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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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gar nicht für die ersten Mittheilungen durch die Presse sorgen, und
daß die gewöhnlichen Referenten den Ton überstimmt haben durch zu
starke Ausdrücke. Es ist kaum zu sagen, wie sehr dies Bedürfniß
starker Ausdrücke der Production schadet, der Literatur, ja dem Thea¬
ter selbst schadet. Von Beifall, von günstiger Aufnahme zu sprechen,
genügt schon lange nicht mehr! Man ist schon mißtrauisch, man
schüttelt den Kopf, wenn nicht von vielfachem Hervorruf, von Halloh
die Rede ist. Die Autoren also, welche in Aufnahme bleiben oder
kommen wollen, müssen auf starke Mittel bedacht sein. Ist dies wohl
der Entwickelung einer Kunst förderlich?

Bei dem vorliegenden Stück nun hätte die Presse eine ganz be¬
sondere Aufgabe. Das alte Publicum der Verfasserin stutzt und
kommt bei solchem Stück nicht in Bewegung, nur etwa der vierte
Akt gefällt ihm. Das bessere Publicum ist überrascht durch den un¬
erwarteten Styl dieses Stücks und entschließt sich langsam zum Bei¬
falle. Hier also war es Ausgabe der Presse, rasch zu sagen: Seid
aufmerksam! Die Verfasserin hat ihren wohlfeilen Weg in diesem
Stücke ganz verlassen, hat einen sehr beachtens- und anerkennungs¬
werthen eingeschlagen; zeigt, daß ihr dafür dankbar seid, bestärkt sie
in dieser Richtung, wir haben gar wenig Talente, welche ein solches
Stück zu Stande bringen!

Geschieht dies? Nicht daß ich wüßte. Obiger Bericht aus Carls¬
ruhe zeigt das gerade Gegentheil.

Es ist dies eine der Gelegenheiten, daß die Presse auf die Probe
gestellt wird, ob sie nachbete oder ob sie gewissenhaft sei in Feindschaft
gegen Sachen.

In ähnlichem Zusammenhange ist die vielfach berechtigte Feind¬
schaft gegen die Theaterleitung des Herrn von Küstner in Berlin so
eben auf dem Wege, Feindschaft gegen die Sachen in Feindschaft
gegen die Person ausarten zu lassen. Sie tadelt Herrn von Küstner
auch sür eine gute That. Er hat strenge Theatergesetze erneuert,
welche für die Berliner Anarchie hinter den Coulissen unerläßlich wa¬
ren ; und weil nun die kleine Armee von Berliner Personal aufschreit
und den alten Schlendrian behalten will, stimmt wohl hie und da
die Presse mit in das Horn, aus welchem "nieder mit Herrn von
Küstner!" zu vernehmen ist. Die Presse möge sich hüten! Sie ist
nur mächtig, oder bleibt wenigstens nur mächtig, wenn sie gerecht ist.


gar nicht für die ersten Mittheilungen durch die Presse sorgen, und
daß die gewöhnlichen Referenten den Ton überstimmt haben durch zu
starke Ausdrücke. Es ist kaum zu sagen, wie sehr dies Bedürfniß
starker Ausdrücke der Production schadet, der Literatur, ja dem Thea¬
ter selbst schadet. Von Beifall, von günstiger Aufnahme zu sprechen,
genügt schon lange nicht mehr! Man ist schon mißtrauisch, man
schüttelt den Kopf, wenn nicht von vielfachem Hervorruf, von Halloh
die Rede ist. Die Autoren also, welche in Aufnahme bleiben oder
kommen wollen, müssen auf starke Mittel bedacht sein. Ist dies wohl
der Entwickelung einer Kunst förderlich?

Bei dem vorliegenden Stück nun hätte die Presse eine ganz be¬
sondere Aufgabe. Das alte Publicum der Verfasserin stutzt und
kommt bei solchem Stück nicht in Bewegung, nur etwa der vierte
Akt gefällt ihm. Das bessere Publicum ist überrascht durch den un¬
erwarteten Styl dieses Stücks und entschließt sich langsam zum Bei¬
falle. Hier also war es Ausgabe der Presse, rasch zu sagen: Seid
aufmerksam! Die Verfasserin hat ihren wohlfeilen Weg in diesem
Stücke ganz verlassen, hat einen sehr beachtens- und anerkennungs¬
werthen eingeschlagen; zeigt, daß ihr dafür dankbar seid, bestärkt sie
in dieser Richtung, wir haben gar wenig Talente, welche ein solches
Stück zu Stande bringen!

Geschieht dies? Nicht daß ich wüßte. Obiger Bericht aus Carls¬
ruhe zeigt das gerade Gegentheil.

Es ist dies eine der Gelegenheiten, daß die Presse auf die Probe
gestellt wird, ob sie nachbete oder ob sie gewissenhaft sei in Feindschaft
gegen Sachen.

In ähnlichem Zusammenhange ist die vielfach berechtigte Feind¬
schaft gegen die Theaterleitung des Herrn von Küstner in Berlin so
eben auf dem Wege, Feindschaft gegen die Sachen in Feindschaft
gegen die Person ausarten zu lassen. Sie tadelt Herrn von Küstner
auch sür eine gute That. Er hat strenge Theatergesetze erneuert,
welche für die Berliner Anarchie hinter den Coulissen unerläßlich wa¬
ren ; und weil nun die kleine Armee von Berliner Personal aufschreit
und den alten Schlendrian behalten will, stimmt wohl hie und da
die Presse mit in das Horn, aus welchem „nieder mit Herrn von
Küstner!" zu vernehmen ist. Die Presse möge sich hüten! Sie ist
nur mächtig, oder bleibt wenigstens nur mächtig, wenn sie gerecht ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/358>, abgerufen am 22.07.2024.