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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Feste waren und den echt deutschen Dichter feierten, der seinem Va¬
terlande zuruft: "An Deutschlands Halse wein' Dich aus!" ".

-- Die preußischen Hochverrarhsvrocesse sangen an, so wohlfeil
zu werden, wie die Spatzenorden vierter Klasse, von denen jüngst zwei-
hundertfunfzig Stück auf einmal ausgetheilt wurden. Preußen ist
nämlich ein junger Staat, der aber nicht, wie andere Emporkömlinge,
auf die Jugend herabsieht) nein, in Preußen kann man's noch zu
was bringen und ehe man sich versieht, hat man eine historisch poli¬
tische Bedeutung. Byron erwachte eines Morgens und fand sich be¬
rühmt; ein Preuße kann sehr phlegmatisch zu Bette gehen und über
Nacht ist er -- staatsgcfäyrlich geworden. Plötzlich stehen die hohen
Doctoren vor seinem Bett und sprechen: "Erschrecken Sie nicht. 'S ist
blos wegen Hochverrath. Sie haben vielleicht im Vorbeigehen etwas
an der Staatsmaschine verrückt oder in Gedanken dem Rad der Ge¬
schichte in die Speichen gegriffen. Kleinigkeit! Passirt oft!" --Wenn
man zwischen einem Tendenzproceß in Oesterreich und einer politischen
Untersuchung in Preußen zu wählen hätte: -- die Wahl könnte Einem
schwer werden. Das alte Oesterreich thut doch gar zu stolz und ari¬
stokratisch; wenn man nicht wirklich, wie ein polnischer oder ungari¬
scher Cavalier, sich mit der Macht, staatsgefährlich zu handeln,
ausweisen kann, so bringt man es sein Lebtage nicht bis zum Hoch¬
verräter. Einem Literaten thut man schon gar nicht die Ehre an;
der wird wie ein Lump behandelt, man setzt ihn auf den Schub,
Schnauze ihn grob an, entläßt ihn wie einen Schuljungen mit einer
Disciplinarstrase und behalt ihn väterlich im Aug'. Das ist aller¬
dings nicht so gefährlich, aber beleidigend. Preußen dagegen ist viel
moderner und gebildeter; Preußen erkennt die Macht der Literatur offen
an. Mit Achtung, wie einem tapfern und mächtigen Feinde, begegnet
es dem illoyalen Literaten; ja wie ein Privatmann, der gegen den
andern processirt, so rüstet sich die preußische Regierung gegen den ein¬
zelnen Schriftsteller; sie bietet alle Waffen des Gesetzes, alle juristischen
Finten und Paraden auf und geht so weit in ihrer Feindseligkeit ge¬
gen ihn, als das Kammergericht nur immer gestattet. Sie vergibt
lieber sich selbst, als dem Ansehen, welches die Literatur in der öffent¬
lichen Meinung hat. -- In neuester Zeit wenigstens haben sich diese
Gegensätze so herausgestellt. -- Der neueste preußische Hochverraths-
proceß. der gegen Robert Prutz eingeleitet ist, hat noch eine besonders
komische Seite. Bereits vor einigen Wochen war er in der Aachener
Zeitung angekündigt. Prutz, der Nichts davon wußte, erklärt in der
Deutschen und Augsburger Allgemeinen, zur Ehre der preußischen Be¬
hörden müsse er die Nachricht für eine müßige Erfindung halten.
Allen Lesern der "politischen Wochenstube," die als Anklagegrund an¬
gegeben wird, leuchtet es bei dieser Gelegenheit ein, wie wenig Glan-


Feste waren und den echt deutschen Dichter feierten, der seinem Va¬
terlande zuruft: „An Deutschlands Halse wein' Dich aus!" ".

— Die preußischen Hochverrarhsvrocesse sangen an, so wohlfeil
zu werden, wie die Spatzenorden vierter Klasse, von denen jüngst zwei-
hundertfunfzig Stück auf einmal ausgetheilt wurden. Preußen ist
nämlich ein junger Staat, der aber nicht, wie andere Emporkömlinge,
auf die Jugend herabsieht) nein, in Preußen kann man's noch zu
was bringen und ehe man sich versieht, hat man eine historisch poli¬
tische Bedeutung. Byron erwachte eines Morgens und fand sich be¬
rühmt; ein Preuße kann sehr phlegmatisch zu Bette gehen und über
Nacht ist er — staatsgcfäyrlich geworden. Plötzlich stehen die hohen
Doctoren vor seinem Bett und sprechen: „Erschrecken Sie nicht. 'S ist
blos wegen Hochverrath. Sie haben vielleicht im Vorbeigehen etwas
an der Staatsmaschine verrückt oder in Gedanken dem Rad der Ge¬
schichte in die Speichen gegriffen. Kleinigkeit! Passirt oft!" —Wenn
man zwischen einem Tendenzproceß in Oesterreich und einer politischen
Untersuchung in Preußen zu wählen hätte: — die Wahl könnte Einem
schwer werden. Das alte Oesterreich thut doch gar zu stolz und ari¬
stokratisch; wenn man nicht wirklich, wie ein polnischer oder ungari¬
scher Cavalier, sich mit der Macht, staatsgefährlich zu handeln,
ausweisen kann, so bringt man es sein Lebtage nicht bis zum Hoch¬
verräter. Einem Literaten thut man schon gar nicht die Ehre an;
der wird wie ein Lump behandelt, man setzt ihn auf den Schub,
Schnauze ihn grob an, entläßt ihn wie einen Schuljungen mit einer
Disciplinarstrase und behalt ihn väterlich im Aug'. Das ist aller¬
dings nicht so gefährlich, aber beleidigend. Preußen dagegen ist viel
moderner und gebildeter; Preußen erkennt die Macht der Literatur offen
an. Mit Achtung, wie einem tapfern und mächtigen Feinde, begegnet
es dem illoyalen Literaten; ja wie ein Privatmann, der gegen den
andern processirt, so rüstet sich die preußische Regierung gegen den ein¬
zelnen Schriftsteller; sie bietet alle Waffen des Gesetzes, alle juristischen
Finten und Paraden auf und geht so weit in ihrer Feindseligkeit ge¬
gen ihn, als das Kammergericht nur immer gestattet. Sie vergibt
lieber sich selbst, als dem Ansehen, welches die Literatur in der öffent¬
lichen Meinung hat. — In neuester Zeit wenigstens haben sich diese
Gegensätze so herausgestellt. — Der neueste preußische Hochverraths-
proceß. der gegen Robert Prutz eingeleitet ist, hat noch eine besonders
komische Seite. Bereits vor einigen Wochen war er in der Aachener
Zeitung angekündigt. Prutz, der Nichts davon wußte, erklärt in der
Deutschen und Augsburger Allgemeinen, zur Ehre der preußischen Be¬
hörden müsse er die Nachricht für eine müßige Erfindung halten.
Allen Lesern der „politischen Wochenstube," die als Anklagegrund an¬
gegeben wird, leuchtet es bei dieser Gelegenheit ein, wie wenig Glan-


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[0295] Feste waren und den echt deutschen Dichter feierten, der seinem Va¬ terlande zuruft: „An Deutschlands Halse wein' Dich aus!" ". — Die preußischen Hochverrarhsvrocesse sangen an, so wohlfeil zu werden, wie die Spatzenorden vierter Klasse, von denen jüngst zwei- hundertfunfzig Stück auf einmal ausgetheilt wurden. Preußen ist nämlich ein junger Staat, der aber nicht, wie andere Emporkömlinge, auf die Jugend herabsieht) nein, in Preußen kann man's noch zu was bringen und ehe man sich versieht, hat man eine historisch poli¬ tische Bedeutung. Byron erwachte eines Morgens und fand sich be¬ rühmt; ein Preuße kann sehr phlegmatisch zu Bette gehen und über Nacht ist er — staatsgcfäyrlich geworden. Plötzlich stehen die hohen Doctoren vor seinem Bett und sprechen: „Erschrecken Sie nicht. 'S ist blos wegen Hochverrath. Sie haben vielleicht im Vorbeigehen etwas an der Staatsmaschine verrückt oder in Gedanken dem Rad der Ge¬ schichte in die Speichen gegriffen. Kleinigkeit! Passirt oft!" —Wenn man zwischen einem Tendenzproceß in Oesterreich und einer politischen Untersuchung in Preußen zu wählen hätte: — die Wahl könnte Einem schwer werden. Das alte Oesterreich thut doch gar zu stolz und ari¬ stokratisch; wenn man nicht wirklich, wie ein polnischer oder ungari¬ scher Cavalier, sich mit der Macht, staatsgefährlich zu handeln, ausweisen kann, so bringt man es sein Lebtage nicht bis zum Hoch¬ verräter. Einem Literaten thut man schon gar nicht die Ehre an; der wird wie ein Lump behandelt, man setzt ihn auf den Schub, Schnauze ihn grob an, entläßt ihn wie einen Schuljungen mit einer Disciplinarstrase und behalt ihn väterlich im Aug'. Das ist aller¬ dings nicht so gefährlich, aber beleidigend. Preußen dagegen ist viel moderner und gebildeter; Preußen erkennt die Macht der Literatur offen an. Mit Achtung, wie einem tapfern und mächtigen Feinde, begegnet es dem illoyalen Literaten; ja wie ein Privatmann, der gegen den andern processirt, so rüstet sich die preußische Regierung gegen den ein¬ zelnen Schriftsteller; sie bietet alle Waffen des Gesetzes, alle juristischen Finten und Paraden auf und geht so weit in ihrer Feindseligkeit ge¬ gen ihn, als das Kammergericht nur immer gestattet. Sie vergibt lieber sich selbst, als dem Ansehen, welches die Literatur in der öffent¬ lichen Meinung hat. — In neuester Zeit wenigstens haben sich diese Gegensätze so herausgestellt. — Der neueste preußische Hochverraths- proceß. der gegen Robert Prutz eingeleitet ist, hat noch eine besonders komische Seite. Bereits vor einigen Wochen war er in der Aachener Zeitung angekündigt. Prutz, der Nichts davon wußte, erklärt in der Deutschen und Augsburger Allgemeinen, zur Ehre der preußischen Be¬ hörden müsse er die Nachricht für eine müßige Erfindung halten. Allen Lesern der „politischen Wochenstube," die als Anklagegrund an¬ gegeben wird, leuchtet es bei dieser Gelegenheit ein, wie wenig Glan-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/295>, abgerufen am 26.06.2024.