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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Pässe calvinistische Leute sind, müssen dem Gesetze "ach in der Vor¬
stadt übernachten, und wenn uns Herr Dreykvrn nicht behilflich ist,
so fürcht' ich, die protestantischen Bulldoggs beißen uns auch hier
noch fort. Daß Gott sich erbarme über diese schnöde Welt! Neun¬
zehn lutherische Patrizierfamilien tyrannisiren das ganze große Nest
dieser knechtischen freien Neichöbürger. Was meint Ihr, sollte man'ö
denken! Diese neunzehn Familien lassen sich glänzend füttern, lassen
sich "Ew. Gnaden" nennen und sind nur" dem Kaiser in Person
Rechenschaft schuldig. Die Bürger spalten sich systematisch gewissen^
haft in vielerlei Classen und heißen entweder Ehrbare, oder auch
Ehrbare und Wohlfürnehme, oder auch Ehrbare und Beste. Und
danach zahlen die guten Leute ihre Steuern!

-- Ich habe Nürnberg, sagt ich, als einen großen Stapelplatz
des deutschen Fleißes rühmen hören.

-- O ja, diese lutherischen Düfller machen nette kleine hölzerne
Figuren, besonders Heiligenbilder in großen Ladungen für Spanien.
Diese Freiburger liefern zentnerweise Brummeisen nach Rußland für
die Völker in der Krimm. Die Türken rösten ihren Kaffee in der
Pfanne und stoßen ihn in Mörsern. Der Geist der deutschen Klein¬
lichkeit ist erfinderischer^ die Nürnberger machen Kaffeetrommeln und
Kaffeemühlen.

-- Man rühmt die Nürnberger als Künstler in allerlei Schnitzwerk,
warf ich dazwischen.

-- O ja, sagte Burkhardt, seht nur, dort hinten ragt die Sebal-
duskirche heraus. Da haben sie ihren "englischen Gruß," in Holz
gearbeitet, von weiland Veit Stoß. Das wunderbare Kunstwerk
hängt vor dem hohen Altar von der Decke herab, aber sie haben es
in einen dicken Sack genäht, damit es kein scheeler Blick benagen
kann. Wart! wenn wir Euch doch erst bis über die Ohren im
Sacke hätten! -- Er sah so schmunzelnd aus, als hätt' er Aussicht,
einen deutschen Kaziken als Proselyten einzufangen.

Der Regen goß noch immer in Ströme", als wir uns dem
Thore der Stadt näherten, die sich das deutsche Venedig nennt. Ja
hat sich was mit Venedig! schimpfte Burkhardt weiter, dies Ge¬
rümpel aus rothen Ziegelsteinen ist gegen die Lagunenstadt wie ein
hohler Zahn gegen pures Elfenbein. Ein Venedig zu Lande? Wären
wir doch nur aus dem Trocknen! Und auf dem verzweifelten Pflaster-


Pässe calvinistische Leute sind, müssen dem Gesetze »ach in der Vor¬
stadt übernachten, und wenn uns Herr Dreykvrn nicht behilflich ist,
so fürcht' ich, die protestantischen Bulldoggs beißen uns auch hier
noch fort. Daß Gott sich erbarme über diese schnöde Welt! Neun¬
zehn lutherische Patrizierfamilien tyrannisiren das ganze große Nest
dieser knechtischen freien Neichöbürger. Was meint Ihr, sollte man'ö
denken! Diese neunzehn Familien lassen sich glänzend füttern, lassen
sich „Ew. Gnaden" nennen und sind nur" dem Kaiser in Person
Rechenschaft schuldig. Die Bürger spalten sich systematisch gewissen^
haft in vielerlei Classen und heißen entweder Ehrbare, oder auch
Ehrbare und Wohlfürnehme, oder auch Ehrbare und Beste. Und
danach zahlen die guten Leute ihre Steuern!

— Ich habe Nürnberg, sagt ich, als einen großen Stapelplatz
des deutschen Fleißes rühmen hören.

— O ja, diese lutherischen Düfller machen nette kleine hölzerne
Figuren, besonders Heiligenbilder in großen Ladungen für Spanien.
Diese Freiburger liefern zentnerweise Brummeisen nach Rußland für
die Völker in der Krimm. Die Türken rösten ihren Kaffee in der
Pfanne und stoßen ihn in Mörsern. Der Geist der deutschen Klein¬
lichkeit ist erfinderischer^ die Nürnberger machen Kaffeetrommeln und
Kaffeemühlen.

— Man rühmt die Nürnberger als Künstler in allerlei Schnitzwerk,
warf ich dazwischen.

— O ja, sagte Burkhardt, seht nur, dort hinten ragt die Sebal-
duskirche heraus. Da haben sie ihren „englischen Gruß," in Holz
gearbeitet, von weiland Veit Stoß. Das wunderbare Kunstwerk
hängt vor dem hohen Altar von der Decke herab, aber sie haben es
in einen dicken Sack genäht, damit es kein scheeler Blick benagen
kann. Wart! wenn wir Euch doch erst bis über die Ohren im
Sacke hätten! — Er sah so schmunzelnd aus, als hätt' er Aussicht,
einen deutschen Kaziken als Proselyten einzufangen.

Der Regen goß noch immer in Ströme», als wir uns dem
Thore der Stadt näherten, die sich das deutsche Venedig nennt. Ja
hat sich was mit Venedig! schimpfte Burkhardt weiter, dies Ge¬
rümpel aus rothen Ziegelsteinen ist gegen die Lagunenstadt wie ein
hohler Zahn gegen pures Elfenbein. Ein Venedig zu Lande? Wären
wir doch nur aus dem Trocknen! Und auf dem verzweifelten Pflaster-


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[0314] Pässe calvinistische Leute sind, müssen dem Gesetze »ach in der Vor¬ stadt übernachten, und wenn uns Herr Dreykvrn nicht behilflich ist, so fürcht' ich, die protestantischen Bulldoggs beißen uns auch hier noch fort. Daß Gott sich erbarme über diese schnöde Welt! Neun¬ zehn lutherische Patrizierfamilien tyrannisiren das ganze große Nest dieser knechtischen freien Neichöbürger. Was meint Ihr, sollte man'ö denken! Diese neunzehn Familien lassen sich glänzend füttern, lassen sich „Ew. Gnaden" nennen und sind nur" dem Kaiser in Person Rechenschaft schuldig. Die Bürger spalten sich systematisch gewissen^ haft in vielerlei Classen und heißen entweder Ehrbare, oder auch Ehrbare und Wohlfürnehme, oder auch Ehrbare und Beste. Und danach zahlen die guten Leute ihre Steuern! — Ich habe Nürnberg, sagt ich, als einen großen Stapelplatz des deutschen Fleißes rühmen hören. — O ja, diese lutherischen Düfller machen nette kleine hölzerne Figuren, besonders Heiligenbilder in großen Ladungen für Spanien. Diese Freiburger liefern zentnerweise Brummeisen nach Rußland für die Völker in der Krimm. Die Türken rösten ihren Kaffee in der Pfanne und stoßen ihn in Mörsern. Der Geist der deutschen Klein¬ lichkeit ist erfinderischer^ die Nürnberger machen Kaffeetrommeln und Kaffeemühlen. — Man rühmt die Nürnberger als Künstler in allerlei Schnitzwerk, warf ich dazwischen. — O ja, sagte Burkhardt, seht nur, dort hinten ragt die Sebal- duskirche heraus. Da haben sie ihren „englischen Gruß," in Holz gearbeitet, von weiland Veit Stoß. Das wunderbare Kunstwerk hängt vor dem hohen Altar von der Decke herab, aber sie haben es in einen dicken Sack genäht, damit es kein scheeler Blick benagen kann. Wart! wenn wir Euch doch erst bis über die Ohren im Sacke hätten! — Er sah so schmunzelnd aus, als hätt' er Aussicht, einen deutschen Kaziken als Proselyten einzufangen. Der Regen goß noch immer in Ströme», als wir uns dem Thore der Stadt näherten, die sich das deutsche Venedig nennt. Ja hat sich was mit Venedig! schimpfte Burkhardt weiter, dies Ge¬ rümpel aus rothen Ziegelsteinen ist gegen die Lagunenstadt wie ein hohler Zahn gegen pures Elfenbein. Ein Venedig zu Lande? Wären wir doch nur aus dem Trocknen! Und auf dem verzweifelten Pflaster-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/314>, abgerufen am 22.07.2024.