Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.alter Zeit, aber die Besitzer kommen mir wie jener Harpagus vor, Auf den Ebenen von Nürnberg haben die Reichstruppen des alter Zeit, aber die Besitzer kommen mir wie jener Harpagus vor, Auf den Ebenen von Nürnberg haben die Reichstruppen des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269737"/> <p xml:id="ID_949" prev="#ID_948"> alter Zeit, aber die Besitzer kommen mir wie jener Harpagus vor,<lb/> der seine Schätze eng beisammen in eine Kiste packt und sich Nachts<lb/> darauf setzt, um sie zu bewachen. Vom langen Wachen jedoch er¬<lb/> müdet, schläft er endlich so fest, daß man ihn leicht bei Seite schiebt<lb/> und die ganze Kiste fortträgt. Hätten sie ihre Kunstsachen im gan¬<lb/> zen Hause ausgebreitet, man würde am Anblick sich ein Genüge<lb/> schaffen und wer sie so genießt, trägt sie nur geistig fort. Den „eng¬<lb/> lischen Gruß" von Veit Stoß haben sie wirklich in einen Sack ge¬<lb/> näht. Man könnte sich zum Kirchenraub aufgelegt fühlen. Wo<lb/> aber der Genuß eines alten Bildes von Albrecht Dürer unvcrküm-<lb/> inert möglich wird, da athmen wir die echte Lust jener germanischen<lb/> Kindlichkeit und Innigkeit, die sich im Schooße Gottes so fest und<lb/> sicher weiß. Hier sährt die Mutter Gottes nicht mit dem Schwung<lb/> seliger Entzückung gen Himmel, aber sie sitzt des Herrn gewärtig<lb/> still und lauschend auf dem steinernen Stuhl. Diese Zuversicht im<lb/> tiefen treuen Auge, warum ist sie jetzt selten geworden in germanischen<lb/> Landen? tuer und da klingt sie noch aus einem alten Kirchenbuchs¬<lb/> liede. Unter denen aber, die hier als lebende Gestalten wandeln,<lb/> find' ich sie nicht mehr. Der alte Geist ist entflohen und die steife<lb/> Form ist als todte Hülle übrig geblieben. Zu dieser hausbackenen<lb/> Trockenheit gehört auch das Zeremoniell des Umgangs bei diesen<lb/> Nürnbergern, die Baron Pölnitz iVs plus torriKIos com>,IIme!ut«»>8<lb/> nennt. Heute Morgen trat in seiner getiegerten Amtstracht ein Raths-<lb/> dicncr zu mir in'ö Zimmer, um mich bei seinem Herrn zum Abend¬<lb/> schmause zu laden. Man hat hier gedruckte Verhaltungsmaßregeln,<lb/> die ein hoher Rath zu veröffentlichen Pflegt, um die Sitte der Alt¬<lb/> vordern festzuhalten. Ich schlage rasch den betreffenden Paragraphen<lb/> darin nach, und siehe, es ist landesüblich, eine feierliche Einladung<lb/> zu einer Suppe zunächst eben so feierlich abzulehnen. Erst auf die<lb/> zweite dringende Aufforderung darf meinerseits eine ungewisse Ver¬<lb/> sprechung erfolgen; eine förmliche Zusage ist erst beim dritten Anlauf<lb/> des Rothweißgefleckten statthaft. Unter diesem Parlamentiren und<lb/> Diplomatisiren war so ziemlich ein halber Tag verstrichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_950" next="#ID_951"> Auf den Ebenen von Nürnberg haben die Reichstruppen des<lb/> fränkischen Kreises ein Lager aufgeschlagen. Zwei Jahre lang hat<lb/> man hin und her debattirt, bis man diese Lanzknechte auf die</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0322]
alter Zeit, aber die Besitzer kommen mir wie jener Harpagus vor,
der seine Schätze eng beisammen in eine Kiste packt und sich Nachts
darauf setzt, um sie zu bewachen. Vom langen Wachen jedoch er¬
müdet, schläft er endlich so fest, daß man ihn leicht bei Seite schiebt
und die ganze Kiste fortträgt. Hätten sie ihre Kunstsachen im gan¬
zen Hause ausgebreitet, man würde am Anblick sich ein Genüge
schaffen und wer sie so genießt, trägt sie nur geistig fort. Den „eng¬
lischen Gruß" von Veit Stoß haben sie wirklich in einen Sack ge¬
näht. Man könnte sich zum Kirchenraub aufgelegt fühlen. Wo
aber der Genuß eines alten Bildes von Albrecht Dürer unvcrküm-
inert möglich wird, da athmen wir die echte Lust jener germanischen
Kindlichkeit und Innigkeit, die sich im Schooße Gottes so fest und
sicher weiß. Hier sährt die Mutter Gottes nicht mit dem Schwung
seliger Entzückung gen Himmel, aber sie sitzt des Herrn gewärtig
still und lauschend auf dem steinernen Stuhl. Diese Zuversicht im
tiefen treuen Auge, warum ist sie jetzt selten geworden in germanischen
Landen? tuer und da klingt sie noch aus einem alten Kirchenbuchs¬
liede. Unter denen aber, die hier als lebende Gestalten wandeln,
find' ich sie nicht mehr. Der alte Geist ist entflohen und die steife
Form ist als todte Hülle übrig geblieben. Zu dieser hausbackenen
Trockenheit gehört auch das Zeremoniell des Umgangs bei diesen
Nürnbergern, die Baron Pölnitz iVs plus torriKIos com>,IIme!ut«»>8
nennt. Heute Morgen trat in seiner getiegerten Amtstracht ein Raths-
dicncr zu mir in'ö Zimmer, um mich bei seinem Herrn zum Abend¬
schmause zu laden. Man hat hier gedruckte Verhaltungsmaßregeln,
die ein hoher Rath zu veröffentlichen Pflegt, um die Sitte der Alt¬
vordern festzuhalten. Ich schlage rasch den betreffenden Paragraphen
darin nach, und siehe, es ist landesüblich, eine feierliche Einladung
zu einer Suppe zunächst eben so feierlich abzulehnen. Erst auf die
zweite dringende Aufforderung darf meinerseits eine ungewisse Ver¬
sprechung erfolgen; eine förmliche Zusage ist erst beim dritten Anlauf
des Rothweißgefleckten statthaft. Unter diesem Parlamentiren und
Diplomatisiren war so ziemlich ein halber Tag verstrichen.
Auf den Ebenen von Nürnberg haben die Reichstruppen des
fränkischen Kreises ein Lager aufgeschlagen. Zwei Jahre lang hat
man hin und her debattirt, bis man diese Lanzknechte auf die
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