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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Doch ich wollte ja sagen, warum Wien hier Mode wird. Also
erstens durch das Feenballet der sechsunddreißig Schmetterlinge; zwei¬
tens durch einige Clavierspieler, von denen die Herren Mayer und
Schulhof die Lions sind; drittens durch den großen Ball des Grafen
Apony, von dem Paris volle acht Tage gesprochen und viertens haupt¬
sachlich durch die große Zahl reicher Lebemänner, die das Gouver¬
nement constitutionel auf einen oder zwei Winter -- wenn nicht für
immer -- für das Gouvernement paternell eintauschen wollen, und da
diese guten Wiener überall sich herum treiben, so scheint ihre Zahl
durch ihre Beweglichkeit verzehnfacht Ob sie etwas mehr als eine
gründliche Kenntniß der Quadrille und des Speiszettels der Iivres
j>i-l>veoLviuix und des c>-> l^i^is mit nach Hause bringen wer¬
den? Genug sie tanzen und essen und sind unter den Deutschen die
beliebteste Sorte. Ich fand neulich auf einem Balle bei Mad. Roth¬
schild (darf der Correspondent eines liberalen Blattes einen Rothschil¬
dischen Ball besuchen ?) einen ganzen Schwarm meiner Landsleute mit
so behaglichen Gesichtern, sie schienen an dieser echt pariserischcn Mi¬
schung der Gesellschaft, wo königliche Prinzen und Stockjobbers, Di¬
plomaten und Industrielle sich berühren, so viel Geschmack zu finden,
der wahrhaft geistvolle Lurus dieser Salons schien sie so hinzureißen,
daß ich gern gefragt hatte -- ist es denn wahr, daß es holt nur a
Kaiserstadt, holt nur a Wien gibt?

Eine reiche hübsche Wittwe, Madame C. W____r, die in Wien
kaum zu dem Bürgerstande gezahlt werden kann, weil sie dem aus¬
wählten, aber unemancipirten Volke Gottes angehört, tanzte mit dem Her¬
zog von Montpensier in einer und derselben Quadrille und ihre Augen
leuchteten dergestalt, daß ich nicht das Herz hatte, durch eine solche
Frage sie aus ihren Illusionen zu stören. -- In der Neujahrsnacht
haben fünfzig Wiener Gentlemen bei Verron einen "W iener Ba it"
gegeben, wobei der eingeladenen Dame beim Eintritt ein Loos, um
in der Tombola zu spielen, überreicht wurde. Keins dieser Loose
konnte eine Niete ziehen und es handelte sich nur darum, wer ein
größeres und prachtvolleres Album, Gemälde :c. gewann. Ist das
nicht galant? -- Die Ballsucht ist übrigens seit der Julirevolution
in keinem Winter so groß gewesen als in diesem, wo Louis Philipp
und der Herzog von Nemours das Signal dazu gegeben haben. Wenn
man von den Schauspielen, Soireen und Maskenbällen, die diesen
Winter in den Tuilerien und dem Pavillon Marsan statt finden,
liest (denn dahin kommt allerdings kein Korrespondent eines deutschen
Blattes -- da mit Ausnahme eines einzigen Mitarbeiters des Jour¬
nal des Debats, auch nicht ein Einziger aus der ganzen hiesigen Jour¬
nalistik geladen war, was Viele baß ärgerte) so glaubt man sich
in die seligen Zeiten Ludwig's XV. und Marie Antoinette's zurückver¬
seht. Herr Guizot, der mit blassem Angesichte und erschlafften ner-


Doch ich wollte ja sagen, warum Wien hier Mode wird. Also
erstens durch das Feenballet der sechsunddreißig Schmetterlinge; zwei¬
tens durch einige Clavierspieler, von denen die Herren Mayer und
Schulhof die Lions sind; drittens durch den großen Ball des Grafen
Apony, von dem Paris volle acht Tage gesprochen und viertens haupt¬
sachlich durch die große Zahl reicher Lebemänner, die das Gouver¬
nement constitutionel auf einen oder zwei Winter — wenn nicht für
immer — für das Gouvernement paternell eintauschen wollen, und da
diese guten Wiener überall sich herum treiben, so scheint ihre Zahl
durch ihre Beweglichkeit verzehnfacht Ob sie etwas mehr als eine
gründliche Kenntniß der Quadrille und des Speiszettels der Iivres
j>i-l>veoLviuix und des c>-> l^i^is mit nach Hause bringen wer¬
den? Genug sie tanzen und essen und sind unter den Deutschen die
beliebteste Sorte. Ich fand neulich auf einem Balle bei Mad. Roth¬
schild (darf der Correspondent eines liberalen Blattes einen Rothschil¬
dischen Ball besuchen ?) einen ganzen Schwarm meiner Landsleute mit
so behaglichen Gesichtern, sie schienen an dieser echt pariserischcn Mi¬
schung der Gesellschaft, wo königliche Prinzen und Stockjobbers, Di¬
plomaten und Industrielle sich berühren, so viel Geschmack zu finden,
der wahrhaft geistvolle Lurus dieser Salons schien sie so hinzureißen,
daß ich gern gefragt hatte — ist es denn wahr, daß es holt nur a
Kaiserstadt, holt nur a Wien gibt?

Eine reiche hübsche Wittwe, Madame C. W____r, die in Wien
kaum zu dem Bürgerstande gezahlt werden kann, weil sie dem aus¬
wählten, aber unemancipirten Volke Gottes angehört, tanzte mit dem Her¬
zog von Montpensier in einer und derselben Quadrille und ihre Augen
leuchteten dergestalt, daß ich nicht das Herz hatte, durch eine solche
Frage sie aus ihren Illusionen zu stören. — In der Neujahrsnacht
haben fünfzig Wiener Gentlemen bei Verron einen „W iener Ba it"
gegeben, wobei der eingeladenen Dame beim Eintritt ein Loos, um
in der Tombola zu spielen, überreicht wurde. Keins dieser Loose
konnte eine Niete ziehen und es handelte sich nur darum, wer ein
größeres und prachtvolleres Album, Gemälde :c. gewann. Ist das
nicht galant? — Die Ballsucht ist übrigens seit der Julirevolution
in keinem Winter so groß gewesen als in diesem, wo Louis Philipp
und der Herzog von Nemours das Signal dazu gegeben haben. Wenn
man von den Schauspielen, Soireen und Maskenbällen, die diesen
Winter in den Tuilerien und dem Pavillon Marsan statt finden,
liest (denn dahin kommt allerdings kein Korrespondent eines deutschen
Blattes — da mit Ausnahme eines einzigen Mitarbeiters des Jour¬
nal des Debats, auch nicht ein Einziger aus der ganzen hiesigen Jour¬
nalistik geladen war, was Viele baß ärgerte) so glaubt man sich
in die seligen Zeiten Ludwig's XV. und Marie Antoinette's zurückver¬
seht. Herr Guizot, der mit blassem Angesichte und erschlafften ner-


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[0334] Doch ich wollte ja sagen, warum Wien hier Mode wird. Also erstens durch das Feenballet der sechsunddreißig Schmetterlinge; zwei¬ tens durch einige Clavierspieler, von denen die Herren Mayer und Schulhof die Lions sind; drittens durch den großen Ball des Grafen Apony, von dem Paris volle acht Tage gesprochen und viertens haupt¬ sachlich durch die große Zahl reicher Lebemänner, die das Gouver¬ nement constitutionel auf einen oder zwei Winter — wenn nicht für immer — für das Gouvernement paternell eintauschen wollen, und da diese guten Wiener überall sich herum treiben, so scheint ihre Zahl durch ihre Beweglichkeit verzehnfacht Ob sie etwas mehr als eine gründliche Kenntniß der Quadrille und des Speiszettels der Iivres j>i-l>veoLviuix und des c>-> l^i^is mit nach Hause bringen wer¬ den? Genug sie tanzen und essen und sind unter den Deutschen die beliebteste Sorte. Ich fand neulich auf einem Balle bei Mad. Roth¬ schild (darf der Correspondent eines liberalen Blattes einen Rothschil¬ dischen Ball besuchen ?) einen ganzen Schwarm meiner Landsleute mit so behaglichen Gesichtern, sie schienen an dieser echt pariserischcn Mi¬ schung der Gesellschaft, wo königliche Prinzen und Stockjobbers, Di¬ plomaten und Industrielle sich berühren, so viel Geschmack zu finden, der wahrhaft geistvolle Lurus dieser Salons schien sie so hinzureißen, daß ich gern gefragt hatte — ist es denn wahr, daß es holt nur a Kaiserstadt, holt nur a Wien gibt? Eine reiche hübsche Wittwe, Madame C. W____r, die in Wien kaum zu dem Bürgerstande gezahlt werden kann, weil sie dem aus¬ wählten, aber unemancipirten Volke Gottes angehört, tanzte mit dem Her¬ zog von Montpensier in einer und derselben Quadrille und ihre Augen leuchteten dergestalt, daß ich nicht das Herz hatte, durch eine solche Frage sie aus ihren Illusionen zu stören. — In der Neujahrsnacht haben fünfzig Wiener Gentlemen bei Verron einen „W iener Ba it" gegeben, wobei der eingeladenen Dame beim Eintritt ein Loos, um in der Tombola zu spielen, überreicht wurde. Keins dieser Loose konnte eine Niete ziehen und es handelte sich nur darum, wer ein größeres und prachtvolleres Album, Gemälde :c. gewann. Ist das nicht galant? — Die Ballsucht ist übrigens seit der Julirevolution in keinem Winter so groß gewesen als in diesem, wo Louis Philipp und der Herzog von Nemours das Signal dazu gegeben haben. Wenn man von den Schauspielen, Soireen und Maskenbällen, die diesen Winter in den Tuilerien und dem Pavillon Marsan statt finden, liest (denn dahin kommt allerdings kein Korrespondent eines deutschen Blattes — da mit Ausnahme eines einzigen Mitarbeiters des Jour¬ nal des Debats, auch nicht ein Einziger aus der ganzen hiesigen Jour¬ nalistik geladen war, was Viele baß ärgerte) so glaubt man sich in die seligen Zeiten Ludwig's XV. und Marie Antoinette's zurückver¬ seht. Herr Guizot, der mit blassem Angesichte und erschlafften ner-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/334>, abgerufen am 26.06.2024.