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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Beine gebracht. Auch der Reichsgraf Walther Friedrich cantonirt
mit seinem Heerhaufen in der Rat,e. Sein zukünftiger Eidam, der
Prinz Emil von H., nimmt nur als Privatmann Theil, er hat, wie
ich höre, seine Wohnung in der Stadt bezogen.

Während dessen sind hier eine Menge Maschinen in Bewegung,
die darauf hinauszulaufen scheinen, die zerstreuten Heerden Christi
unter Einen Hirten zu bringen. Eine große Versammlung ist im
Werke, um die neue Nvseukreuzerloge, die sich die Gesellschaft zur
Verbreitung der reinen Lehre nennt, mit dem System der alten Mau¬
rer zu vereinigen. Ist es ein Geist der reinen Lehre, der die Ge¬
müther treibt: warum wird dies Werk bei Nacht und Nebel betrie¬
ben? -- Und so hat denn doch dies deutsche Venedig wie die Stadt
der Lagunen für mich ihre Geheimnisse, selbst ihre Schrecken. Der
Bund, der hier im Verborgenen geschlossen ist, hat an den Höfen
mehrerer Fürsten seine tiefgehenden Verzweigungen. Richten sie auch
wie die Geheimnißvollen in Venedig im Dunkeln? -- Es gehen in
der alten Jacobspfarrc, wo nur Luther's Wort laut werden sollte,
seltsame Dinge zu. Pastor Drcykorn hielt neulich in der Jacobs-
kirche eine Predigt über die Größe der gnadenvollen Jungfrau.
Wer will in dieser Gestalt des alten Glaubens die Macht der
Schönheit, den süßen Zauber läugnen, den Dichter und Maler in
ihrer Verzückung um die Mutter Gottes weben! Aber ist denn
Christus todt im alten Lutherthum?

Ich will nüchternen Geistes Euern Nosenkreuzergeheimnissen die
Stirn bieten. Sie sollen mich nicht schrecken, ich will sie prüfen Haar
um Haar, Zahn um Zahn, ich will wissen, unter welcher Decke Lug
oder Selbsttäuschung sich hier für Wahrheit ausgibt.

Wohl kann ich mir denken, daß nicht jede Offenbarung gleich
Gemeingut der Menschheit werden kann, daß sie eine Zeit lang Ge¬
heimniß Weniger bleiben muß. Als in früheren Zeiten Physiker und
Astronomen gewisse Entdeckungen machten, wurden sie eingekerkert,
wo nicht zum Tode verurtheilt. Wurde nicht jener Galiläi so lange
im Gefängniß gemartert, bis er in der Angst seiner Seele widerrief?
Und er widerrief, was die römische Curie endlich heutzutage zugibt.
Jenen Giordano Bruno hatte sie an einem großen Feste feierlich ver¬
brannt, und mancher echte Christ darf unbeschadet um sein ewiges


Grenzboten, lijzs. I. 41

Beine gebracht. Auch der Reichsgraf Walther Friedrich cantonirt
mit seinem Heerhaufen in der Rat,e. Sein zukünftiger Eidam, der
Prinz Emil von H., nimmt nur als Privatmann Theil, er hat, wie
ich höre, seine Wohnung in der Stadt bezogen.

Während dessen sind hier eine Menge Maschinen in Bewegung,
die darauf hinauszulaufen scheinen, die zerstreuten Heerden Christi
unter Einen Hirten zu bringen. Eine große Versammlung ist im
Werke, um die neue Nvseukreuzerloge, die sich die Gesellschaft zur
Verbreitung der reinen Lehre nennt, mit dem System der alten Mau¬
rer zu vereinigen. Ist es ein Geist der reinen Lehre, der die Ge¬
müther treibt: warum wird dies Werk bei Nacht und Nebel betrie¬
ben? — Und so hat denn doch dies deutsche Venedig wie die Stadt
der Lagunen für mich ihre Geheimnisse, selbst ihre Schrecken. Der
Bund, der hier im Verborgenen geschlossen ist, hat an den Höfen
mehrerer Fürsten seine tiefgehenden Verzweigungen. Richten sie auch
wie die Geheimnißvollen in Venedig im Dunkeln? — Es gehen in
der alten Jacobspfarrc, wo nur Luther's Wort laut werden sollte,
seltsame Dinge zu. Pastor Drcykorn hielt neulich in der Jacobs-
kirche eine Predigt über die Größe der gnadenvollen Jungfrau.
Wer will in dieser Gestalt des alten Glaubens die Macht der
Schönheit, den süßen Zauber läugnen, den Dichter und Maler in
ihrer Verzückung um die Mutter Gottes weben! Aber ist denn
Christus todt im alten Lutherthum?

Ich will nüchternen Geistes Euern Nosenkreuzergeheimnissen die
Stirn bieten. Sie sollen mich nicht schrecken, ich will sie prüfen Haar
um Haar, Zahn um Zahn, ich will wissen, unter welcher Decke Lug
oder Selbsttäuschung sich hier für Wahrheit ausgibt.

Wohl kann ich mir denken, daß nicht jede Offenbarung gleich
Gemeingut der Menschheit werden kann, daß sie eine Zeit lang Ge¬
heimniß Weniger bleiben muß. Als in früheren Zeiten Physiker und
Astronomen gewisse Entdeckungen machten, wurden sie eingekerkert,
wo nicht zum Tode verurtheilt. Wurde nicht jener Galiläi so lange
im Gefängniß gemartert, bis er in der Angst seiner Seele widerrief?
Und er widerrief, was die römische Curie endlich heutzutage zugibt.
Jenen Giordano Bruno hatte sie an einem großen Feste feierlich ver¬
brannt, und mancher echte Christ darf unbeschadet um sein ewiges


Grenzboten, lijzs. I. 41
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/323>, abgerufen am 22.07.2024.