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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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fortlaufen wird, ohne an eine Verbesserung seiner socialen Zustände,
an eine Erweiterung seiner politischen Volksbildung, an ein geistiges
Vorwärts zu denken. Frankreich ist ja glücklich! Die Hühner stecken
ja wieder im Topfe wie zu den Zeiten des guten vierten Heinrich's
und was hat die Menschheit Höheres zu thun als Hühner zu fressen?
Bald wird Frankreich diese sogar gebacken zurichten wie die Oesterreicher,
es wird sich vielleicht bis zu der Eldoradohöhe des Gouvernement
paternel hinaufschwingen uno Schiller's Motto als Devise in sein
Wappenschild unter seinen Hahn schreiben: Immer ist's Sonntag in.
Viv"! !>>, <^ki>u'U', Guizot "in lit. "Kill!

Wien ist überhaupt hier jetzt sehr in der Mode. Die sechsund¬
dreißig kleinen Wienerinnen, welche unter der Leitung der Madame
Weiß hier in der großen Oper ihre Schmetterlingstänze aufführen, ver¬
rücken den Parisern die Köpfe. Man spricht von Nichts als von den
kleinen deutschen Kindern, man bedauert sie, man bewundert ihr Ge¬
schick, ihre Geduld. Ach wenn man erst wüßte, wie die großen deut¬
schen Kinder zu bedauern und zu bewundern sind! Oder sind diese 3V
Kinder vielleicht symbolische Figuren? Mystische Repräsentanten des
einigen Deutschlands mit seinen 36 Bundesstimmen? Ha, welche
Idee! Man hat Schwierigkeiten gemacht, Mad. Weiß ihren Paß
Hieher zu Visiren -- wenn Madame Weiß vielleicht hochverräterisch
die Geheimnisse der Bundestagsbeschlüsse durch die arglosen Füßchen
ihrer unschuldigen Truppe vor den Augen Frankreichs telcgraphirte?
Die Franzosen verstehen sich auf Tanzkunst und wissen diese Fuß-
Ehissern zu enträthseln, ohne daß die dabeisitzenden Gesandten Oester¬
reichs und Preußens das Mindeste merken! Es wäre fürchterlich! Ja,
je mehr ich daran denke, desto größer wird meine Ueberzeugung, die
kleine fünfjährige Adele und die sechsjährige Jda, die jetzt ihre Händ¬
chen ausstrecken und in die Höhe sich schwingen wollen, ist dies nicht
das Fürstenthum Schwarzcnburg und das Fürstenthum Sigmaringen,
welche das Prädicat Hoheit gleichfalls beanspruchen? Und dort die
zwölfjährige Nanni und die eilfjährige Betty, deren ausgebildeter schlan¬
ker Körper die ganze Gruppe dominirt, ist das nicht offenbar Oesterreich
und Preußen? Doch nein, wo wäre in Deutschland diese Harmonie,
dieses Ineinanderfügen, diese gleichmäßigen Bewegungen, diese Einheit
des regulirenden Gesetzes? Und vor Allem, wo ist diese ceuttalisirende
Idee, Madame Weiß genannt, diese Weisheit, welche über das Ganze
wacht, so daß selbst die centralisirten Franzosen Respect haben? Ja
wenn Madame Weiß bereits in Se. Petersburg gewesen wäre, dann
würden wir diese Symbolik begreifen, diesen einigen Willen, diese starke
Seele so vieler Kleinen so aber kann Madame Weiß kein Symbol
sein, und sie ist offenbar Nichts als ein gewöhnliches Weib aus der Jo-
sephstadt in Wien, die aus diesem Kindersklavenhandel ein enormes
Einkommen zieht.


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fortlaufen wird, ohne an eine Verbesserung seiner socialen Zustände,
an eine Erweiterung seiner politischen Volksbildung, an ein geistiges
Vorwärts zu denken. Frankreich ist ja glücklich! Die Hühner stecken
ja wieder im Topfe wie zu den Zeiten des guten vierten Heinrich's
und was hat die Menschheit Höheres zu thun als Hühner zu fressen?
Bald wird Frankreich diese sogar gebacken zurichten wie die Oesterreicher,
es wird sich vielleicht bis zu der Eldoradohöhe des Gouvernement
paternel hinaufschwingen uno Schiller's Motto als Devise in sein
Wappenschild unter seinen Hahn schreiben: Immer ist's Sonntag in.
Viv»! !>>, <^ki>u'U', Guizot «in lit. »Kill!

Wien ist überhaupt hier jetzt sehr in der Mode. Die sechsund¬
dreißig kleinen Wienerinnen, welche unter der Leitung der Madame
Weiß hier in der großen Oper ihre Schmetterlingstänze aufführen, ver¬
rücken den Parisern die Köpfe. Man spricht von Nichts als von den
kleinen deutschen Kindern, man bedauert sie, man bewundert ihr Ge¬
schick, ihre Geduld. Ach wenn man erst wüßte, wie die großen deut¬
schen Kinder zu bedauern und zu bewundern sind! Oder sind diese 3V
Kinder vielleicht symbolische Figuren? Mystische Repräsentanten des
einigen Deutschlands mit seinen 36 Bundesstimmen? Ha, welche
Idee! Man hat Schwierigkeiten gemacht, Mad. Weiß ihren Paß
Hieher zu Visiren — wenn Madame Weiß vielleicht hochverräterisch
die Geheimnisse der Bundestagsbeschlüsse durch die arglosen Füßchen
ihrer unschuldigen Truppe vor den Augen Frankreichs telcgraphirte?
Die Franzosen verstehen sich auf Tanzkunst und wissen diese Fuß-
Ehissern zu enträthseln, ohne daß die dabeisitzenden Gesandten Oester¬
reichs und Preußens das Mindeste merken! Es wäre fürchterlich! Ja,
je mehr ich daran denke, desto größer wird meine Ueberzeugung, die
kleine fünfjährige Adele und die sechsjährige Jda, die jetzt ihre Händ¬
chen ausstrecken und in die Höhe sich schwingen wollen, ist dies nicht
das Fürstenthum Schwarzcnburg und das Fürstenthum Sigmaringen,
welche das Prädicat Hoheit gleichfalls beanspruchen? Und dort die
zwölfjährige Nanni und die eilfjährige Betty, deren ausgebildeter schlan¬
ker Körper die ganze Gruppe dominirt, ist das nicht offenbar Oesterreich
und Preußen? Doch nein, wo wäre in Deutschland diese Harmonie,
dieses Ineinanderfügen, diese gleichmäßigen Bewegungen, diese Einheit
des regulirenden Gesetzes? Und vor Allem, wo ist diese ceuttalisirende
Idee, Madame Weiß genannt, diese Weisheit, welche über das Ganze
wacht, so daß selbst die centralisirten Franzosen Respect haben? Ja
wenn Madame Weiß bereits in Se. Petersburg gewesen wäre, dann
würden wir diese Symbolik begreifen, diesen einigen Willen, diese starke
Seele so vieler Kleinen so aber kann Madame Weiß kein Symbol
sein, und sie ist offenbar Nichts als ein gewöhnliches Weib aus der Jo-
sephstadt in Wien, die aus diesem Kindersklavenhandel ein enormes
Einkommen zieht.


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[0333] fortlaufen wird, ohne an eine Verbesserung seiner socialen Zustände, an eine Erweiterung seiner politischen Volksbildung, an ein geistiges Vorwärts zu denken. Frankreich ist ja glücklich! Die Hühner stecken ja wieder im Topfe wie zu den Zeiten des guten vierten Heinrich's und was hat die Menschheit Höheres zu thun als Hühner zu fressen? Bald wird Frankreich diese sogar gebacken zurichten wie die Oesterreicher, es wird sich vielleicht bis zu der Eldoradohöhe des Gouvernement paternel hinaufschwingen uno Schiller's Motto als Devise in sein Wappenschild unter seinen Hahn schreiben: Immer ist's Sonntag in. Viv»! !>>, <^ki>u'U', Guizot «in lit. »Kill! Wien ist überhaupt hier jetzt sehr in der Mode. Die sechsund¬ dreißig kleinen Wienerinnen, welche unter der Leitung der Madame Weiß hier in der großen Oper ihre Schmetterlingstänze aufführen, ver¬ rücken den Parisern die Köpfe. Man spricht von Nichts als von den kleinen deutschen Kindern, man bedauert sie, man bewundert ihr Ge¬ schick, ihre Geduld. Ach wenn man erst wüßte, wie die großen deut¬ schen Kinder zu bedauern und zu bewundern sind! Oder sind diese 3V Kinder vielleicht symbolische Figuren? Mystische Repräsentanten des einigen Deutschlands mit seinen 36 Bundesstimmen? Ha, welche Idee! Man hat Schwierigkeiten gemacht, Mad. Weiß ihren Paß Hieher zu Visiren — wenn Madame Weiß vielleicht hochverräterisch die Geheimnisse der Bundestagsbeschlüsse durch die arglosen Füßchen ihrer unschuldigen Truppe vor den Augen Frankreichs telcgraphirte? Die Franzosen verstehen sich auf Tanzkunst und wissen diese Fuß- Ehissern zu enträthseln, ohne daß die dabeisitzenden Gesandten Oester¬ reichs und Preußens das Mindeste merken! Es wäre fürchterlich! Ja, je mehr ich daran denke, desto größer wird meine Ueberzeugung, die kleine fünfjährige Adele und die sechsjährige Jda, die jetzt ihre Händ¬ chen ausstrecken und in die Höhe sich schwingen wollen, ist dies nicht das Fürstenthum Schwarzcnburg und das Fürstenthum Sigmaringen, welche das Prädicat Hoheit gleichfalls beanspruchen? Und dort die zwölfjährige Nanni und die eilfjährige Betty, deren ausgebildeter schlan¬ ker Körper die ganze Gruppe dominirt, ist das nicht offenbar Oesterreich und Preußen? Doch nein, wo wäre in Deutschland diese Harmonie, dieses Ineinanderfügen, diese gleichmäßigen Bewegungen, diese Einheit des regulirenden Gesetzes? Und vor Allem, wo ist diese ceuttalisirende Idee, Madame Weiß genannt, diese Weisheit, welche über das Ganze wacht, so daß selbst die centralisirten Franzosen Respect haben? Ja wenn Madame Weiß bereits in Se. Petersburg gewesen wäre, dann würden wir diese Symbolik begreifen, diesen einigen Willen, diese starke Seele so vieler Kleinen so aber kann Madame Weiß kein Symbol sein, und sie ist offenbar Nichts als ein gewöhnliches Weib aus der Jo- sephstadt in Wien, die aus diesem Kindersklavenhandel ein enormes Einkommen zieht. 42 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/333>, abgerufen am 29.06.2024.