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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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den unsere Zeitungen verdienen, da sie so absurde Fabeln verbreiten; --
denn die "politische Wochenstube" hat schöne Verse, einzelne gute Witze,
wenig Humor und noch weniger Hochverrätherei. Plötzlich erfolgt eine
zweite Erklärung des Prutz, worin er die erste berichtigt, indem
ihm so eben vom Jnquisitoriat in Halle wirklich die Hochverraths-
anklage zugekommen sei. Er fragt zugleich, wie bei der großen Amts¬
verschwiegenheit in Preußen die Berliner Correspondenten drei Wochen
vorher wissen könnten, was der unbeschränkte Regierungsvcrstand be¬
schließen werde. Wer weiß aber, ob nicht die erste Prutz'sche Erklä¬
rung die zweite nothwendig gemacht hat; die hohen Behörden sahen
nämlich erst aus dem Urtheil der Zeitungen, welche schöne Gele¬
genheit ihnen bald entschlüpft wäre, sich wieder einmal -- beliebt zu
machen.

Der würtenbergische "Beobachter" enthält einen vortrefflichen,
mit liebenswürdiger Milde und Klarheit geschriebenen Aussatz über die
Angelegenheit des Professors Bischer "von einem zur Ruhe gesetzten
Denker" (O>-. David Strauß). Die Stellung der Universitäten zu
Staat und Kirche ist in dem kurzen Artikel auf eine Weise bezeichnet,
die den Nagel auf den Kopf trifft. Abgesehen davon, daß die Univer¬
sität keine bloße Scaatsdienerfabrik fein solle -- da der Staat sie zwar
erhalte, aber nicht gestiftet habe, noch als für seine jetzigen Zwecke allein
gestiftet ansehen dürfe -- fragt Strauß, ob es denn wahr sei, daß
die Hochschulen ansingen, minder taugliche Staatsdiener als sonst zu
bilden? Ob man denn über die Recepte der jungen Aerzte, über den
Geist der jungen Assessoren, über die Verwaltung der Forsten und
Gefälle u. s. w. klagen höre? Nein. Blos die Theologie betrafen
jene Klagen. Da frage es sich aber, ob eine Kirchengemeinde selbst
oder nur eine Partei innerhalb derselben diese Beschwerden erhebe.
Immer sei nur der letztere Fall dagewesen. "Ein wirklicher Anstoß,
den ein durch die neuere Schule gebildeter Geistlicher seiner Gemeinde
gegeben hatte, ist noch gar nicht vorgekommen. Sondern, so oft ein
freieres Wort von der Universität her verlautete, wurde im Lande
Sturm gelautet über den möglichen Anstoß, den die unter solchen
Einflüssen erzogenen Geistlichen künstig einmal geben könnten.
El so wartet doch ab, ob sie einen solchen wirklich geben und gebet
nicht voreilig ohne Noth selbst Anstoß durch Euer Lärmgeschrei! Schon
jetzt sind ja viele im Amte, die sich der Richtung der Zeit in der
Wissenschaft nicht verschlossen: und sie all- sind bis jetzt so vernünftig
und gewissenhaft gewesen, der Gemeinde zu geben, was sie bedarf." --
Der Streit komme vorzüglich daher, daß die Theologie auch auf
außertheologischen Gebieten herrschen wolle, in deren Boden sie in
früheren Zeiten Wurzel geschlagen, "wo sie der alleinige Behälter des
geistigen Lebens der abendländischen Nationen gewesen." Der Aesthe-


den unsere Zeitungen verdienen, da sie so absurde Fabeln verbreiten; —
denn die „politische Wochenstube" hat schöne Verse, einzelne gute Witze,
wenig Humor und noch weniger Hochverrätherei. Plötzlich erfolgt eine
zweite Erklärung des Prutz, worin er die erste berichtigt, indem
ihm so eben vom Jnquisitoriat in Halle wirklich die Hochverraths-
anklage zugekommen sei. Er fragt zugleich, wie bei der großen Amts¬
verschwiegenheit in Preußen die Berliner Correspondenten drei Wochen
vorher wissen könnten, was der unbeschränkte Regierungsvcrstand be¬
schließen werde. Wer weiß aber, ob nicht die erste Prutz'sche Erklä¬
rung die zweite nothwendig gemacht hat; die hohen Behörden sahen
nämlich erst aus dem Urtheil der Zeitungen, welche schöne Gele¬
genheit ihnen bald entschlüpft wäre, sich wieder einmal — beliebt zu
machen.

Der würtenbergische „Beobachter" enthält einen vortrefflichen,
mit liebenswürdiger Milde und Klarheit geschriebenen Aussatz über die
Angelegenheit des Professors Bischer „von einem zur Ruhe gesetzten
Denker" (O>-. David Strauß). Die Stellung der Universitäten zu
Staat und Kirche ist in dem kurzen Artikel auf eine Weise bezeichnet,
die den Nagel auf den Kopf trifft. Abgesehen davon, daß die Univer¬
sität keine bloße Scaatsdienerfabrik fein solle — da der Staat sie zwar
erhalte, aber nicht gestiftet habe, noch als für seine jetzigen Zwecke allein
gestiftet ansehen dürfe — fragt Strauß, ob es denn wahr sei, daß
die Hochschulen ansingen, minder taugliche Staatsdiener als sonst zu
bilden? Ob man denn über die Recepte der jungen Aerzte, über den
Geist der jungen Assessoren, über die Verwaltung der Forsten und
Gefälle u. s. w. klagen höre? Nein. Blos die Theologie betrafen
jene Klagen. Da frage es sich aber, ob eine Kirchengemeinde selbst
oder nur eine Partei innerhalb derselben diese Beschwerden erhebe.
Immer sei nur der letztere Fall dagewesen. „Ein wirklicher Anstoß,
den ein durch die neuere Schule gebildeter Geistlicher seiner Gemeinde
gegeben hatte, ist noch gar nicht vorgekommen. Sondern, so oft ein
freieres Wort von der Universität her verlautete, wurde im Lande
Sturm gelautet über den möglichen Anstoß, den die unter solchen
Einflüssen erzogenen Geistlichen künstig einmal geben könnten.
El so wartet doch ab, ob sie einen solchen wirklich geben und gebet
nicht voreilig ohne Noth selbst Anstoß durch Euer Lärmgeschrei! Schon
jetzt sind ja viele im Amte, die sich der Richtung der Zeit in der
Wissenschaft nicht verschlossen: und sie all- sind bis jetzt so vernünftig
und gewissenhaft gewesen, der Gemeinde zu geben, was sie bedarf." —
Der Streit komme vorzüglich daher, daß die Theologie auch auf
außertheologischen Gebieten herrschen wolle, in deren Boden sie in
früheren Zeiten Wurzel geschlagen, „wo sie der alleinige Behälter des
geistigen Lebens der abendländischen Nationen gewesen." Der Aesthe-


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[0296] den unsere Zeitungen verdienen, da sie so absurde Fabeln verbreiten; — denn die „politische Wochenstube" hat schöne Verse, einzelne gute Witze, wenig Humor und noch weniger Hochverrätherei. Plötzlich erfolgt eine zweite Erklärung des Prutz, worin er die erste berichtigt, indem ihm so eben vom Jnquisitoriat in Halle wirklich die Hochverraths- anklage zugekommen sei. Er fragt zugleich, wie bei der großen Amts¬ verschwiegenheit in Preußen die Berliner Correspondenten drei Wochen vorher wissen könnten, was der unbeschränkte Regierungsvcrstand be¬ schließen werde. Wer weiß aber, ob nicht die erste Prutz'sche Erklä¬ rung die zweite nothwendig gemacht hat; die hohen Behörden sahen nämlich erst aus dem Urtheil der Zeitungen, welche schöne Gele¬ genheit ihnen bald entschlüpft wäre, sich wieder einmal — beliebt zu machen. Der würtenbergische „Beobachter" enthält einen vortrefflichen, mit liebenswürdiger Milde und Klarheit geschriebenen Aussatz über die Angelegenheit des Professors Bischer „von einem zur Ruhe gesetzten Denker" (O>-. David Strauß). Die Stellung der Universitäten zu Staat und Kirche ist in dem kurzen Artikel auf eine Weise bezeichnet, die den Nagel auf den Kopf trifft. Abgesehen davon, daß die Univer¬ sität keine bloße Scaatsdienerfabrik fein solle — da der Staat sie zwar erhalte, aber nicht gestiftet habe, noch als für seine jetzigen Zwecke allein gestiftet ansehen dürfe — fragt Strauß, ob es denn wahr sei, daß die Hochschulen ansingen, minder taugliche Staatsdiener als sonst zu bilden? Ob man denn über die Recepte der jungen Aerzte, über den Geist der jungen Assessoren, über die Verwaltung der Forsten und Gefälle u. s. w. klagen höre? Nein. Blos die Theologie betrafen jene Klagen. Da frage es sich aber, ob eine Kirchengemeinde selbst oder nur eine Partei innerhalb derselben diese Beschwerden erhebe. Immer sei nur der letztere Fall dagewesen. „Ein wirklicher Anstoß, den ein durch die neuere Schule gebildeter Geistlicher seiner Gemeinde gegeben hatte, ist noch gar nicht vorgekommen. Sondern, so oft ein freieres Wort von der Universität her verlautete, wurde im Lande Sturm gelautet über den möglichen Anstoß, den die unter solchen Einflüssen erzogenen Geistlichen künstig einmal geben könnten. El so wartet doch ab, ob sie einen solchen wirklich geben und gebet nicht voreilig ohne Noth selbst Anstoß durch Euer Lärmgeschrei! Schon jetzt sind ja viele im Amte, die sich der Richtung der Zeit in der Wissenschaft nicht verschlossen: und sie all- sind bis jetzt so vernünftig und gewissenhaft gewesen, der Gemeinde zu geben, was sie bedarf." — Der Streit komme vorzüglich daher, daß die Theologie auch auf außertheologischen Gebieten herrschen wolle, in deren Boden sie in früheren Zeiten Wurzel geschlagen, „wo sie der alleinige Behälter des geistigen Lebens der abendländischen Nationen gewesen." Der Aesthe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/296>, abgerufen am 28.09.2024.