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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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plötzlich abnimmt und nur die Altgedienten und Verwegensten im
Solde bleiben, kaufen sich die brodlos gewordenen Parteigänger des
Grenzgebietes fünf oder sechs Pfund Tabak, begeben sich damit an
die Grenzlinie und wissen es so dumm anzustellen, daß sie nothwen¬
dig gefangen werden müssen. Da nun nach den österreichischen Ge¬
setzen für Gefällsübertretungen auf jedes Pfund geschwärzten Tabaks
ein Monat Zuchthaus bemessen ist, so reicht die über den Erwischten
verhängte Strafe gerade hin, um ihn den Winter hindurch der Sorge
der Selbfterhaltiing zu überheben und diese dem Vaterherzen der stra¬
fenden Staatsgewalt zuzuwälzen. Wie sehr ein solches Treiben die
Entsittlichung der Massen befördern müsse, leuchtet Jedermann ein,
allein es frägt sich blos, wie diesem Uebel abzuhelfen sei, ohne ein
drakonisches Gesetzbuch zu schreiben und die laufenden Ausgaben der
Staatsverwaltung zu decken?

Das System der Handelsfreiheit, zu welchem sich mit einigen
Modifikationen noch immer der deutsche Zollverein bekennt, bildet den
strengen Gegensatz zu dem eisernen Prohibitivsystem, das man in
Oesterreich adoptirt, und es lag daher ganz nahe, daß man die Mit¬
telstraße einzuschlagen sucht und die Schutzzölle zu Ehren bringen
will, die selbst von den industriellsten Staaten des Welttheils auch
als nützlich erkannt werden, wie das Beispiel Englands, Frankreichs
und Belgiens beweist. Außer Oesterreich ist Rußland das einzige euro¬
päische Land, in welchem das Prohibitivsystem noch in Ansehen steht;
und wenn das letztere sich bei demselben nicht schlecht befindet, so
darf man nicht vergessen, daß Oesterreich und Nußland wenig Aehn-
lichkeit haben und Nußland große Landstriche besitzt, welche wenig
Jndustrieerzeugnisse bedürfen, und daß es sich stark auf Asien stützt. Dabei
kommt diesem Staate auch der niedrige Grad persönlicher Freiheit zu
Statten, der es erlaubt, das auf ein Minimum politischer Rechte ba-
sirte Prohibitivsystem in seiner ganzen herben Strenge durchzuführen.

Das Resultat dieser Bedenken, oder vielmehr die Vorrede der
österreichischen Zollreform kommt uns in der am I. Juli 1844 in
Wirksamkeit getretenen Zollherabsetzung für wahre Industrie- und Eo-
lonialwaaren entgegen, denn nur wenn man diese Veröffentlichung
als eine Einleitung zu weiteren Maßregeln und systematischer Ver¬
wandlung des Tarifs betrachtet, kann derselben eine höhere politische
und kommerzielle Wichtigkeit beigelegt werden. Als Ganzes wäre


plötzlich abnimmt und nur die Altgedienten und Verwegensten im
Solde bleiben, kaufen sich die brodlos gewordenen Parteigänger des
Grenzgebietes fünf oder sechs Pfund Tabak, begeben sich damit an
die Grenzlinie und wissen es so dumm anzustellen, daß sie nothwen¬
dig gefangen werden müssen. Da nun nach den österreichischen Ge¬
setzen für Gefällsübertretungen auf jedes Pfund geschwärzten Tabaks
ein Monat Zuchthaus bemessen ist, so reicht die über den Erwischten
verhängte Strafe gerade hin, um ihn den Winter hindurch der Sorge
der Selbfterhaltiing zu überheben und diese dem Vaterherzen der stra¬
fenden Staatsgewalt zuzuwälzen. Wie sehr ein solches Treiben die
Entsittlichung der Massen befördern müsse, leuchtet Jedermann ein,
allein es frägt sich blos, wie diesem Uebel abzuhelfen sei, ohne ein
drakonisches Gesetzbuch zu schreiben und die laufenden Ausgaben der
Staatsverwaltung zu decken?

Das System der Handelsfreiheit, zu welchem sich mit einigen
Modifikationen noch immer der deutsche Zollverein bekennt, bildet den
strengen Gegensatz zu dem eisernen Prohibitivsystem, das man in
Oesterreich adoptirt, und es lag daher ganz nahe, daß man die Mit¬
telstraße einzuschlagen sucht und die Schutzzölle zu Ehren bringen
will, die selbst von den industriellsten Staaten des Welttheils auch
als nützlich erkannt werden, wie das Beispiel Englands, Frankreichs
und Belgiens beweist. Außer Oesterreich ist Rußland das einzige euro¬
päische Land, in welchem das Prohibitivsystem noch in Ansehen steht;
und wenn das letztere sich bei demselben nicht schlecht befindet, so
darf man nicht vergessen, daß Oesterreich und Nußland wenig Aehn-
lichkeit haben und Nußland große Landstriche besitzt, welche wenig
Jndustrieerzeugnisse bedürfen, und daß es sich stark auf Asien stützt. Dabei
kommt diesem Staate auch der niedrige Grad persönlicher Freiheit zu
Statten, der es erlaubt, das auf ein Minimum politischer Rechte ba-
sirte Prohibitivsystem in seiner ganzen herben Strenge durchzuführen.

Das Resultat dieser Bedenken, oder vielmehr die Vorrede der
österreichischen Zollreform kommt uns in der am I. Juli 1844 in
Wirksamkeit getretenen Zollherabsetzung für wahre Industrie- und Eo-
lonialwaaren entgegen, denn nur wenn man diese Veröffentlichung
als eine Einleitung zu weiteren Maßregeln und systematischer Ver¬
wandlung des Tarifs betrachtet, kann derselben eine höhere politische
und kommerzielle Wichtigkeit beigelegt werden. Als Ganzes wäre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/27>, abgerufen am 22.07.2024.