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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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ein lutherischer Christ. Ich lasse mir blos aus der Bibel d"mon-
striren!

Hiermit gab sich uns der alte Herr, ohne es zu wissen, gefan¬
gen. Es schien mir doch Zeit, den Ernst der Sache herauszukehren
und die burleske Rohheit nicht bis zu Ende in ihrem Triumphe zu
lassen. Die Bibel! rief ich. Kamen die Blinden und Lahmen
nicht zum Herrn und half ihnen ihr Glaube nicht? Er legte die
Hand auf sie und sie nahmen ihr Bett und wandelten. Die Kraft
eines heilig reinen Willens überwindet selbst die Pforten des Todes.
Lazarus erstand aus dem Grabe und der todte Jüngling der Mutter
zu Naim kehrte zurück unter die Lebendigen. In der Berührung des
Herrn lag der Zauber einer geheimnißvollen Kraft. Nennt Ihr diese
Kraft eine göttliche, nun gut, aber wenn sein Geist noch in seiner
Gemeinde lebt, so müssen auch seine Wirkungen, die Wirkungen des
Glaubens, die Wunder, die der Geist über den Leib vermag, noch
möglich sein.

-- Mann Gottes! rief der Fürst und feste mir beide Hände auf
die Brust. Er fand nicht gleich das rechte Wort. Aber, -- aber,
stotterte er kleinlaut, da macht Ihr ja den Herrn und Heiland zu
einem magnetisirenden Wunderdoctor!

^ Nehmt es im großen und heiligen Sinne, sagte ich, und
Ihr kommt der Wahrheit näher!

Er sah mich ungläubig, aber doch wie um Schonung bittend,
an; über die starken Muskeln seines Antlitzes lief ein leiser Hauch
der hilfsbedürftigen Wehmuth.

-- Jeder Priester sollte Arzt sein! sagt' ich in der guten Absicht,
ihn zu begütigen. Dann würde er wissen, wo die Natur aufhört
und der Geist beginnt. Pater Sebaldus z. B. würde gut thun, sich
um die Physik zu bekümmern, damit er den Segen der menschlichen
Erfindungen begriffe, bevor er die unmittelbare Hilfe Gottes herun¬
terbeschwört.

-- Gar nicht übel! sagte der Reichsgraf und klopfte mir wohl¬
meinend die Schulter. Er fand sich schnell wieder in seiner guten
Laune zurecht. Wenn meine Priester die unsaubern Geister aus-
treiben könnten, also, daß sie in die Säue führen: ich wollt' ihnen
alle Hände voll zu thun geben. Säue hab' ich genug im Lande.

Er trat ein'ö Fenster und öffnete den Flügel. Eine warme.


ein lutherischer Christ. Ich lasse mir blos aus der Bibel d"mon-
striren!

Hiermit gab sich uns der alte Herr, ohne es zu wissen, gefan¬
gen. Es schien mir doch Zeit, den Ernst der Sache herauszukehren
und die burleske Rohheit nicht bis zu Ende in ihrem Triumphe zu
lassen. Die Bibel! rief ich. Kamen die Blinden und Lahmen
nicht zum Herrn und half ihnen ihr Glaube nicht? Er legte die
Hand auf sie und sie nahmen ihr Bett und wandelten. Die Kraft
eines heilig reinen Willens überwindet selbst die Pforten des Todes.
Lazarus erstand aus dem Grabe und der todte Jüngling der Mutter
zu Naim kehrte zurück unter die Lebendigen. In der Berührung des
Herrn lag der Zauber einer geheimnißvollen Kraft. Nennt Ihr diese
Kraft eine göttliche, nun gut, aber wenn sein Geist noch in seiner
Gemeinde lebt, so müssen auch seine Wirkungen, die Wirkungen des
Glaubens, die Wunder, die der Geist über den Leib vermag, noch
möglich sein.

— Mann Gottes! rief der Fürst und feste mir beide Hände auf
die Brust. Er fand nicht gleich das rechte Wort. Aber, — aber,
stotterte er kleinlaut, da macht Ihr ja den Herrn und Heiland zu
einem magnetisirenden Wunderdoctor!

^ Nehmt es im großen und heiligen Sinne, sagte ich, und
Ihr kommt der Wahrheit näher!

Er sah mich ungläubig, aber doch wie um Schonung bittend,
an; über die starken Muskeln seines Antlitzes lief ein leiser Hauch
der hilfsbedürftigen Wehmuth.

— Jeder Priester sollte Arzt sein! sagt' ich in der guten Absicht,
ihn zu begütigen. Dann würde er wissen, wo die Natur aufhört
und der Geist beginnt. Pater Sebaldus z. B. würde gut thun, sich
um die Physik zu bekümmern, damit er den Segen der menschlichen
Erfindungen begriffe, bevor er die unmittelbare Hilfe Gottes herun¬
terbeschwört.

— Gar nicht übel! sagte der Reichsgraf und klopfte mir wohl¬
meinend die Schulter. Er fand sich schnell wieder in seiner guten
Laune zurecht. Wenn meine Priester die unsaubern Geister aus-
treiben könnten, also, daß sie in die Säue führen: ich wollt' ihnen
alle Hände voll zu thun geben. Säue hab' ich genug im Lande.

Er trat ein'ö Fenster und öffnete den Flügel. Eine warme.


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[0310] ein lutherischer Christ. Ich lasse mir blos aus der Bibel d"mon- striren! Hiermit gab sich uns der alte Herr, ohne es zu wissen, gefan¬ gen. Es schien mir doch Zeit, den Ernst der Sache herauszukehren und die burleske Rohheit nicht bis zu Ende in ihrem Triumphe zu lassen. Die Bibel! rief ich. Kamen die Blinden und Lahmen nicht zum Herrn und half ihnen ihr Glaube nicht? Er legte die Hand auf sie und sie nahmen ihr Bett und wandelten. Die Kraft eines heilig reinen Willens überwindet selbst die Pforten des Todes. Lazarus erstand aus dem Grabe und der todte Jüngling der Mutter zu Naim kehrte zurück unter die Lebendigen. In der Berührung des Herrn lag der Zauber einer geheimnißvollen Kraft. Nennt Ihr diese Kraft eine göttliche, nun gut, aber wenn sein Geist noch in seiner Gemeinde lebt, so müssen auch seine Wirkungen, die Wirkungen des Glaubens, die Wunder, die der Geist über den Leib vermag, noch möglich sein. — Mann Gottes! rief der Fürst und feste mir beide Hände auf die Brust. Er fand nicht gleich das rechte Wort. Aber, — aber, stotterte er kleinlaut, da macht Ihr ja den Herrn und Heiland zu einem magnetisirenden Wunderdoctor! ^ Nehmt es im großen und heiligen Sinne, sagte ich, und Ihr kommt der Wahrheit näher! Er sah mich ungläubig, aber doch wie um Schonung bittend, an; über die starken Muskeln seines Antlitzes lief ein leiser Hauch der hilfsbedürftigen Wehmuth. — Jeder Priester sollte Arzt sein! sagt' ich in der guten Absicht, ihn zu begütigen. Dann würde er wissen, wo die Natur aufhört und der Geist beginnt. Pater Sebaldus z. B. würde gut thun, sich um die Physik zu bekümmern, damit er den Segen der menschlichen Erfindungen begriffe, bevor er die unmittelbare Hilfe Gottes herun¬ terbeschwört. — Gar nicht übel! sagte der Reichsgraf und klopfte mir wohl¬ meinend die Schulter. Er fand sich schnell wieder in seiner guten Laune zurecht. Wenn meine Priester die unsaubern Geister aus- treiben könnten, also, daß sie in die Säue führen: ich wollt' ihnen alle Hände voll zu thun geben. Säue hab' ich genug im Lande. Er trat ein'ö Fenster und öffnete den Flügel. Eine warme.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/310>, abgerufen am 22.07.2024.