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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Laßt mir wenigstens die Freiheit, über dies Geheimniß zu denken
wie ich es vermag!

Die Wand mir zur Seite öffnete sich plötzlich und Dreykorn
in einem weiten Talar, mit den Symbolen eines Priesters aus dem
Orient, trat zu mir in's Gemach. Er ging schweigend auf mich zu,
legte die Arme um meine Schultern und küßte meine Stirn; ich sah
in seinen leuchtenden Augen eine Thräne schimmern.

Ich begrüße Dich hiermit, sprach er feierlich, als Mitglied
unseres Bundes, als Sohn der unsichtbaren Kirche, als Bruder der
reinen Lehre I

-- Ich habe Nichts gethan, sagt' ich, als einen Zweifel gegen
Euch erhoben, ob Ihr wohl klar genug den Punkt der Eintracht im
Christenthum gefunden!

-- Nichts als einen Zweifel? entgegnete Dreykorn. O, mein
Freund, der Zweifel ist der Anfang aller Wahrheit; das lehren Dir
schon die alten griechischen Weisen. Im Gefühl des Zwiespaltes
liegt der Beginn der Eintracht. Das ist ja eben das Unheil in den
christlichen Sekten, daß sie in der Ueberzeugung von ihrer Alleingil-
tigkeit nicht zum Gefühl des großen Unglücks kommen! Er wechselte
mit mir die Zeichen des Bundes, steckte mir einen Ring an den Fin¬
ger und das Werk war gethan, ich war bei Nacht und Nebel ein
Mitglied der reinen Lehre. Dreykorn verschwand, als ein Männer¬
chor aus der Ferne einen Lobgesang des Höchsten begann. Rasch
wechselte dann die Scene um mich her und es begann hinter den
Wänden, über der Decke und unter dem Fußboden eine raschelnde
Bewegung, als wenn hundert geschäftige Hände die kleine Halle zer¬
trümmern wollten. Die Ampel erlosch und nur der Todtenkopf gab
sein bläuliches Licht von sich. Nach einer langen Stille erscholl von
oben herab eine Stimme: Verlangst Du, wie man uns sagt, Eintritt
in den Tempel Salomonis?

-- Zeigt mir den Tempel! sprach ich, und ich will Euch Ant¬
wort geben, ob mich nach der Einweihung in Euern geheimen
Dienst gelüstet!

-- So hülle Dich in die Pilgertracht, nimm den hanfenen
Strick um den Leib und strecke Dich abermals in die vier Bretter
des engen Sarges, der den Leib des Sterblichen umfängt, bevor sein
Geist in den Tempel des Lichts tritt.


Laßt mir wenigstens die Freiheit, über dies Geheimniß zu denken
wie ich es vermag!

Die Wand mir zur Seite öffnete sich plötzlich und Dreykorn
in einem weiten Talar, mit den Symbolen eines Priesters aus dem
Orient, trat zu mir in's Gemach. Er ging schweigend auf mich zu,
legte die Arme um meine Schultern und küßte meine Stirn; ich sah
in seinen leuchtenden Augen eine Thräne schimmern.

Ich begrüße Dich hiermit, sprach er feierlich, als Mitglied
unseres Bundes, als Sohn der unsichtbaren Kirche, als Bruder der
reinen Lehre I

— Ich habe Nichts gethan, sagt' ich, als einen Zweifel gegen
Euch erhoben, ob Ihr wohl klar genug den Punkt der Eintracht im
Christenthum gefunden!

— Nichts als einen Zweifel? entgegnete Dreykorn. O, mein
Freund, der Zweifel ist der Anfang aller Wahrheit; das lehren Dir
schon die alten griechischen Weisen. Im Gefühl des Zwiespaltes
liegt der Beginn der Eintracht. Das ist ja eben das Unheil in den
christlichen Sekten, daß sie in der Ueberzeugung von ihrer Alleingil-
tigkeit nicht zum Gefühl des großen Unglücks kommen! Er wechselte
mit mir die Zeichen des Bundes, steckte mir einen Ring an den Fin¬
ger und das Werk war gethan, ich war bei Nacht und Nebel ein
Mitglied der reinen Lehre. Dreykorn verschwand, als ein Männer¬
chor aus der Ferne einen Lobgesang des Höchsten begann. Rasch
wechselte dann die Scene um mich her und es begann hinter den
Wänden, über der Decke und unter dem Fußboden eine raschelnde
Bewegung, als wenn hundert geschäftige Hände die kleine Halle zer¬
trümmern wollten. Die Ampel erlosch und nur der Todtenkopf gab
sein bläuliches Licht von sich. Nach einer langen Stille erscholl von
oben herab eine Stimme: Verlangst Du, wie man uns sagt, Eintritt
in den Tempel Salomonis?

— Zeigt mir den Tempel! sprach ich, und ich will Euch Ant¬
wort geben, ob mich nach der Einweihung in Euern geheimen
Dienst gelüstet!

— So hülle Dich in die Pilgertracht, nimm den hanfenen
Strick um den Leib und strecke Dich abermals in die vier Bretter
des engen Sarges, der den Leib des Sterblichen umfängt, bevor sein
Geist in den Tempel des Lichts tritt.


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[0367] Laßt mir wenigstens die Freiheit, über dies Geheimniß zu denken wie ich es vermag! Die Wand mir zur Seite öffnete sich plötzlich und Dreykorn in einem weiten Talar, mit den Symbolen eines Priesters aus dem Orient, trat zu mir in's Gemach. Er ging schweigend auf mich zu, legte die Arme um meine Schultern und küßte meine Stirn; ich sah in seinen leuchtenden Augen eine Thräne schimmern. Ich begrüße Dich hiermit, sprach er feierlich, als Mitglied unseres Bundes, als Sohn der unsichtbaren Kirche, als Bruder der reinen Lehre I — Ich habe Nichts gethan, sagt' ich, als einen Zweifel gegen Euch erhoben, ob Ihr wohl klar genug den Punkt der Eintracht im Christenthum gefunden! — Nichts als einen Zweifel? entgegnete Dreykorn. O, mein Freund, der Zweifel ist der Anfang aller Wahrheit; das lehren Dir schon die alten griechischen Weisen. Im Gefühl des Zwiespaltes liegt der Beginn der Eintracht. Das ist ja eben das Unheil in den christlichen Sekten, daß sie in der Ueberzeugung von ihrer Alleingil- tigkeit nicht zum Gefühl des großen Unglücks kommen! Er wechselte mit mir die Zeichen des Bundes, steckte mir einen Ring an den Fin¬ ger und das Werk war gethan, ich war bei Nacht und Nebel ein Mitglied der reinen Lehre. Dreykorn verschwand, als ein Männer¬ chor aus der Ferne einen Lobgesang des Höchsten begann. Rasch wechselte dann die Scene um mich her und es begann hinter den Wänden, über der Decke und unter dem Fußboden eine raschelnde Bewegung, als wenn hundert geschäftige Hände die kleine Halle zer¬ trümmern wollten. Die Ampel erlosch und nur der Todtenkopf gab sein bläuliches Licht von sich. Nach einer langen Stille erscholl von oben herab eine Stimme: Verlangst Du, wie man uns sagt, Eintritt in den Tempel Salomonis? — Zeigt mir den Tempel! sprach ich, und ich will Euch Ant¬ wort geben, ob mich nach der Einweihung in Euern geheimen Dienst gelüstet! — So hülle Dich in die Pilgertracht, nimm den hanfenen Strick um den Leib und strecke Dich abermals in die vier Bretter des engen Sarges, der den Leib des Sterblichen umfängt, bevor sein Geist in den Tempel des Lichts tritt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/367>, abgerufen am 23.07.2024.