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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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sie eine gewisse narkotische Begeisterung hervorrufen. Vielleicht steckte
in diesem dunkelgrünen Wein die Befähigung, Geister zu sehen. Ich
wollte mit nüchternen Sinnen den Geheimnissen und den Offenba¬
rungen entgegengehen, die man mir bereitete. Um jeder Versuchung
zu widerstehen, schüttete ich rasch den Inhalt des Gefäßes an den
Boden und bedeckte die feuchte Stelle mit dem Kruge. In demsel¬
ben Augenblick hört' ich schon Tritie; zwei neue Gestalten traten ein
und grüßten mich als Bruder mit dem Gruß des Bundes. Der Eine
hob den Pokal in die Höhe und überreichte ihn dem Zweiten mit
einem Augenwink, an dem ich wahrnahm, daß es ihnen nicht gleich-
giltig erschien, ihn geleert zu sehen. Wie ich mich bereit erklärte,
ihnen zu folgen, tauchten sie ein Stirnband in eine rothe Flüssigkeit
und knüpften es mir um den Kopf. Sie selbst trugen ein Gleiches;
ich hatte die Vorstellung, es sei mit warmem Aether durchnetzt. Ich
fühlte mein Blut in Wallung gerathen; vielleicht fehlte mir nur noch
die Wirkung des dunkelgrünen Weins, um einen Dämon des Auf¬
ruhrs in mir zu entzünden. Du bist schon zur Stelle, hieß es, als
ich auf die Thür deutete. Ich blickte um mich und in der That
hatte sich der Schauplatz um mich her schon verwandelt. Es war
noch dieselbe Grotte, grau und fahl, aber die Wände schimmerten
durchsichtig und lösten sich wie Nebel auf. Die Felder im Mauer¬
werk wurden lebendig, seltsame Thier- und Menschengestalten, mich
zu schrecken und zu locken, traten mir entgegen und wichen zurück,
wenn ich nach ihnen griff. Meine beiden Führer waren verschwun¬
den Aus der Ferne ertönte eine Musik, deren sanfte Accorde immer
mächtiger anschwollen. Die Kerzen um mich her vereinigten sich zu
einem Strahlenkranz und aus den ungewissen Wolken, in die sich
die Wände des Gemachs auflösten, hoben sich dunkelrothe Säulen,
aus deren Knäufen und Kapitalen lebendige Blumen mit buntem
Farbenspiel hervorsprangen. Die kleine Todtenhalle hatte sich nach
und nach in einen strahlenden Festtempel umgestaltet, dessen Kerzen-
schein das Licht des Tages beschämen konnte. Ich stand in ei¬
ner offenen Rotunde, die den Mittelpunkt von mehreren Hallen
abgab, die sich nach den vier Himmelsgegenden öffneten. Ich sah
alle die Jnsignien, die mir der Sprecher gedeutet hatte, den Stern,
die Akazien, die Candelaber, nur die Lotosblume, die sich in riesen¬
hafter Gestalt mitten in der Rotunde aus dem Boden erhob, war


sie eine gewisse narkotische Begeisterung hervorrufen. Vielleicht steckte
in diesem dunkelgrünen Wein die Befähigung, Geister zu sehen. Ich
wollte mit nüchternen Sinnen den Geheimnissen und den Offenba¬
rungen entgegengehen, die man mir bereitete. Um jeder Versuchung
zu widerstehen, schüttete ich rasch den Inhalt des Gefäßes an den
Boden und bedeckte die feuchte Stelle mit dem Kruge. In demsel¬
ben Augenblick hört' ich schon Tritie; zwei neue Gestalten traten ein
und grüßten mich als Bruder mit dem Gruß des Bundes. Der Eine
hob den Pokal in die Höhe und überreichte ihn dem Zweiten mit
einem Augenwink, an dem ich wahrnahm, daß es ihnen nicht gleich-
giltig erschien, ihn geleert zu sehen. Wie ich mich bereit erklärte,
ihnen zu folgen, tauchten sie ein Stirnband in eine rothe Flüssigkeit
und knüpften es mir um den Kopf. Sie selbst trugen ein Gleiches;
ich hatte die Vorstellung, es sei mit warmem Aether durchnetzt. Ich
fühlte mein Blut in Wallung gerathen; vielleicht fehlte mir nur noch
die Wirkung des dunkelgrünen Weins, um einen Dämon des Auf¬
ruhrs in mir zu entzünden. Du bist schon zur Stelle, hieß es, als
ich auf die Thür deutete. Ich blickte um mich und in der That
hatte sich der Schauplatz um mich her schon verwandelt. Es war
noch dieselbe Grotte, grau und fahl, aber die Wände schimmerten
durchsichtig und lösten sich wie Nebel auf. Die Felder im Mauer¬
werk wurden lebendig, seltsame Thier- und Menschengestalten, mich
zu schrecken und zu locken, traten mir entgegen und wichen zurück,
wenn ich nach ihnen griff. Meine beiden Führer waren verschwun¬
den Aus der Ferne ertönte eine Musik, deren sanfte Accorde immer
mächtiger anschwollen. Die Kerzen um mich her vereinigten sich zu
einem Strahlenkranz und aus den ungewissen Wolken, in die sich
die Wände des Gemachs auflösten, hoben sich dunkelrothe Säulen,
aus deren Knäufen und Kapitalen lebendige Blumen mit buntem
Farbenspiel hervorsprangen. Die kleine Todtenhalle hatte sich nach
und nach in einen strahlenden Festtempel umgestaltet, dessen Kerzen-
schein das Licht des Tages beschämen konnte. Ich stand in ei¬
ner offenen Rotunde, die den Mittelpunkt von mehreren Hallen
abgab, die sich nach den vier Himmelsgegenden öffneten. Ich sah
alle die Jnsignien, die mir der Sprecher gedeutet hatte, den Stern,
die Akazien, die Candelaber, nur die Lotosblume, die sich in riesen¬
hafter Gestalt mitten in der Rotunde aus dem Boden erhob, war


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[0372] sie eine gewisse narkotische Begeisterung hervorrufen. Vielleicht steckte in diesem dunkelgrünen Wein die Befähigung, Geister zu sehen. Ich wollte mit nüchternen Sinnen den Geheimnissen und den Offenba¬ rungen entgegengehen, die man mir bereitete. Um jeder Versuchung zu widerstehen, schüttete ich rasch den Inhalt des Gefäßes an den Boden und bedeckte die feuchte Stelle mit dem Kruge. In demsel¬ ben Augenblick hört' ich schon Tritie; zwei neue Gestalten traten ein und grüßten mich als Bruder mit dem Gruß des Bundes. Der Eine hob den Pokal in die Höhe und überreichte ihn dem Zweiten mit einem Augenwink, an dem ich wahrnahm, daß es ihnen nicht gleich- giltig erschien, ihn geleert zu sehen. Wie ich mich bereit erklärte, ihnen zu folgen, tauchten sie ein Stirnband in eine rothe Flüssigkeit und knüpften es mir um den Kopf. Sie selbst trugen ein Gleiches; ich hatte die Vorstellung, es sei mit warmem Aether durchnetzt. Ich fühlte mein Blut in Wallung gerathen; vielleicht fehlte mir nur noch die Wirkung des dunkelgrünen Weins, um einen Dämon des Auf¬ ruhrs in mir zu entzünden. Du bist schon zur Stelle, hieß es, als ich auf die Thür deutete. Ich blickte um mich und in der That hatte sich der Schauplatz um mich her schon verwandelt. Es war noch dieselbe Grotte, grau und fahl, aber die Wände schimmerten durchsichtig und lösten sich wie Nebel auf. Die Felder im Mauer¬ werk wurden lebendig, seltsame Thier- und Menschengestalten, mich zu schrecken und zu locken, traten mir entgegen und wichen zurück, wenn ich nach ihnen griff. Meine beiden Führer waren verschwun¬ den Aus der Ferne ertönte eine Musik, deren sanfte Accorde immer mächtiger anschwollen. Die Kerzen um mich her vereinigten sich zu einem Strahlenkranz und aus den ungewissen Wolken, in die sich die Wände des Gemachs auflösten, hoben sich dunkelrothe Säulen, aus deren Knäufen und Kapitalen lebendige Blumen mit buntem Farbenspiel hervorsprangen. Die kleine Todtenhalle hatte sich nach und nach in einen strahlenden Festtempel umgestaltet, dessen Kerzen- schein das Licht des Tages beschämen konnte. Ich stand in ei¬ ner offenen Rotunde, die den Mittelpunkt von mehreren Hallen abgab, die sich nach den vier Himmelsgegenden öffneten. Ich sah alle die Jnsignien, die mir der Sprecher gedeutet hatte, den Stern, die Akazien, die Candelaber, nur die Lotosblume, die sich in riesen¬ hafter Gestalt mitten in der Rotunde aus dem Boden erhob, war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/372>, abgerufen am 23.07.2024.