬
griffen. Meine Verbindungen mit dem Bunde, der hier seine Ver¬
sammlungen hält, verschafften mir heut Nacht Zutritt und ich benutzte
die Erlaubniß, nicht ahnend, welchen Gräueln man hier im Lande
der Barbaren ausgesetzt ist. In welcher Tracht ich einhergehe, wird
Jedermann gleichgiltig sein. Man hat mir das Oberkleid von den
Schultern gezogen, man hat meine Freiheit verletzt, meine Ehre ge¬
kränkt. Ich fordere unbedingten Respect, oder ich erkläre vor dem
diplomatischen Corps von Europa meinen Monarchen in meiner
Person sür beleidigt! Der Chevalier überreichte dem Reichsgrafen aus
seiner Brieftasche ein Papier. Diesem genügte ein einziger Blick, es
ihm unter Betheuerungen, daß ihm aller Schutz und jede Ehrenbe¬
zeugung zu Theil werden solle, wieder zuzustellen. Er gab dem Che¬
valier das Geleit bis zur Thür des Hauses, wo dessen Equipage
hielt. Wir sahen uns scheu an und wußten uns die Farce nicht
recht zu deuten. Hatte hier die Laune der Pompadour einen Mann
zum Weibe, oder ein Weib zum Manne gemacht? Sollte eine Fa-
vorite als Diplomat an Katharinens Hofe intriguiren, oder welche
Verwirrung der Geschlechter war hier im Spiel? Mittlerweile war
der Reichsgraf wieder in den Saal getreten und schüttete über den
Vorfall mit schallender Stimme ein Gelächter aus, an dem wir Alle
Theil nehmen mußten und das der homerischen Heiterkeit der Un¬
sterblichen im Olymp Nichts nachgab.

Damit endete die seltsame Faschingsnacht in der Jacobspfarre
zu Nürnberg. Pastor Dreykorn, den ich schon seit Beginn der Feier¬
lichkeiten vermißt hatte, war in den äußern Gängen des Hauses ge¬
fangen genommen und in seine Zimmer abgeführt. Er war der


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[0414] Schnurrbart auf den zarten Lippen, der mit den weichen feinen Zügen des Antlitzes nicht eben Hannoniren wollte. Meine Herrn! sagte dieser Hermaphrodit in gutem Französisch und mit dem Anstande eines Cavaliers, ich bitte um Ihren Schutz! — Soll Ihnen werden, schöne Dame! lachte der Reichsgraf und faßte sie sanft um die Hüfte. Sie riß sich von ihm los und trat in martialischer Haltung einen Schritt zurück. Chevalier d'Eon! sagte der weibliche Mann oder das männliche Weib, Dragonercapi- tain Sr. Majestät des Königs von Frankreich, Secretair bei der französischen Gesandtschaft in Se. Petersburg. Mit Depeschen meines Hofes versehen, bin ich auf der Reise nach dem hohen Norden be¬ griffen. Meine Verbindungen mit dem Bunde, der hier seine Ver¬ sammlungen hält, verschafften mir heut Nacht Zutritt und ich benutzte die Erlaubniß, nicht ahnend, welchen Gräueln man hier im Lande der Barbaren ausgesetzt ist. In welcher Tracht ich einhergehe, wird Jedermann gleichgiltig sein. Man hat mir das Oberkleid von den Schultern gezogen, man hat meine Freiheit verletzt, meine Ehre ge¬ kränkt. Ich fordere unbedingten Respect, oder ich erkläre vor dem diplomatischen Corps von Europa meinen Monarchen in meiner Person sür beleidigt! Der Chevalier überreichte dem Reichsgrafen aus seiner Brieftasche ein Papier. Diesem genügte ein einziger Blick, es ihm unter Betheuerungen, daß ihm aller Schutz und jede Ehrenbe¬ zeugung zu Theil werden solle, wieder zuzustellen. Er gab dem Che¬ valier das Geleit bis zur Thür des Hauses, wo dessen Equipage hielt. Wir sahen uns scheu an und wußten uns die Farce nicht recht zu deuten. Hatte hier die Laune der Pompadour einen Mann zum Weibe, oder ein Weib zum Manne gemacht? Sollte eine Fa- vorite als Diplomat an Katharinens Hofe intriguiren, oder welche Verwirrung der Geschlechter war hier im Spiel? Mittlerweile war der Reichsgraf wieder in den Saal getreten und schüttete über den Vorfall mit schallender Stimme ein Gelächter aus, an dem wir Alle Theil nehmen mußten und das der homerischen Heiterkeit der Un¬ sterblichen im Olymp Nichts nachgab. Damit endete die seltsame Faschingsnacht in der Jacobspfarre zu Nürnberg. Pastor Dreykorn, den ich schon seit Beginn der Feier¬ lichkeiten vermißt hatte, war in den äußern Gängen des Hauses ge¬ fangen genommen und in seine Zimmer abgeführt. Er war der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/414>, abgerufen am 22.07.2024.