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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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ner Zeit, die auf diesen hölzernen Mauern vollbracht wurden. Man
darf es nicht verschweigen, daß jene politischen Hellseher, welche immer¬
dar glauben, Oesterreich überliesere sich ganz und gar dem Strom rus¬
sischer Entwürfe und ziehe nicht die Möglichkeit nothwendigen Kampfes
in Betracht, im Irrthum befangen sind. Sie sehen blos die lauten
Handlungen und bemerken die stillen Vorbereitungen nicht, die dieser
Voraussicht zu Ehren getroffen werden. So bereisten im vergangenen
Sommer mehrere Generalstabsofsiziere das Königreich Ungarn, um die
Communicationsmittel des Landes zu studiren und namentlich den
Zustand der Straßen in allen Jahreszeiten und die Subststenzfahigkeit
der verschiedenen Gegenden kennen zu lernen, lauter Notizen, die zur
Kriegführung unumgänglich sind. Man sieht daraus, daß die Regie¬
rung Ungarn für das künftige Schlachtfeld halt, und da sie Galizien
ohne Festung laßt und blos den durch die Karpathen nach Ungarn
führenden Engpaß Dukla befestigt hat, so kann man daraus gleichfalls
interessante Schlüsse ziehen in Betreff der von ihr befolgten Politik;
Galizien erscheint ihr durch den Russenhaß und eine Volkserhebung
hinlänglich gesichert, und wenn Umstände eintreten sollten, unter denen
sich die Bedingungen dieser Annahme verwischen, so kann das Ergeb¬
niß derselben den Russen eben so wenig Vortheil bringen, als Oester¬
reich; ein gleichmäßiger Schaden ist eigentlich keiner.

Aus Ungarn laufen täglich besorglichcre Nachrichten ein; die
nationale Partei regt sich gewaltig und die industrielle Agitation macht
reißende Fortschritte. Der Schutzverein war blos eine negative Be¬
strebung, die leicht in's Ziellose verlaufen konnte, da ihr kein nahe¬
liegender Zweck vorschwebte. Nun hat er aber auch eine positive Ge¬
stalt gewonnen, indem er einen Ableger, den Fabriksverein erzeugte,
der sich mit den industriellen Köpfen in's Einvernehmen setzt und vor¬
läufig ein Kapital von I Million Gulden aufbringen will, um den
Unternehmungsgeist zu ermuntern und die leisen Regungen der unga¬
rischen Fabrikation thatkräftig zu unterstützen. Wahrend der Schutz¬
verein von den Häuptern der radicalen Partei der Magnaten- und
Standetafel, dem Grafen Bathyany und dem Journalisten Kossuth
ausging, stellten sich an die Spitze des Fabriksvereins die ersten Be¬
amten der ungarischen Krone, die Grafen Keglovich, Dessewfy u. A,
wodurch der Regierung wahrscheinlich die Garantie geboten werden soll,
daß dieser Verein niemals den Geist der Mäßigung verläugnen und
namentlich nicht zu einem Deckmantel für andere politische Tendenzen
benutzt werde. Bisher hat die industrielle Agitation in Ungarn den
österreichischen Fabriken blos geschadet, ohne dem Lande selbst zu nützen,
denn wenn die erstem eine Stockung ihres ungarischen Absatzes erfah¬
ren und durch das Fallissement vieler Abnehmer in Pesth beträchtliche
Summen einbüßen, droht den ungarischen Grundbesitzern selbst wieder
ein naher Ausfall ihres Bodenertrages, da die Wollhändler Oester-


ner Zeit, die auf diesen hölzernen Mauern vollbracht wurden. Man
darf es nicht verschweigen, daß jene politischen Hellseher, welche immer¬
dar glauben, Oesterreich überliesere sich ganz und gar dem Strom rus¬
sischer Entwürfe und ziehe nicht die Möglichkeit nothwendigen Kampfes
in Betracht, im Irrthum befangen sind. Sie sehen blos die lauten
Handlungen und bemerken die stillen Vorbereitungen nicht, die dieser
Voraussicht zu Ehren getroffen werden. So bereisten im vergangenen
Sommer mehrere Generalstabsofsiziere das Königreich Ungarn, um die
Communicationsmittel des Landes zu studiren und namentlich den
Zustand der Straßen in allen Jahreszeiten und die Subststenzfahigkeit
der verschiedenen Gegenden kennen zu lernen, lauter Notizen, die zur
Kriegführung unumgänglich sind. Man sieht daraus, daß die Regie¬
rung Ungarn für das künftige Schlachtfeld halt, und da sie Galizien
ohne Festung laßt und blos den durch die Karpathen nach Ungarn
führenden Engpaß Dukla befestigt hat, so kann man daraus gleichfalls
interessante Schlüsse ziehen in Betreff der von ihr befolgten Politik;
Galizien erscheint ihr durch den Russenhaß und eine Volkserhebung
hinlänglich gesichert, und wenn Umstände eintreten sollten, unter denen
sich die Bedingungen dieser Annahme verwischen, so kann das Ergeb¬
niß derselben den Russen eben so wenig Vortheil bringen, als Oester¬
reich; ein gleichmäßiger Schaden ist eigentlich keiner.

Aus Ungarn laufen täglich besorglichcre Nachrichten ein; die
nationale Partei regt sich gewaltig und die industrielle Agitation macht
reißende Fortschritte. Der Schutzverein war blos eine negative Be¬
strebung, die leicht in's Ziellose verlaufen konnte, da ihr kein nahe¬
liegender Zweck vorschwebte. Nun hat er aber auch eine positive Ge¬
stalt gewonnen, indem er einen Ableger, den Fabriksverein erzeugte,
der sich mit den industriellen Köpfen in's Einvernehmen setzt und vor¬
läufig ein Kapital von I Million Gulden aufbringen will, um den
Unternehmungsgeist zu ermuntern und die leisen Regungen der unga¬
rischen Fabrikation thatkräftig zu unterstützen. Wahrend der Schutz¬
verein von den Häuptern der radicalen Partei der Magnaten- und
Standetafel, dem Grafen Bathyany und dem Journalisten Kossuth
ausging, stellten sich an die Spitze des Fabriksvereins die ersten Be¬
amten der ungarischen Krone, die Grafen Keglovich, Dessewfy u. A,
wodurch der Regierung wahrscheinlich die Garantie geboten werden soll,
daß dieser Verein niemals den Geist der Mäßigung verläugnen und
namentlich nicht zu einem Deckmantel für andere politische Tendenzen
benutzt werde. Bisher hat die industrielle Agitation in Ungarn den
österreichischen Fabriken blos geschadet, ohne dem Lande selbst zu nützen,
denn wenn die erstem eine Stockung ihres ungarischen Absatzes erfah¬
ren und durch das Fallissement vieler Abnehmer in Pesth beträchtliche
Summen einbüßen, droht den ungarischen Grundbesitzern selbst wieder
ein naher Ausfall ihres Bodenertrages, da die Wollhändler Oester-


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[0344] ner Zeit, die auf diesen hölzernen Mauern vollbracht wurden. Man darf es nicht verschweigen, daß jene politischen Hellseher, welche immer¬ dar glauben, Oesterreich überliesere sich ganz und gar dem Strom rus¬ sischer Entwürfe und ziehe nicht die Möglichkeit nothwendigen Kampfes in Betracht, im Irrthum befangen sind. Sie sehen blos die lauten Handlungen und bemerken die stillen Vorbereitungen nicht, die dieser Voraussicht zu Ehren getroffen werden. So bereisten im vergangenen Sommer mehrere Generalstabsofsiziere das Königreich Ungarn, um die Communicationsmittel des Landes zu studiren und namentlich den Zustand der Straßen in allen Jahreszeiten und die Subststenzfahigkeit der verschiedenen Gegenden kennen zu lernen, lauter Notizen, die zur Kriegführung unumgänglich sind. Man sieht daraus, daß die Regie¬ rung Ungarn für das künftige Schlachtfeld halt, und da sie Galizien ohne Festung laßt und blos den durch die Karpathen nach Ungarn führenden Engpaß Dukla befestigt hat, so kann man daraus gleichfalls interessante Schlüsse ziehen in Betreff der von ihr befolgten Politik; Galizien erscheint ihr durch den Russenhaß und eine Volkserhebung hinlänglich gesichert, und wenn Umstände eintreten sollten, unter denen sich die Bedingungen dieser Annahme verwischen, so kann das Ergeb¬ niß derselben den Russen eben so wenig Vortheil bringen, als Oester¬ reich; ein gleichmäßiger Schaden ist eigentlich keiner. Aus Ungarn laufen täglich besorglichcre Nachrichten ein; die nationale Partei regt sich gewaltig und die industrielle Agitation macht reißende Fortschritte. Der Schutzverein war blos eine negative Be¬ strebung, die leicht in's Ziellose verlaufen konnte, da ihr kein nahe¬ liegender Zweck vorschwebte. Nun hat er aber auch eine positive Ge¬ stalt gewonnen, indem er einen Ableger, den Fabriksverein erzeugte, der sich mit den industriellen Köpfen in's Einvernehmen setzt und vor¬ läufig ein Kapital von I Million Gulden aufbringen will, um den Unternehmungsgeist zu ermuntern und die leisen Regungen der unga¬ rischen Fabrikation thatkräftig zu unterstützen. Wahrend der Schutz¬ verein von den Häuptern der radicalen Partei der Magnaten- und Standetafel, dem Grafen Bathyany und dem Journalisten Kossuth ausging, stellten sich an die Spitze des Fabriksvereins die ersten Be¬ amten der ungarischen Krone, die Grafen Keglovich, Dessewfy u. A, wodurch der Regierung wahrscheinlich die Garantie geboten werden soll, daß dieser Verein niemals den Geist der Mäßigung verläugnen und namentlich nicht zu einem Deckmantel für andere politische Tendenzen benutzt werde. Bisher hat die industrielle Agitation in Ungarn den österreichischen Fabriken blos geschadet, ohne dem Lande selbst zu nützen, denn wenn die erstem eine Stockung ihres ungarischen Absatzes erfah¬ ren und durch das Fallissement vieler Abnehmer in Pesth beträchtliche Summen einbüßen, droht den ungarischen Grundbesitzern selbst wieder ein naher Ausfall ihres Bodenertrages, da die Wollhändler Oester-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/344>, abgerufen am 26.06.2024.