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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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mein Sohn Giuseppe, den mir der Haß finstrer Priester geraubt!
Im Taumel der Freude nahm ich das Bild für lebendige Gegen¬
wart.

-- Halt! donnerte eine Stimme an mein Ohr; im Name" der
Kirche Gottes thu' ich Einspruch in diesen Trug, in diese Lüge, die
sich den Schein der Wahrheit gibt! Aus den Reihen der Versamm¬
lung sprang mir ein Mann entgegen und ergriff mit beiden Händen
meinen ausgestreckten Arm. Die Erscheinung über der Lotosblume
verschwand, mit einem Pistolenschuß war die Rotunde plötzlich wie¬
derum erhellt. In dem Fremden, der sich an mich wagte, erkannte
ich den Geistlichen, der sich den Tag zuvor im Hause des Senators
an mich drängte. Ein Priester der römischen Kirche! rief ich und
schleuderte ihn von mir. In dem Gesicht des Mannes loderte der
ganze Groll des Fanatismus. Er nannte mich bei meinem wirklichen
Namen. Der Inquisition verfallen, sprach er, als Gottesläugner den
Kirchenstrafen entflohen, wagt Ihr es, die heilige Kirche zu lästern?

-- Wer sitzt hier zu Gericht? fragt' ich und sah mich im Kreise
Am. Keine Antwort unterbrach die lautlose Stille. Ich stehe hier
unter freien Männern und vor dem Forum der Menschheit will ich
meine Stimme erheben. Nicht die Kirche, Priester Roms, nein, Die¬
jenigen, die hinter ihrem Deckmantel ihren eignen Zwecken dienen,
klag' ich der Verrätherei und der Verletzung meiner heiligsten Rechte
an; denselben Orden, der den Namen des Herrn trägt und schon oft
genug seinen Geist verläugnete!

Der Priester trat in die Mitte des Saales. Sein Auge hielt Muste¬
rung und begegnete manchem scheuen Blick. -- Bin ich hier, sprach er
mit dem ganzen Ausbruch seines Zorns, in der Versammlung von Män¬
nern, die es sich zum Zweck gesetzt, den Glauben der Kirche in seiner Rein¬
heit festzuhalten, hier, wo man sie ungestraft verletzen darf? Ich frage im
Namen des Kardinals, meines erlauchten Prinzen und Herrn, in dessen
Namen ich der Sitzung der Loge beigewohnt! Auf das allgemeine
Schweigen der Versammlung löste er Gürtel und Binde rasch von seinem
Leibe, legte sie zu den Füßen des Großmeisters nieder und eilte mit
flatterndem Gewände durch die eine lecrgebliebene Halle. Noch ehe
die Versammlung sich von ihrem Erstaunen erholte, war er durch die
Thür verschwunden. Ein allgemeiner Tumult schien auszubrechen.
Wir sind von geheimen Spähern belauscht! Rom hat seine Spione


mein Sohn Giuseppe, den mir der Haß finstrer Priester geraubt!
Im Taumel der Freude nahm ich das Bild für lebendige Gegen¬
wart.

— Halt! donnerte eine Stimme an mein Ohr; im Name» der
Kirche Gottes thu' ich Einspruch in diesen Trug, in diese Lüge, die
sich den Schein der Wahrheit gibt! Aus den Reihen der Versamm¬
lung sprang mir ein Mann entgegen und ergriff mit beiden Händen
meinen ausgestreckten Arm. Die Erscheinung über der Lotosblume
verschwand, mit einem Pistolenschuß war die Rotunde plötzlich wie¬
derum erhellt. In dem Fremden, der sich an mich wagte, erkannte
ich den Geistlichen, der sich den Tag zuvor im Hause des Senators
an mich drängte. Ein Priester der römischen Kirche! rief ich und
schleuderte ihn von mir. In dem Gesicht des Mannes loderte der
ganze Groll des Fanatismus. Er nannte mich bei meinem wirklichen
Namen. Der Inquisition verfallen, sprach er, als Gottesläugner den
Kirchenstrafen entflohen, wagt Ihr es, die heilige Kirche zu lästern?

— Wer sitzt hier zu Gericht? fragt' ich und sah mich im Kreise
Am. Keine Antwort unterbrach die lautlose Stille. Ich stehe hier
unter freien Männern und vor dem Forum der Menschheit will ich
meine Stimme erheben. Nicht die Kirche, Priester Roms, nein, Die¬
jenigen, die hinter ihrem Deckmantel ihren eignen Zwecken dienen,
klag' ich der Verrätherei und der Verletzung meiner heiligsten Rechte
an; denselben Orden, der den Namen des Herrn trägt und schon oft
genug seinen Geist verläugnete!

Der Priester trat in die Mitte des Saales. Sein Auge hielt Muste¬
rung und begegnete manchem scheuen Blick. — Bin ich hier, sprach er
mit dem ganzen Ausbruch seines Zorns, in der Versammlung von Män¬
nern, die es sich zum Zweck gesetzt, den Glauben der Kirche in seiner Rein¬
heit festzuhalten, hier, wo man sie ungestraft verletzen darf? Ich frage im
Namen des Kardinals, meines erlauchten Prinzen und Herrn, in dessen
Namen ich der Sitzung der Loge beigewohnt! Auf das allgemeine
Schweigen der Versammlung löste er Gürtel und Binde rasch von seinem
Leibe, legte sie zu den Füßen des Großmeisters nieder und eilte mit
flatterndem Gewände durch die eine lecrgebliebene Halle. Noch ehe
die Versammlung sich von ihrem Erstaunen erholte, war er durch die
Thür verschwunden. Ein allgemeiner Tumult schien auszubrechen.
Wir sind von geheimen Spähern belauscht! Rom hat seine Spione


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[0408] mein Sohn Giuseppe, den mir der Haß finstrer Priester geraubt! Im Taumel der Freude nahm ich das Bild für lebendige Gegen¬ wart. — Halt! donnerte eine Stimme an mein Ohr; im Name» der Kirche Gottes thu' ich Einspruch in diesen Trug, in diese Lüge, die sich den Schein der Wahrheit gibt! Aus den Reihen der Versamm¬ lung sprang mir ein Mann entgegen und ergriff mit beiden Händen meinen ausgestreckten Arm. Die Erscheinung über der Lotosblume verschwand, mit einem Pistolenschuß war die Rotunde plötzlich wie¬ derum erhellt. In dem Fremden, der sich an mich wagte, erkannte ich den Geistlichen, der sich den Tag zuvor im Hause des Senators an mich drängte. Ein Priester der römischen Kirche! rief ich und schleuderte ihn von mir. In dem Gesicht des Mannes loderte der ganze Groll des Fanatismus. Er nannte mich bei meinem wirklichen Namen. Der Inquisition verfallen, sprach er, als Gottesläugner den Kirchenstrafen entflohen, wagt Ihr es, die heilige Kirche zu lästern? — Wer sitzt hier zu Gericht? fragt' ich und sah mich im Kreise Am. Keine Antwort unterbrach die lautlose Stille. Ich stehe hier unter freien Männern und vor dem Forum der Menschheit will ich meine Stimme erheben. Nicht die Kirche, Priester Roms, nein, Die¬ jenigen, die hinter ihrem Deckmantel ihren eignen Zwecken dienen, klag' ich der Verrätherei und der Verletzung meiner heiligsten Rechte an; denselben Orden, der den Namen des Herrn trägt und schon oft genug seinen Geist verläugnete! Der Priester trat in die Mitte des Saales. Sein Auge hielt Muste¬ rung und begegnete manchem scheuen Blick. — Bin ich hier, sprach er mit dem ganzen Ausbruch seines Zorns, in der Versammlung von Män¬ nern, die es sich zum Zweck gesetzt, den Glauben der Kirche in seiner Rein¬ heit festzuhalten, hier, wo man sie ungestraft verletzen darf? Ich frage im Namen des Kardinals, meines erlauchten Prinzen und Herrn, in dessen Namen ich der Sitzung der Loge beigewohnt! Auf das allgemeine Schweigen der Versammlung löste er Gürtel und Binde rasch von seinem Leibe, legte sie zu den Füßen des Großmeisters nieder und eilte mit flatterndem Gewände durch die eine lecrgebliebene Halle. Noch ehe die Versammlung sich von ihrem Erstaunen erholte, war er durch die Thür verschwunden. Ein allgemeiner Tumult schien auszubrechen. Wir sind von geheimen Spähern belauscht! Rom hat seine Spione

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/408>, abgerufen am 01.07.2024.