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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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thätigen Eifer für die Ausbreitung einer so reinen Sache beim Volke
verstärkt und dem Staate selbst kann durch den erhöhten Fleiß und
die geläuterte Moralität der Einwohner kein Nachtheil entstehen, wohl
aber selbst eine finanzielle Ersparnis; in Bezug auf Gcfängnißwefen,
Gerichtskosten, Versorgungshäuser und Heilanstalten, was leicht ent¬
schädigen dürfte für den augenblicklichen Ausfall in den Grundsteuern,
den die plötzliche Einstellung der Branntweinerzeugung nach sich füh¬
ren kann. Darum muß man sich billig wundern über den langen
Widerstand, der der Anerkennung dieser Vereinswirksamkeit von Seite
der Behörden entgegengesetzt wurde; selbst die oberste Justizstelle
ward über die Zulassung der Mäßigkeitsvereine in den kaiserlichen
Staaten vernommen, welche diese Frage lediglich vom Standpunkte
der Gesetzmäßigkeit auffassen konnte, während doch die Beurtheilung
der eigentlichen Frage außerhalb der juristischen Sphäre liegt und
ganz der höhern Administration zugehört, welche sie als ein Problem
der Volkserziehung hinnehmen und lösen muß. Es scheint, daß nur
die Anführerschast des Clerus die Besorgnisse der Staatsverwaltung
beschwichtigen konnte, welche sich nicht von der Furcht losmachen kann,
jeder harmlose Verein könne insgeheim und unter Umständen zu poli¬
tischen Zwecken mißbraucht werden und der Concessionsbrief blos dazu
dienen, ein gefährliches Parteigetriebe zu bedecken. Daß die Wirkungen
der erwähnten Vereine bereits überall sichtbar hervortreten, darüber
sind alle Stimmen einig und der Schreiber dieser Zeilen selbst war
in der Lage, sich von der Wahrheit zu überzeugen, indem die zahlreich
nach der Hauptstadt reisenden schlesischen Leinwandhändler, eine vor¬
dem durch ihre Trinklust verrufene Kaste, jetzt wie umgewandelt sind.

Der nach langjährigen Leiden verstorbene Prinz von Nassau, der
als Oberst aus der Armee geschieden, war einer der bekanntesten Lebe¬
männer unserer nichts weniger als pietistischer Aristokratie und selbst
die vielfach erprobte Kunst des Grafenberger Wasserarztcs konnte ihm
das vergeudete Leben nicht erhalten, dem er mit 4l) Jahren Lebewohl
sagen mußte. Sein körperlicher Zustand war zuletzt so hinfällig, daß
der Kammerdiener mehrere Stunden brauchte, um seinen Herrn in
die Kleider zu bringen und ihm zwischen die wunden Zehen frische
Baumwolle zu stecken. Der Prinz war der Schwager des Erzherzogs
Karl, der bekanntlich eine Prinzessin von Nassau zur Gemahlin hatte,
seit deren Tod er nicht wieder geheirathet. Man versichert, daß die
Kasse des erlauchten Schwagers von dem stets geldbedürftigen Prinzen
häusig in Anspruch genommen worden und der Hingang desselben den
Erzherzog von einem hoffnungsvollen Schuldner befreit habe.

Sie haben ohne Zweifel in den Zeitungen gelesen von den Kanal¬
plänen, welche mit der Reise des Obersten Birago in der Türkei in
Verbindung gebracht wurden, und der lautgeführten Polemik über die
technische Ausführbarkeit eines Kunstflusses von Küstendsche nach Czer-


thätigen Eifer für die Ausbreitung einer so reinen Sache beim Volke
verstärkt und dem Staate selbst kann durch den erhöhten Fleiß und
die geläuterte Moralität der Einwohner kein Nachtheil entstehen, wohl
aber selbst eine finanzielle Ersparnis; in Bezug auf Gcfängnißwefen,
Gerichtskosten, Versorgungshäuser und Heilanstalten, was leicht ent¬
schädigen dürfte für den augenblicklichen Ausfall in den Grundsteuern,
den die plötzliche Einstellung der Branntweinerzeugung nach sich füh¬
ren kann. Darum muß man sich billig wundern über den langen
Widerstand, der der Anerkennung dieser Vereinswirksamkeit von Seite
der Behörden entgegengesetzt wurde; selbst die oberste Justizstelle
ward über die Zulassung der Mäßigkeitsvereine in den kaiserlichen
Staaten vernommen, welche diese Frage lediglich vom Standpunkte
der Gesetzmäßigkeit auffassen konnte, während doch die Beurtheilung
der eigentlichen Frage außerhalb der juristischen Sphäre liegt und
ganz der höhern Administration zugehört, welche sie als ein Problem
der Volkserziehung hinnehmen und lösen muß. Es scheint, daß nur
die Anführerschast des Clerus die Besorgnisse der Staatsverwaltung
beschwichtigen konnte, welche sich nicht von der Furcht losmachen kann,
jeder harmlose Verein könne insgeheim und unter Umständen zu poli¬
tischen Zwecken mißbraucht werden und der Concessionsbrief blos dazu
dienen, ein gefährliches Parteigetriebe zu bedecken. Daß die Wirkungen
der erwähnten Vereine bereits überall sichtbar hervortreten, darüber
sind alle Stimmen einig und der Schreiber dieser Zeilen selbst war
in der Lage, sich von der Wahrheit zu überzeugen, indem die zahlreich
nach der Hauptstadt reisenden schlesischen Leinwandhändler, eine vor¬
dem durch ihre Trinklust verrufene Kaste, jetzt wie umgewandelt sind.

Der nach langjährigen Leiden verstorbene Prinz von Nassau, der
als Oberst aus der Armee geschieden, war einer der bekanntesten Lebe¬
männer unserer nichts weniger als pietistischer Aristokratie und selbst
die vielfach erprobte Kunst des Grafenberger Wasserarztcs konnte ihm
das vergeudete Leben nicht erhalten, dem er mit 4l) Jahren Lebewohl
sagen mußte. Sein körperlicher Zustand war zuletzt so hinfällig, daß
der Kammerdiener mehrere Stunden brauchte, um seinen Herrn in
die Kleider zu bringen und ihm zwischen die wunden Zehen frische
Baumwolle zu stecken. Der Prinz war der Schwager des Erzherzogs
Karl, der bekanntlich eine Prinzessin von Nassau zur Gemahlin hatte,
seit deren Tod er nicht wieder geheirathet. Man versichert, daß die
Kasse des erlauchten Schwagers von dem stets geldbedürftigen Prinzen
häusig in Anspruch genommen worden und der Hingang desselben den
Erzherzog von einem hoffnungsvollen Schuldner befreit habe.

Sie haben ohne Zweifel in den Zeitungen gelesen von den Kanal¬
plänen, welche mit der Reise des Obersten Birago in der Türkei in
Verbindung gebracht wurden, und der lautgeführten Polemik über die
technische Ausführbarkeit eines Kunstflusses von Küstendsche nach Czer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/342>, abgerufen am 01.07.2024.