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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Ich that, wie mir befohlen, und der Deckel des Sarges fiel
über mich zu. Bald aber nöthigte mich die Beklemmung in dem
engen Raume, die bretterne Hülle wieder von mir zu stoßen. Es
war noch dieselbe Halle, die mich umfing, aber Kerzen brannten rings
im Gewölbe und ein Kreis schwarz verhüllter Gestalten umringte
mich. Der eine der Vermummter, der am Fuß des Sarges stand,
lüftete seinen Mantel und ich glaubte in bekannte Züge zu blicken.

-- Unser Glaube, so begann er, ist nicht der Glaube der Welt.
Wir suchen das Dunkel, weil das Auge der Sterblichen noch nicht
das helle Licht erträgt. So gelobe, bevor Deine Prüfungen beginnen,
heiliges Stillschweigen über Ort, Zeit und Personen, die Dich um¬
geben. Unser Bund will die Menschheit in ihre Rechte setzen, aber
die Menschheit ist es, die unser Thun noch verkennt und verfolgt.
Die Wahrheit ist auf dem Schauplatz der Erde noch immer ein
Martyrthum. Schwöre also, Zeit Deines Lebens geheim zu halten,
was Du in dieser Nacht siehst und hörst!

Die Männer entblößten ihre Degen, die Klingen blitzten im
Schein der Kerzen, die zwölf Spitzen waren plötzlich ans meine Brust
gesenkt. Ich sprach den Eid nach der Formel des Redners.

-- Wo Du ihn brichst, so harret Dein der Tod! ertönte es
einstimmig aus dem Munde der Zwölf. Ein zuckender Blitz und
ein rollender Donner folgte diesen Worten.

-- Genug, genug! rief ich. Wozu sucht Ihr mich zu schrecken?
Zeigt mir die Gestalt Euerer Wahrheit! Ich hatte mich rasch erhoben,
um den Redner in's Auge zu fassen. Er trat hinter die Vermumm¬
ter zurück. In meinem Rücken ertönte die Antwort: Isis, die heilige
Mutter der Natur, zu der wir beten, verhüllt Dir ihre Gestalt, bis
Du den siebenten Grad eines Nosenkreuzers erreicht haben wirst.
Lerne zuvor ihre Schleier und die Symbole unserer Maurerei ver¬
stehen und antworte auf die vorgelegten Fragen, damit wir daraus
erkennen, welchem Grade Du entgegenreifft. Wenn die erste Hülle
von der geheimnißvollen Göttin fällt, so wirst Du vier Thiere er¬
blicken, die sie umgeben. Lerne im Löwen die Erde, im Delphin das
Wasser, im Adler die Luft, im Salamander das Feuer erkennen!

Mit flammenden Zügen erschien die Gestalt der Göttin, mit
den vier Elementen bildlich umgeben, an der dunklen Wand vor
mir.


Ich that, wie mir befohlen, und der Deckel des Sarges fiel
über mich zu. Bald aber nöthigte mich die Beklemmung in dem
engen Raume, die bretterne Hülle wieder von mir zu stoßen. Es
war noch dieselbe Halle, die mich umfing, aber Kerzen brannten rings
im Gewölbe und ein Kreis schwarz verhüllter Gestalten umringte
mich. Der eine der Vermummter, der am Fuß des Sarges stand,
lüftete seinen Mantel und ich glaubte in bekannte Züge zu blicken.

— Unser Glaube, so begann er, ist nicht der Glaube der Welt.
Wir suchen das Dunkel, weil das Auge der Sterblichen noch nicht
das helle Licht erträgt. So gelobe, bevor Deine Prüfungen beginnen,
heiliges Stillschweigen über Ort, Zeit und Personen, die Dich um¬
geben. Unser Bund will die Menschheit in ihre Rechte setzen, aber
die Menschheit ist es, die unser Thun noch verkennt und verfolgt.
Die Wahrheit ist auf dem Schauplatz der Erde noch immer ein
Martyrthum. Schwöre also, Zeit Deines Lebens geheim zu halten,
was Du in dieser Nacht siehst und hörst!

Die Männer entblößten ihre Degen, die Klingen blitzten im
Schein der Kerzen, die zwölf Spitzen waren plötzlich ans meine Brust
gesenkt. Ich sprach den Eid nach der Formel des Redners.

— Wo Du ihn brichst, so harret Dein der Tod! ertönte es
einstimmig aus dem Munde der Zwölf. Ein zuckender Blitz und
ein rollender Donner folgte diesen Worten.

— Genug, genug! rief ich. Wozu sucht Ihr mich zu schrecken?
Zeigt mir die Gestalt Euerer Wahrheit! Ich hatte mich rasch erhoben,
um den Redner in's Auge zu fassen. Er trat hinter die Vermumm¬
ter zurück. In meinem Rücken ertönte die Antwort: Isis, die heilige
Mutter der Natur, zu der wir beten, verhüllt Dir ihre Gestalt, bis
Du den siebenten Grad eines Nosenkreuzers erreicht haben wirst.
Lerne zuvor ihre Schleier und die Symbole unserer Maurerei ver¬
stehen und antworte auf die vorgelegten Fragen, damit wir daraus
erkennen, welchem Grade Du entgegenreifft. Wenn die erste Hülle
von der geheimnißvollen Göttin fällt, so wirst Du vier Thiere er¬
blicken, die sie umgeben. Lerne im Löwen die Erde, im Delphin das
Wasser, im Adler die Luft, im Salamander das Feuer erkennen!

Mit flammenden Zügen erschien die Gestalt der Göttin, mit
den vier Elementen bildlich umgeben, an der dunklen Wand vor
mir.


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[0368] Ich that, wie mir befohlen, und der Deckel des Sarges fiel über mich zu. Bald aber nöthigte mich die Beklemmung in dem engen Raume, die bretterne Hülle wieder von mir zu stoßen. Es war noch dieselbe Halle, die mich umfing, aber Kerzen brannten rings im Gewölbe und ein Kreis schwarz verhüllter Gestalten umringte mich. Der eine der Vermummter, der am Fuß des Sarges stand, lüftete seinen Mantel und ich glaubte in bekannte Züge zu blicken. — Unser Glaube, so begann er, ist nicht der Glaube der Welt. Wir suchen das Dunkel, weil das Auge der Sterblichen noch nicht das helle Licht erträgt. So gelobe, bevor Deine Prüfungen beginnen, heiliges Stillschweigen über Ort, Zeit und Personen, die Dich um¬ geben. Unser Bund will die Menschheit in ihre Rechte setzen, aber die Menschheit ist es, die unser Thun noch verkennt und verfolgt. Die Wahrheit ist auf dem Schauplatz der Erde noch immer ein Martyrthum. Schwöre also, Zeit Deines Lebens geheim zu halten, was Du in dieser Nacht siehst und hörst! Die Männer entblößten ihre Degen, die Klingen blitzten im Schein der Kerzen, die zwölf Spitzen waren plötzlich ans meine Brust gesenkt. Ich sprach den Eid nach der Formel des Redners. — Wo Du ihn brichst, so harret Dein der Tod! ertönte es einstimmig aus dem Munde der Zwölf. Ein zuckender Blitz und ein rollender Donner folgte diesen Worten. — Genug, genug! rief ich. Wozu sucht Ihr mich zu schrecken? Zeigt mir die Gestalt Euerer Wahrheit! Ich hatte mich rasch erhoben, um den Redner in's Auge zu fassen. Er trat hinter die Vermumm¬ ter zurück. In meinem Rücken ertönte die Antwort: Isis, die heilige Mutter der Natur, zu der wir beten, verhüllt Dir ihre Gestalt, bis Du den siebenten Grad eines Nosenkreuzers erreicht haben wirst. Lerne zuvor ihre Schleier und die Symbole unserer Maurerei ver¬ stehen und antworte auf die vorgelegten Fragen, damit wir daraus erkennen, welchem Grade Du entgegenreifft. Wenn die erste Hülle von der geheimnißvollen Göttin fällt, so wirst Du vier Thiere er¬ blicken, die sie umgeben. Lerne im Löwen die Erde, im Delphin das Wasser, im Adler die Luft, im Salamander das Feuer erkennen! Mit flammenden Zügen erschien die Gestalt der Göttin, mit den vier Elementen bildlich umgeben, an der dunklen Wand vor mir.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/368>, abgerufen am 23.07.2024.