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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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des Jndustrialismus und der Regierung, er compromittirte sich sogar
mit größter Seelenruhe für dieselbe. Als beantragt wurde, daß der
Localverein sich im Allgemeinen zu den Grundsätzen der Kabinetsordre
bekennen möge, trat Hr. Hermes auf und bemerkte: daß es einem
Preußen nicht erlaubt sein könne, sich nur im Allgemeinen zu den
Ansichten seines Königs zu bekennen: ein guter Preuße werde das
auch ganz im Besonderen thun. Solche Behauptung erregte natür¬
lich einen großen Sturm, aber Hr. Hermes behielt seine ganze Ruhe
und trat sogar für seine "Ueberzeugung" noch in der Vossischen Zei¬
tung auf, indem er erklärte, daß sein Ausspruch nicht servil, sondern
nur loyal gewesen sei. Hr. Hermes muß freilich solche öffentliche
Gelegenheiten benutzen, um seine Loyalität am rechten Orte in Erin¬
nerung zu bringen und alle seine Talente zu entwickeln. Aber nicht
einmal das Berliner Bürgerthum hat sich durch seine große Ruhe
und durch seine Redefertigkeit für ihn gewinnen lassen und wir hör¬
ten von einem schlichten Bürger in einer vorbereitenden Versammlung
des Localvereins über Hermes und seine Stellung Ansichten ausspre¬
chen, deren Offenheit und Energie unser Erstaunen erregte. Männer,
wie Huber, Hermes und Rousseau, die sich zu Rittern des Bestehenden
machen, sind sehr traurige Spätlinge; das Geschlecht der Genz scheint
verloren gegangen. In einer ganz eigenthümlichen Stellung ist uns
Brüggemann erschienen. Brüggemann ist eine durch und durch
noble Natur. Der Vorwurf der Unredlichkeit trifft ihn nicht, aber
er wagt es nie, die Consequenzen seiner eigenen Prinzipien entschieden
geltend zu machen. Er steht nicht über den Verhältnissen, er bleibt
immer zwischen ihnen. So ist er auch mit sich selber in Widerspruch.
Er saß im Conn"- und half Ansichten vertheidigen, an die er im
Grunde feines Herzens nicht glaubt. Aber er bringt solche Opfer,
um "praktische" Resultate und einen festen Punkt zu gewinnen. Er
will sich "einwurzeln," wie er es selber genannt hat; er vergißt, daß
solcher Schlauheit eine nicht geringere, mit aller Gewalt versehene mi߬
trauisch gegenübersteht, und daß das Terrain, welches er mühselig durch
Rücksichtsnahmen aller Art zu gewinnen sucht, dann immer noch nicht
sein eignes, sondern der Boden seines Feindes ist. Brüggemann
glaubt unterminiren zu können. Dazu sitzen noch viele vurschenschast-
liche Elemente in diesem charaktectüchtigcn Manne. Sollen wir nun
noch von Nauwerk reden, so können wir sagen, daß in ihm das
Prinzip des gutmüthigen Na d i causa us zum Vorschein kommt.
Nauwerk, dessen akademische Reden so viel Aussehen machten, nicht
ihres Inhaltes halber, sondern weil sie akademisch waren und man
eine große Prinzipienfrage an seine Stellung knüpfte, spinnt seine Ge¬
dankengänge, wie ein deutscher Professor aus. Er bewegt sich in
scholastischen Formen, er hat ein Schema fertig, wohinein Alles passen
muß und wenn er zu einer scharfen Spitze gekommen ist, so


des Jndustrialismus und der Regierung, er compromittirte sich sogar
mit größter Seelenruhe für dieselbe. Als beantragt wurde, daß der
Localverein sich im Allgemeinen zu den Grundsätzen der Kabinetsordre
bekennen möge, trat Hr. Hermes auf und bemerkte: daß es einem
Preußen nicht erlaubt sein könne, sich nur im Allgemeinen zu den
Ansichten seines Königs zu bekennen: ein guter Preuße werde das
auch ganz im Besonderen thun. Solche Behauptung erregte natür¬
lich einen großen Sturm, aber Hr. Hermes behielt seine ganze Ruhe
und trat sogar für seine „Ueberzeugung" noch in der Vossischen Zei¬
tung auf, indem er erklärte, daß sein Ausspruch nicht servil, sondern
nur loyal gewesen sei. Hr. Hermes muß freilich solche öffentliche
Gelegenheiten benutzen, um seine Loyalität am rechten Orte in Erin¬
nerung zu bringen und alle seine Talente zu entwickeln. Aber nicht
einmal das Berliner Bürgerthum hat sich durch seine große Ruhe
und durch seine Redefertigkeit für ihn gewinnen lassen und wir hör¬
ten von einem schlichten Bürger in einer vorbereitenden Versammlung
des Localvereins über Hermes und seine Stellung Ansichten ausspre¬
chen, deren Offenheit und Energie unser Erstaunen erregte. Männer,
wie Huber, Hermes und Rousseau, die sich zu Rittern des Bestehenden
machen, sind sehr traurige Spätlinge; das Geschlecht der Genz scheint
verloren gegangen. In einer ganz eigenthümlichen Stellung ist uns
Brüggemann erschienen. Brüggemann ist eine durch und durch
noble Natur. Der Vorwurf der Unredlichkeit trifft ihn nicht, aber
er wagt es nie, die Consequenzen seiner eigenen Prinzipien entschieden
geltend zu machen. Er steht nicht über den Verhältnissen, er bleibt
immer zwischen ihnen. So ist er auch mit sich selber in Widerspruch.
Er saß im Conn«- und half Ansichten vertheidigen, an die er im
Grunde feines Herzens nicht glaubt. Aber er bringt solche Opfer,
um „praktische" Resultate und einen festen Punkt zu gewinnen. Er
will sich „einwurzeln," wie er es selber genannt hat; er vergißt, daß
solcher Schlauheit eine nicht geringere, mit aller Gewalt versehene mi߬
trauisch gegenübersteht, und daß das Terrain, welches er mühselig durch
Rücksichtsnahmen aller Art zu gewinnen sucht, dann immer noch nicht
sein eignes, sondern der Boden seines Feindes ist. Brüggemann
glaubt unterminiren zu können. Dazu sitzen noch viele vurschenschast-
liche Elemente in diesem charaktectüchtigcn Manne. Sollen wir nun
noch von Nauwerk reden, so können wir sagen, daß in ihm das
Prinzip des gutmüthigen Na d i causa us zum Vorschein kommt.
Nauwerk, dessen akademische Reden so viel Aussehen machten, nicht
ihres Inhaltes halber, sondern weil sie akademisch waren und man
eine große Prinzipienfrage an seine Stellung knüpfte, spinnt seine Ge¬
dankengänge, wie ein deutscher Professor aus. Er bewegt sich in
scholastischen Formen, er hat ein Schema fertig, wohinein Alles passen
muß und wenn er zu einer scharfen Spitze gekommen ist, so


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[0289] des Jndustrialismus und der Regierung, er compromittirte sich sogar mit größter Seelenruhe für dieselbe. Als beantragt wurde, daß der Localverein sich im Allgemeinen zu den Grundsätzen der Kabinetsordre bekennen möge, trat Hr. Hermes auf und bemerkte: daß es einem Preußen nicht erlaubt sein könne, sich nur im Allgemeinen zu den Ansichten seines Königs zu bekennen: ein guter Preuße werde das auch ganz im Besonderen thun. Solche Behauptung erregte natür¬ lich einen großen Sturm, aber Hr. Hermes behielt seine ganze Ruhe und trat sogar für seine „Ueberzeugung" noch in der Vossischen Zei¬ tung auf, indem er erklärte, daß sein Ausspruch nicht servil, sondern nur loyal gewesen sei. Hr. Hermes muß freilich solche öffentliche Gelegenheiten benutzen, um seine Loyalität am rechten Orte in Erin¬ nerung zu bringen und alle seine Talente zu entwickeln. Aber nicht einmal das Berliner Bürgerthum hat sich durch seine große Ruhe und durch seine Redefertigkeit für ihn gewinnen lassen und wir hör¬ ten von einem schlichten Bürger in einer vorbereitenden Versammlung des Localvereins über Hermes und seine Stellung Ansichten ausspre¬ chen, deren Offenheit und Energie unser Erstaunen erregte. Männer, wie Huber, Hermes und Rousseau, die sich zu Rittern des Bestehenden machen, sind sehr traurige Spätlinge; das Geschlecht der Genz scheint verloren gegangen. In einer ganz eigenthümlichen Stellung ist uns Brüggemann erschienen. Brüggemann ist eine durch und durch noble Natur. Der Vorwurf der Unredlichkeit trifft ihn nicht, aber er wagt es nie, die Consequenzen seiner eigenen Prinzipien entschieden geltend zu machen. Er steht nicht über den Verhältnissen, er bleibt immer zwischen ihnen. So ist er auch mit sich selber in Widerspruch. Er saß im Conn«- und half Ansichten vertheidigen, an die er im Grunde feines Herzens nicht glaubt. Aber er bringt solche Opfer, um „praktische" Resultate und einen festen Punkt zu gewinnen. Er will sich „einwurzeln," wie er es selber genannt hat; er vergißt, daß solcher Schlauheit eine nicht geringere, mit aller Gewalt versehene mi߬ trauisch gegenübersteht, und daß das Terrain, welches er mühselig durch Rücksichtsnahmen aller Art zu gewinnen sucht, dann immer noch nicht sein eignes, sondern der Boden seines Feindes ist. Brüggemann glaubt unterminiren zu können. Dazu sitzen noch viele vurschenschast- liche Elemente in diesem charaktectüchtigcn Manne. Sollen wir nun noch von Nauwerk reden, so können wir sagen, daß in ihm das Prinzip des gutmüthigen Na d i causa us zum Vorschein kommt. Nauwerk, dessen akademische Reden so viel Aussehen machten, nicht ihres Inhaltes halber, sondern weil sie akademisch waren und man eine große Prinzipienfrage an seine Stellung knüpfte, spinnt seine Ge¬ dankengänge, wie ein deutscher Professor aus. Er bewegt sich in scholastischen Formen, er hat ein Schema fertig, wohinein Alles passen muß und wenn er zu einer scharfen Spitze gekommen ist, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/289>, abgerufen am 26.06.2024.