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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Er reichte mir die Rechte und wir wechselten die Zeichen des Bun¬
des. Hand in Hand mit ihm trat ich die Stufen wieder hinauf
und jetzt galt es, eine Frage an das Schicksal zu thun, auf die uns
Antwort werden sollte. Der Großmeister rief meinen Namen aus.
Nicht ohne Bangigkeit nahm ich das Wort. Ein Fremdling, sprach
ich, steh' ich hier fern von dem theuern Boden, der mich gebar. Es
hat so mein Loos sein sollen, daß ich flüchtig wurde. Am Fuße einer
Berggegend Italiens liegt mein Heimathland. In den Höhlen und
Schluchten jener Berge Hausen Menschen, die die Mutterkirche Un¬
gläubige und Ketzer schilt. Aber mit dem Schicksal meines Hauses
ist der Geist jener Berge eng verflochten. In jedem Jahrhundert,
fast in jedem Menschenalter war es ein Mädchen aus jenem Hirten¬
volk, das als Mutter eines neuen Geschlechts in die Hallen meiner
Väter zog. Auch ich entging dem Zauber nicht, der meine Altvor¬
dern an jene Kinder der Natur geheimnißvoll zu fesseln schien. Ein
Mädchen ward mein und sie folgte mir aus ihren Alpenthälern hin¬
unter in die Ebene und ward mein Weib. In der Liebe zu mir er¬
wuchs ohne Zwang, frei und in eigner schöner Willenskraft der Glaube
meiner Kirche in ihrem kindlichen Herzen. Mein Gebet ward auch
das ihre, theilte sie doch Gedanken und Gefühl mit mir. Aus Liebe
zu mir ward sie römisch gläubig und so schien der alte Fluch meines
Hauses gesühnt, der alte Fluch, daß der Geist der Ketzerei immer
wieder von den Bergen herab Einkehr halte im Schloß meiner Väter.
Ich glaubte an keinen Fluch, ich fühlte nur Glück und Segen. Aber
die feine Weisheit einiger frommen Schüler Loyola's deutete uns an¬
ders die Lage der Sache. Mein Weib war gläubig geworden; aber,
sagten die ehrwürdigen Väter, der Geist der Ketzerei ist in ihn über¬
gegangen, in ihn, dem zu Liebe sie römische Christin wurde. Dieser
Seelenaustausch, sagten die Schüler Loyola's, ist schlimmer als der
alte Fluch Ich kümmerte mich wenig um die Satzung der Men¬
schen; der Gott in mir sprach mich frei von der Anklage eines Ab¬
falls von ihm. Mein Weib starb bald, nachdem sie einen Knaben
geboren. Auch der Knabe starb, ein blühendes Kind, sehr plötzlich.
Mein Verdacht, es sei durch tückische Mittel beseitigt, war ungegrün¬
det, aber ein anderer Argwohn, das todte Kind, das ich, aus der
Ferne nach der Heimath zurückkehrend, in der Gruft meines Schlosses
fand, sei nicht das meine, das echte sei geraubt, ist in mir wach ge-


Er reichte mir die Rechte und wir wechselten die Zeichen des Bun¬
des. Hand in Hand mit ihm trat ich die Stufen wieder hinauf
und jetzt galt es, eine Frage an das Schicksal zu thun, auf die uns
Antwort werden sollte. Der Großmeister rief meinen Namen aus.
Nicht ohne Bangigkeit nahm ich das Wort. Ein Fremdling, sprach
ich, steh' ich hier fern von dem theuern Boden, der mich gebar. Es
hat so mein Loos sein sollen, daß ich flüchtig wurde. Am Fuße einer
Berggegend Italiens liegt mein Heimathland. In den Höhlen und
Schluchten jener Berge Hausen Menschen, die die Mutterkirche Un¬
gläubige und Ketzer schilt. Aber mit dem Schicksal meines Hauses
ist der Geist jener Berge eng verflochten. In jedem Jahrhundert,
fast in jedem Menschenalter war es ein Mädchen aus jenem Hirten¬
volk, das als Mutter eines neuen Geschlechts in die Hallen meiner
Väter zog. Auch ich entging dem Zauber nicht, der meine Altvor¬
dern an jene Kinder der Natur geheimnißvoll zu fesseln schien. Ein
Mädchen ward mein und sie folgte mir aus ihren Alpenthälern hin¬
unter in die Ebene und ward mein Weib. In der Liebe zu mir er¬
wuchs ohne Zwang, frei und in eigner schöner Willenskraft der Glaube
meiner Kirche in ihrem kindlichen Herzen. Mein Gebet ward auch
das ihre, theilte sie doch Gedanken und Gefühl mit mir. Aus Liebe
zu mir ward sie römisch gläubig und so schien der alte Fluch meines
Hauses gesühnt, der alte Fluch, daß der Geist der Ketzerei immer
wieder von den Bergen herab Einkehr halte im Schloß meiner Väter.
Ich glaubte an keinen Fluch, ich fühlte nur Glück und Segen. Aber
die feine Weisheit einiger frommen Schüler Loyola's deutete uns an¬
ders die Lage der Sache. Mein Weib war gläubig geworden; aber,
sagten die ehrwürdigen Väter, der Geist der Ketzerei ist in ihn über¬
gegangen, in ihn, dem zu Liebe sie römische Christin wurde. Dieser
Seelenaustausch, sagten die Schüler Loyola's, ist schlimmer als der
alte Fluch Ich kümmerte mich wenig um die Satzung der Men¬
schen; der Gott in mir sprach mich frei von der Anklage eines Ab¬
falls von ihm. Mein Weib starb bald, nachdem sie einen Knaben
geboren. Auch der Knabe starb, ein blühendes Kind, sehr plötzlich.
Mein Verdacht, es sei durch tückische Mittel beseitigt, war ungegrün¬
det, aber ein anderer Argwohn, das todte Kind, das ich, aus der
Ferne nach der Heimath zurückkehrend, in der Gruft meines Schlosses
fand, sei nicht das meine, das echte sei geraubt, ist in mir wach ge-


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[0406] Er reichte mir die Rechte und wir wechselten die Zeichen des Bun¬ des. Hand in Hand mit ihm trat ich die Stufen wieder hinauf und jetzt galt es, eine Frage an das Schicksal zu thun, auf die uns Antwort werden sollte. Der Großmeister rief meinen Namen aus. Nicht ohne Bangigkeit nahm ich das Wort. Ein Fremdling, sprach ich, steh' ich hier fern von dem theuern Boden, der mich gebar. Es hat so mein Loos sein sollen, daß ich flüchtig wurde. Am Fuße einer Berggegend Italiens liegt mein Heimathland. In den Höhlen und Schluchten jener Berge Hausen Menschen, die die Mutterkirche Un¬ gläubige und Ketzer schilt. Aber mit dem Schicksal meines Hauses ist der Geist jener Berge eng verflochten. In jedem Jahrhundert, fast in jedem Menschenalter war es ein Mädchen aus jenem Hirten¬ volk, das als Mutter eines neuen Geschlechts in die Hallen meiner Väter zog. Auch ich entging dem Zauber nicht, der meine Altvor¬ dern an jene Kinder der Natur geheimnißvoll zu fesseln schien. Ein Mädchen ward mein und sie folgte mir aus ihren Alpenthälern hin¬ unter in die Ebene und ward mein Weib. In der Liebe zu mir er¬ wuchs ohne Zwang, frei und in eigner schöner Willenskraft der Glaube meiner Kirche in ihrem kindlichen Herzen. Mein Gebet ward auch das ihre, theilte sie doch Gedanken und Gefühl mit mir. Aus Liebe zu mir ward sie römisch gläubig und so schien der alte Fluch meines Hauses gesühnt, der alte Fluch, daß der Geist der Ketzerei immer wieder von den Bergen herab Einkehr halte im Schloß meiner Väter. Ich glaubte an keinen Fluch, ich fühlte nur Glück und Segen. Aber die feine Weisheit einiger frommen Schüler Loyola's deutete uns an¬ ders die Lage der Sache. Mein Weib war gläubig geworden; aber, sagten die ehrwürdigen Väter, der Geist der Ketzerei ist in ihn über¬ gegangen, in ihn, dem zu Liebe sie römische Christin wurde. Dieser Seelenaustausch, sagten die Schüler Loyola's, ist schlimmer als der alte Fluch Ich kümmerte mich wenig um die Satzung der Men¬ schen; der Gott in mir sprach mich frei von der Anklage eines Ab¬ falls von ihm. Mein Weib starb bald, nachdem sie einen Knaben geboren. Auch der Knabe starb, ein blühendes Kind, sehr plötzlich. Mein Verdacht, es sei durch tückische Mittel beseitigt, war ungegrün¬ det, aber ein anderer Argwohn, das todte Kind, das ich, aus der Ferne nach der Heimath zurückkehrend, in der Gruft meines Schlosses fand, sei nicht das meine, das echte sei geraubt, ist in mir wach ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/406>, abgerufen am 26.06.2024.