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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Nostradamuö der neuen Loge! Er schwieg und unterdrückte auch
das Lachen, zu dem er sich aufgelegt fühlte. Er schien den Mann
zu kennen; vielleicht sah er in ihm den alchymistischen Künstler wie¬
der, der ihm die Schmeljtiegel verwechselte und den er zum Lob"
dafür neulich die Treppe hinunterwarf. Ich meinestheils kannte die¬
sen Magier aus meiner Heimath, wenn auch unter anderm Namen.
San Germano, ein kleiner Flecken in Piemont, war, soviel ich wußte,
sein Heimathsort, nach welchem er sich jetzt, wie es schien, das Gra¬
fenwappen ausgestellt und vielleicht in seinem wunderbaren Schmelz¬
tiegel angefertigt hatte.

-- Hier ist das Frauenzimmer, meine Herrn! rief einer der
Stadtsoldaten und zerrte aus dem zerschmetterten Kelch der Lotos¬
blume unter Gardinen und Vorhängen wirklich eine weibliche, in
dünne Gaze gehüllte Gestalt hervor. Die Dame bedeckte sich, so gut
eS ging, mit Tüchern und Hüllen und gab eine dürftige Erscheinung
ab, als man sie jetzt mit herbeigeholten Kerzen beleuchtete. Die
Pythia der Rosenkreuzer! flüsterte der Reichsgraf dem erschrockenen
Prinzen in's Ohr. Ich glaubte jene Rosette zu sehen, die mich im
Dunkeln für ihren Filippo gehalten. Mit welchen Zauberkünsten sie
die phantasmagorischen Gestalten in der Luft hervorgerufen, ließ sich
aus all den halbzerstörten Apparaten erkennen, die mit dem Zusam¬
menbrechen der Zaubermaschincn zu unsern Füßen lagen.

-- Ew. Erlaucht entschuldigen! sagte der Befehlshaber der Stadt¬
wache zum Reichsgrafen; gehört dies Frauenzimmer auch zum Inven¬
tar der Loge, die Se. Durchlaucht hier abgehalten?

-- Meine Schwester! sagte Se. Germain zum Prinzen.

-- Ja wohl, erwiederte der Reichsgraf mit seinem ganzen
Humor dem Fragenden; wir Freimaurer haben zu Zeiten wie die
Reichsarmee unsere Bagagemädchen und Marketenderinnen.

-- Halt! halt! hier ist noch eine Schleppe! schrien jetzt Stimmen
aus dem Hintergrunde. Die Inquisition schien einigen Uebermüthi-
gen Vergnügen zu machen. In demselben Augenblicke, wie wir uns
auf den Hilferuf einer feinen Stimme nach der Gegend wandten,
sprang ein seltsames Wesen mit flatterndem Haar, ohne Kopfputz,
auf uns zu. Ueber den fliegenden Gewändern der Dame saß zu
unserm Erstaunen die Uniform eines Reiters, und um die Verwir¬
rung der ganzen Gestalt zu vollenden, prangte ein schöner schwarzer


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Nostradamuö der neuen Loge! Er schwieg und unterdrückte auch
das Lachen, zu dem er sich aufgelegt fühlte. Er schien den Mann
zu kennen; vielleicht sah er in ihm den alchymistischen Künstler wie¬
der, der ihm die Schmeljtiegel verwechselte und den er zum Lob»
dafür neulich die Treppe hinunterwarf. Ich meinestheils kannte die¬
sen Magier aus meiner Heimath, wenn auch unter anderm Namen.
San Germano, ein kleiner Flecken in Piemont, war, soviel ich wußte,
sein Heimathsort, nach welchem er sich jetzt, wie es schien, das Gra¬
fenwappen ausgestellt und vielleicht in seinem wunderbaren Schmelz¬
tiegel angefertigt hatte.

— Hier ist das Frauenzimmer, meine Herrn! rief einer der
Stadtsoldaten und zerrte aus dem zerschmetterten Kelch der Lotos¬
blume unter Gardinen und Vorhängen wirklich eine weibliche, in
dünne Gaze gehüllte Gestalt hervor. Die Dame bedeckte sich, so gut
eS ging, mit Tüchern und Hüllen und gab eine dürftige Erscheinung
ab, als man sie jetzt mit herbeigeholten Kerzen beleuchtete. Die
Pythia der Rosenkreuzer! flüsterte der Reichsgraf dem erschrockenen
Prinzen in's Ohr. Ich glaubte jene Rosette zu sehen, die mich im
Dunkeln für ihren Filippo gehalten. Mit welchen Zauberkünsten sie
die phantasmagorischen Gestalten in der Luft hervorgerufen, ließ sich
aus all den halbzerstörten Apparaten erkennen, die mit dem Zusam¬
menbrechen der Zaubermaschincn zu unsern Füßen lagen.

— Ew. Erlaucht entschuldigen! sagte der Befehlshaber der Stadt¬
wache zum Reichsgrafen; gehört dies Frauenzimmer auch zum Inven¬
tar der Loge, die Se. Durchlaucht hier abgehalten?

— Meine Schwester! sagte Se. Germain zum Prinzen.

— Ja wohl, erwiederte der Reichsgraf mit seinem ganzen
Humor dem Fragenden; wir Freimaurer haben zu Zeiten wie die
Reichsarmee unsere Bagagemädchen und Marketenderinnen.

— Halt! halt! hier ist noch eine Schleppe! schrien jetzt Stimmen
aus dem Hintergrunde. Die Inquisition schien einigen Uebermüthi-
gen Vergnügen zu machen. In demselben Augenblicke, wie wir uns
auf den Hilferuf einer feinen Stimme nach der Gegend wandten,
sprang ein seltsames Wesen mit flatterndem Haar, ohne Kopfputz,
auf uns zu. Ueber den fliegenden Gewändern der Dame saß zu
unserm Erstaunen die Uniform eines Reiters, und um die Verwir¬
rung der ganzen Gestalt zu vollenden, prangte ein schöner schwarzer


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[0413] Nostradamuö der neuen Loge! Er schwieg und unterdrückte auch das Lachen, zu dem er sich aufgelegt fühlte. Er schien den Mann zu kennen; vielleicht sah er in ihm den alchymistischen Künstler wie¬ der, der ihm die Schmeljtiegel verwechselte und den er zum Lob» dafür neulich die Treppe hinunterwarf. Ich meinestheils kannte die¬ sen Magier aus meiner Heimath, wenn auch unter anderm Namen. San Germano, ein kleiner Flecken in Piemont, war, soviel ich wußte, sein Heimathsort, nach welchem er sich jetzt, wie es schien, das Gra¬ fenwappen ausgestellt und vielleicht in seinem wunderbaren Schmelz¬ tiegel angefertigt hatte. — Hier ist das Frauenzimmer, meine Herrn! rief einer der Stadtsoldaten und zerrte aus dem zerschmetterten Kelch der Lotos¬ blume unter Gardinen und Vorhängen wirklich eine weibliche, in dünne Gaze gehüllte Gestalt hervor. Die Dame bedeckte sich, so gut eS ging, mit Tüchern und Hüllen und gab eine dürftige Erscheinung ab, als man sie jetzt mit herbeigeholten Kerzen beleuchtete. Die Pythia der Rosenkreuzer! flüsterte der Reichsgraf dem erschrockenen Prinzen in's Ohr. Ich glaubte jene Rosette zu sehen, die mich im Dunkeln für ihren Filippo gehalten. Mit welchen Zauberkünsten sie die phantasmagorischen Gestalten in der Luft hervorgerufen, ließ sich aus all den halbzerstörten Apparaten erkennen, die mit dem Zusam¬ menbrechen der Zaubermaschincn zu unsern Füßen lagen. — Ew. Erlaucht entschuldigen! sagte der Befehlshaber der Stadt¬ wache zum Reichsgrafen; gehört dies Frauenzimmer auch zum Inven¬ tar der Loge, die Se. Durchlaucht hier abgehalten? — Meine Schwester! sagte Se. Germain zum Prinzen. — Ja wohl, erwiederte der Reichsgraf mit seinem ganzen Humor dem Fragenden; wir Freimaurer haben zu Zeiten wie die Reichsarmee unsere Bagagemädchen und Marketenderinnen. — Halt! halt! hier ist noch eine Schleppe! schrien jetzt Stimmen aus dem Hintergrunde. Die Inquisition schien einigen Uebermüthi- gen Vergnügen zu machen. In demselben Augenblicke, wie wir uns auf den Hilferuf einer feinen Stimme nach der Gegend wandten, sprang ein seltsames Wesen mit flatterndem Haar, ohne Kopfputz, auf uns zu. Ueber den fliegenden Gewändern der Dame saß zu unserm Erstaunen die Uniform eines Reiters, und um die Verwir¬ rung der ganzen Gestalt zu vollenden, prangte ein schöner schwarzer 52»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/413>, abgerufen am 23.07.2024.