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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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seinem früheren Glauben untreu, jeder freisinnigen Erscheinung und
Richtung auf dem Gebiete der Geschichte und Religion Tod und
Verderben geschworen hat. Leo's Weltgeschichte ist von den Katho-
liken mit Jubel aufgenommen worden, bei Protestanten kann und
wird sie nie Anklang finden, weil sie gegen das protestantische Prin¬
zip gerichtet ist. Schlußlied weise ich noch auf Klemm's mit eben
so großem Fleiße, als Gelehrsamkeit geschriebene allgemeine Kultur¬
geschichte hin, deren dritter Band die Hirtenvölker der passiven Mensch¬
heit zum Vorwurf hat.

Die Geschichte des Alterthums ist stiefmütterlich weggekommen.
Ein einziger Deutscher hat das schon vielfach ausgebeutete Feld be¬
arbeitet, nämlich Drumann, welcher mit dem sechsten Bande seine
Geschichte Roms im Uebergange von der republikanischen zur monar¬
chischen Verfassung geschlossen hat. Dieses von Fleiß und Gelehr¬
samkeit strotzende Werk wird trotz seiner Schwerfälligkeit und Unge-
nießbarkeit eine Zierde historischer Quellenforschung bleiben, wenn
auch eine Menge von Hypothesen und neuen, oft einseitigen Auffas¬
sungen der Charaktere und Thatsachen von der Kritik zurückgewiesen
worden sind und noch werden. Uebrigens schließt Drumann's ge¬
lehrtes Werk keineswegs eine geistreiche Bearbeitung dieses Zeitrau¬
mes aus, macht sie sogar zum Bedürfniß. Ein zweites Werk über
römische Geschichte kommt uns aus England zu und wird ungerech¬
ter Weise eine Fortsetzung der Geschichte Niebuhr's genannt. Ein
Dr. Schmitz, Zuhörer Niebuhr's, hat es gewagt, die Vorlesungen
dieses unsterblichen Mannes zu veröffentlichen, Ist es an sich schon etwas
Gewagtes, die Vorlesungen eines Dritten zu veröffentlichen, so ist es um
so riskanter bei einem Geiste, wie Niebuhr, der seine Vorträge ganz frei
hielt und so schnell, und indem er vor Geist und Feuer seine kaum
ausgesprochenen Gedanken gleichsam überhüpfte, auch so unzusammen¬
hängend sprach, daß seine Schüler von seinem Vortrage zwar hinge¬
rissen wurden, aber nicht im Stande waren, denselben niederzuschrei¬
ben. Darum scheuten sich deutsche Gelehrte, Niebuhr's Vorlesungen
zu veröffentlichen, zumal der Meister diese Zeit nur theilweise erst
durchforscht hatte, wie aus ihnen selbst hervorgeht. Niebuhr's Geist
ist darin unverkennbar, aber die Skizzen sind nur kurz und mangel¬
haft und bewegen sich in gewaltigen Sprüngen. Zeiß in Weimar
überträgt sie in's Deutsche und Holländische mit Sorgfalt. Was


seinem früheren Glauben untreu, jeder freisinnigen Erscheinung und
Richtung auf dem Gebiete der Geschichte und Religion Tod und
Verderben geschworen hat. Leo's Weltgeschichte ist von den Katho-
liken mit Jubel aufgenommen worden, bei Protestanten kann und
wird sie nie Anklang finden, weil sie gegen das protestantische Prin¬
zip gerichtet ist. Schlußlied weise ich noch auf Klemm's mit eben
so großem Fleiße, als Gelehrsamkeit geschriebene allgemeine Kultur¬
geschichte hin, deren dritter Band die Hirtenvölker der passiven Mensch¬
heit zum Vorwurf hat.

Die Geschichte des Alterthums ist stiefmütterlich weggekommen.
Ein einziger Deutscher hat das schon vielfach ausgebeutete Feld be¬
arbeitet, nämlich Drumann, welcher mit dem sechsten Bande seine
Geschichte Roms im Uebergange von der republikanischen zur monar¬
chischen Verfassung geschlossen hat. Dieses von Fleiß und Gelehr¬
samkeit strotzende Werk wird trotz seiner Schwerfälligkeit und Unge-
nießbarkeit eine Zierde historischer Quellenforschung bleiben, wenn
auch eine Menge von Hypothesen und neuen, oft einseitigen Auffas¬
sungen der Charaktere und Thatsachen von der Kritik zurückgewiesen
worden sind und noch werden. Uebrigens schließt Drumann's ge¬
lehrtes Werk keineswegs eine geistreiche Bearbeitung dieses Zeitrau¬
mes aus, macht sie sogar zum Bedürfniß. Ein zweites Werk über
römische Geschichte kommt uns aus England zu und wird ungerech¬
ter Weise eine Fortsetzung der Geschichte Niebuhr's genannt. Ein
Dr. Schmitz, Zuhörer Niebuhr's, hat es gewagt, die Vorlesungen
dieses unsterblichen Mannes zu veröffentlichen, Ist es an sich schon etwas
Gewagtes, die Vorlesungen eines Dritten zu veröffentlichen, so ist es um
so riskanter bei einem Geiste, wie Niebuhr, der seine Vorträge ganz frei
hielt und so schnell, und indem er vor Geist und Feuer seine kaum
ausgesprochenen Gedanken gleichsam überhüpfte, auch so unzusammen¬
hängend sprach, daß seine Schüler von seinem Vortrage zwar hinge¬
rissen wurden, aber nicht im Stande waren, denselben niederzuschrei¬
ben. Darum scheuten sich deutsche Gelehrte, Niebuhr's Vorlesungen
zu veröffentlichen, zumal der Meister diese Zeit nur theilweise erst
durchforscht hatte, wie aus ihnen selbst hervorgeht. Niebuhr's Geist
ist darin unverkennbar, aber die Skizzen sind nur kurz und mangel¬
haft und bewegen sich in gewaltigen Sprüngen. Zeiß in Weimar
überträgt sie in's Deutsche und Holländische mit Sorgfalt. Was


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[0385] seinem früheren Glauben untreu, jeder freisinnigen Erscheinung und Richtung auf dem Gebiete der Geschichte und Religion Tod und Verderben geschworen hat. Leo's Weltgeschichte ist von den Katho- liken mit Jubel aufgenommen worden, bei Protestanten kann und wird sie nie Anklang finden, weil sie gegen das protestantische Prin¬ zip gerichtet ist. Schlußlied weise ich noch auf Klemm's mit eben so großem Fleiße, als Gelehrsamkeit geschriebene allgemeine Kultur¬ geschichte hin, deren dritter Band die Hirtenvölker der passiven Mensch¬ heit zum Vorwurf hat. Die Geschichte des Alterthums ist stiefmütterlich weggekommen. Ein einziger Deutscher hat das schon vielfach ausgebeutete Feld be¬ arbeitet, nämlich Drumann, welcher mit dem sechsten Bande seine Geschichte Roms im Uebergange von der republikanischen zur monar¬ chischen Verfassung geschlossen hat. Dieses von Fleiß und Gelehr¬ samkeit strotzende Werk wird trotz seiner Schwerfälligkeit und Unge- nießbarkeit eine Zierde historischer Quellenforschung bleiben, wenn auch eine Menge von Hypothesen und neuen, oft einseitigen Auffas¬ sungen der Charaktere und Thatsachen von der Kritik zurückgewiesen worden sind und noch werden. Uebrigens schließt Drumann's ge¬ lehrtes Werk keineswegs eine geistreiche Bearbeitung dieses Zeitrau¬ mes aus, macht sie sogar zum Bedürfniß. Ein zweites Werk über römische Geschichte kommt uns aus England zu und wird ungerech¬ ter Weise eine Fortsetzung der Geschichte Niebuhr's genannt. Ein Dr. Schmitz, Zuhörer Niebuhr's, hat es gewagt, die Vorlesungen dieses unsterblichen Mannes zu veröffentlichen, Ist es an sich schon etwas Gewagtes, die Vorlesungen eines Dritten zu veröffentlichen, so ist es um so riskanter bei einem Geiste, wie Niebuhr, der seine Vorträge ganz frei hielt und so schnell, und indem er vor Geist und Feuer seine kaum ausgesprochenen Gedanken gleichsam überhüpfte, auch so unzusammen¬ hängend sprach, daß seine Schüler von seinem Vortrage zwar hinge¬ rissen wurden, aber nicht im Stande waren, denselben niederzuschrei¬ ben. Darum scheuten sich deutsche Gelehrte, Niebuhr's Vorlesungen zu veröffentlichen, zumal der Meister diese Zeit nur theilweise erst durchforscht hatte, wie aus ihnen selbst hervorgeht. Niebuhr's Geist ist darin unverkennbar, aber die Skizzen sind nur kurz und mangel¬ haft und bewegen sich in gewaltigen Sprüngen. Zeiß in Weimar überträgt sie in's Deutsche und Holländische mit Sorgfalt. Was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/385>, abgerufen am 23.07.2024.