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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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eigenen auf dem Markte anlangen. Wie! wenn ein Unglück gleich
am ersten Tage der fürchterlichen vier Handelswochen ein so armes
Geschöpf trifft? Sie hat nicht die Mittel abzureisen, die infame
Sklaventreiberin will ihre Auslagen nicht verlieren -- sie muß bleiben,
sie ist so schön, so verlockend. Und die eine Elende, wie viele Opfer
fallen ihr durch vier Wochen! Und nicht blos die leichtsinnige Man¬
nerjugend, sondern auch Familienvater, die vom heimathlichen Herd
entfernt, büßen einen Augenblick des Vergessens mit schwerer, vielleicht
unabwendbarer Strafe; die Messe, auf die sie durch Monate ihre
Hoffnung setzten, von der sie den Lohn ihres angestrengten Jahresflei¬
ßes, eine festere Begründung der Zukunft für Familie und Haus er¬
warteten, wird ihnen durch einen unbewachten Augenblick eine Quelle
des Verderbens. Ha, schreien die Zeloten, solche Sünder ereilt die
Rache mit Recht! Aber die Behörde einer Stadt, die ihr Bestehen
und ihren Reichthum jenen Fremden dankt, dem Fleiße, der unermüd¬
lichen Familiensorge, welche diese Sünder eines Moments (die oft zu
den edelsten und rechtlichsten Menschen gehören) in ihre Stadtmauern
führt, einer solchen Behörde steht es schlecht an, Rache unter ihren
Augen ausführen zu sehen. Ihre Aufgabe ist es, die Gäste zu schüz-
zen und vor Unglück zu wahren, nicht Gastfreundschaft blos hat sie
zu üben, sondern die Pflichten eines Wirthes, den seine Gaste nähren.
O über die Frommen, die vor lauter Sittlichkeit das Unsittlichste be¬
schützen. --

Was nun die hiesige Gesetzgebung betrifft, so finden die rolerirten
Tempel der Ausschweifung viele tadelnde Stimmen. Nicht nur weil
die Polizei dem niederträchtigen Handel, der dort geübt wird, eine ge¬
wissermaßen gesetzliche Sanction gibt, sondern weil die juridische Er¬
fahrung gelehrt hat, daß solche entartete Anstalten ein Herd der Ver¬
führung und systematische Schulen der Infamie sind. Sobald ein
solches Etablissement einmal besteht, so muß es, um seinen Bestand
zu sichern, immer neu sich recrutiren und welches Mittel schreckt wohl
die elenden Creaturen zurück, die solche Speculationen unternehmen?
Die armen Opfer, die in die Hände dieser Scelcnmäckler gefallen sind,
haben oft nur aus Verzweiflung den Schritt gethan, mit dem besten
Vorsatz: sobald ihre Schulden oder sonstige Verlegenheit vorüber wären,
den scheußlichen Ort zu fliehen. Aber ein fürchterlicher Contract er¬
würgt sie; sie sind dem Etablissement verfallen, ihre Zeit, ihre Ge¬
sundheit, ihre Schamhaftigkeit, Alles gehört ihm; es hat blos für
Nahrung und Kleidung zu sorgen und es wird ihm leicht, sein Opfer
durch kleine Geldvorschüsse für immer als dienenden Schuldner zu bin¬
den. Die Polizei gibt, sobald sie einem solchen Hause ein Patent er¬
theilt, diesem fürchterlichen Contracte gesetzliche Kraft. Dagegen erhebt
sich nun die Stimme der Socialisten! Mag sein -- sagen sie --
daß man die Prostitution dulden muß, da es kein besseres Mittel gibt.


eigenen auf dem Markte anlangen. Wie! wenn ein Unglück gleich
am ersten Tage der fürchterlichen vier Handelswochen ein so armes
Geschöpf trifft? Sie hat nicht die Mittel abzureisen, die infame
Sklaventreiberin will ihre Auslagen nicht verlieren — sie muß bleiben,
sie ist so schön, so verlockend. Und die eine Elende, wie viele Opfer
fallen ihr durch vier Wochen! Und nicht blos die leichtsinnige Man¬
nerjugend, sondern auch Familienvater, die vom heimathlichen Herd
entfernt, büßen einen Augenblick des Vergessens mit schwerer, vielleicht
unabwendbarer Strafe; die Messe, auf die sie durch Monate ihre
Hoffnung setzten, von der sie den Lohn ihres angestrengten Jahresflei¬
ßes, eine festere Begründung der Zukunft für Familie und Haus er¬
warteten, wird ihnen durch einen unbewachten Augenblick eine Quelle
des Verderbens. Ha, schreien die Zeloten, solche Sünder ereilt die
Rache mit Recht! Aber die Behörde einer Stadt, die ihr Bestehen
und ihren Reichthum jenen Fremden dankt, dem Fleiße, der unermüd¬
lichen Familiensorge, welche diese Sünder eines Moments (die oft zu
den edelsten und rechtlichsten Menschen gehören) in ihre Stadtmauern
führt, einer solchen Behörde steht es schlecht an, Rache unter ihren
Augen ausführen zu sehen. Ihre Aufgabe ist es, die Gäste zu schüz-
zen und vor Unglück zu wahren, nicht Gastfreundschaft blos hat sie
zu üben, sondern die Pflichten eines Wirthes, den seine Gaste nähren.
O über die Frommen, die vor lauter Sittlichkeit das Unsittlichste be¬
schützen. —

Was nun die hiesige Gesetzgebung betrifft, so finden die rolerirten
Tempel der Ausschweifung viele tadelnde Stimmen. Nicht nur weil
die Polizei dem niederträchtigen Handel, der dort geübt wird, eine ge¬
wissermaßen gesetzliche Sanction gibt, sondern weil die juridische Er¬
fahrung gelehrt hat, daß solche entartete Anstalten ein Herd der Ver¬
führung und systematische Schulen der Infamie sind. Sobald ein
solches Etablissement einmal besteht, so muß es, um seinen Bestand
zu sichern, immer neu sich recrutiren und welches Mittel schreckt wohl
die elenden Creaturen zurück, die solche Speculationen unternehmen?
Die armen Opfer, die in die Hände dieser Scelcnmäckler gefallen sind,
haben oft nur aus Verzweiflung den Schritt gethan, mit dem besten
Vorsatz: sobald ihre Schulden oder sonstige Verlegenheit vorüber wären,
den scheußlichen Ort zu fliehen. Aber ein fürchterlicher Contract er¬
würgt sie; sie sind dem Etablissement verfallen, ihre Zeit, ihre Ge¬
sundheit, ihre Schamhaftigkeit, Alles gehört ihm; es hat blos für
Nahrung und Kleidung zu sorgen und es wird ihm leicht, sein Opfer
durch kleine Geldvorschüsse für immer als dienenden Schuldner zu bin¬
den. Die Polizei gibt, sobald sie einem solchen Hause ein Patent er¬
theilt, diesem fürchterlichen Contracte gesetzliche Kraft. Dagegen erhebt
sich nun die Stimme der Socialisten! Mag sein — sagen sie —
daß man die Prostitution dulden muß, da es kein besseres Mittel gibt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/391>, abgerufen am 22.07.2024.