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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Anstalt zu bieten, aus welcher die Paulus, Schelling, Hegel, Strauß
hervorgegangen sind! Es wird zu bunt! Aber, wie gesagt, die ortho¬
doxen Eiferer haben einen Stein geworfen, der auf ihre Köpfe zu¬
rückfiel. DaS Zeter über Vischer's Richtung ist als eine verkappte
Denunciation wider die freie Forschung überhaupt früh genug erkannt
worden und die Reformpartei hat, zu ihrem bedrohten Panier eilend,
jetzt wahrgenommen, daß ihre Mannschaft weit zahlreicher und zu¬
verlässiger ist, als es der "verdichteten" Kirche gegenüber den Anschein
hatte. Mit Bedauern übrigens bemerkt man es, daß auch Gustav
Schwab, jetzt Geistlicher zu Se. Leonhard hier, sich in jene Jnvec-
tivcn gegen Bischer hat hinreißen lassen; sein rasches, feuriges Herz
ist mit seiner Billigkeit diesmal durchgegangen. -- Sie sehen, auch
in dem kleinen Würtemberg gährt und schafft die große Frage der
Zeit: privilegirtes Herkommen und innerlich berechtigte Freiheit ringen
um die Antwort. Hat man auch nicht mehr die Asche verbrannter
Ketzer und Bücher auszustreuen, so gibt es doch noch guten Ruf und
bürgerliche Enstenzen todtzuschlagen. Auf die Gefahr hin, eines sol¬
chen Todschlags verdächtig zu werden, will ich Ihnen doch auch den
Namen des Ehrenmanns nennen, der zuerst, in der Augsb. Allgem.,
das Steiniget! anstimmte: es ist der Buchhändler Samuel Liesching,
der es von einem diametral entgegengesetzten Jugendleben in seinem
Alter zu einem auserwählten Rüstzeuge des zornigen Gottes brachte.

Wie ich den Artikel übersehe, bin ich erstaunt, Ihnen mir von
Politik und Religion geschrieben zu haben. Aber ist dies nicht ver¬
zeihlich, wenn man mit ansieht, wie das Schleifrad der Zeit immer
hurtiger fliegt, wie es immer schneller das schlechte Eisen zu Schan¬
den macht, den gesunden Stahl aber immer schneidender schärft?


^. ? ^.


Grcnzlwten 18is. I.42

Anstalt zu bieten, aus welcher die Paulus, Schelling, Hegel, Strauß
hervorgegangen sind! Es wird zu bunt! Aber, wie gesagt, die ortho¬
doxen Eiferer haben einen Stein geworfen, der auf ihre Köpfe zu¬
rückfiel. DaS Zeter über Vischer's Richtung ist als eine verkappte
Denunciation wider die freie Forschung überhaupt früh genug erkannt
worden und die Reformpartei hat, zu ihrem bedrohten Panier eilend,
jetzt wahrgenommen, daß ihre Mannschaft weit zahlreicher und zu¬
verlässiger ist, als es der „verdichteten" Kirche gegenüber den Anschein
hatte. Mit Bedauern übrigens bemerkt man es, daß auch Gustav
Schwab, jetzt Geistlicher zu Se. Leonhard hier, sich in jene Jnvec-
tivcn gegen Bischer hat hinreißen lassen; sein rasches, feuriges Herz
ist mit seiner Billigkeit diesmal durchgegangen. — Sie sehen, auch
in dem kleinen Würtemberg gährt und schafft die große Frage der
Zeit: privilegirtes Herkommen und innerlich berechtigte Freiheit ringen
um die Antwort. Hat man auch nicht mehr die Asche verbrannter
Ketzer und Bücher auszustreuen, so gibt es doch noch guten Ruf und
bürgerliche Enstenzen todtzuschlagen. Auf die Gefahr hin, eines sol¬
chen Todschlags verdächtig zu werden, will ich Ihnen doch auch den
Namen des Ehrenmanns nennen, der zuerst, in der Augsb. Allgem.,
das Steiniget! anstimmte: es ist der Buchhändler Samuel Liesching,
der es von einem diametral entgegengesetzten Jugendleben in seinem
Alter zu einem auserwählten Rüstzeuge des zornigen Gottes brachte.

Wie ich den Artikel übersehe, bin ich erstaunt, Ihnen mir von
Politik und Religion geschrieben zu haben. Aber ist dies nicht ver¬
zeihlich, wenn man mit ansieht, wie das Schleifrad der Zeit immer
hurtiger fliegt, wie es immer schneller das schlechte Eisen zu Schan¬
den macht, den gesunden Stahl aber immer schneidender schärft?


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[0331] Anstalt zu bieten, aus welcher die Paulus, Schelling, Hegel, Strauß hervorgegangen sind! Es wird zu bunt! Aber, wie gesagt, die ortho¬ doxen Eiferer haben einen Stein geworfen, der auf ihre Köpfe zu¬ rückfiel. DaS Zeter über Vischer's Richtung ist als eine verkappte Denunciation wider die freie Forschung überhaupt früh genug erkannt worden und die Reformpartei hat, zu ihrem bedrohten Panier eilend, jetzt wahrgenommen, daß ihre Mannschaft weit zahlreicher und zu¬ verlässiger ist, als es der „verdichteten" Kirche gegenüber den Anschein hatte. Mit Bedauern übrigens bemerkt man es, daß auch Gustav Schwab, jetzt Geistlicher zu Se. Leonhard hier, sich in jene Jnvec- tivcn gegen Bischer hat hinreißen lassen; sein rasches, feuriges Herz ist mit seiner Billigkeit diesmal durchgegangen. — Sie sehen, auch in dem kleinen Würtemberg gährt und schafft die große Frage der Zeit: privilegirtes Herkommen und innerlich berechtigte Freiheit ringen um die Antwort. Hat man auch nicht mehr die Asche verbrannter Ketzer und Bücher auszustreuen, so gibt es doch noch guten Ruf und bürgerliche Enstenzen todtzuschlagen. Auf die Gefahr hin, eines sol¬ chen Todschlags verdächtig zu werden, will ich Ihnen doch auch den Namen des Ehrenmanns nennen, der zuerst, in der Augsb. Allgem., das Steiniget! anstimmte: es ist der Buchhändler Samuel Liesching, der es von einem diametral entgegengesetzten Jugendleben in seinem Alter zu einem auserwählten Rüstzeuge des zornigen Gottes brachte. Wie ich den Artikel übersehe, bin ich erstaunt, Ihnen mir von Politik und Religion geschrieben zu haben. Aber ist dies nicht ver¬ zeihlich, wenn man mit ansieht, wie das Schleifrad der Zeit immer hurtiger fliegt, wie es immer schneller das schlechte Eisen zu Schan¬ den macht, den gesunden Stahl aber immer schneidender schärft? ^. ? ^. Grcnzlwten 18is. I.42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/331>, abgerufen am 03.07.2024.