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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Reichsfeinde erklärt. Morgen aber macht Euch mit dem Frühsten
aus dem Staube, sonst soll das Donnerwetter meinerseits in Euch
dreinschlagen!"

Die Aeltesten der Dorfschaft waren inzwischen herangetreten und
standen ehrfurchtsvoll, seines Winkes gewärtig. "Nun, Ihr Väter
der Gemeinde," redete er sie halb spottend an, "der Himmel hat uns,
wie Figura zeigt, mit seinem Zorn verschont! Ihr meint wohl, Euer
Singen und Beten hab' es gethan? Ja, Prosit Mahlzeit, das eiserne
Ding mit der goldnen Spitze, das ich Euch auf den Kirchthurm setzen
ließ, hat's gethan. Wie ich Euch die Stange einschmieden ließ, da
habt Ihr Euch zusammengerottet und Euch gegen die ketzerische Neue¬
rung verschworen. Ihr meint, weil ich ein lutherischer Mensch bin,
so hätt' ich eitlen apparten Herrgott und wüßte Nichts vom echten,
vom rechten. Ich sag' Euch, meine Thurmspitzen reichen eben so
weit in den Himmel hinein, als die Eurigen. Daß Ihr Vierfüßer
an Verstände seid, das weiß ich; aber wenn Ihr noch lange murrt
und brummt, daß mein Blitzableiter ein Werk des Teufels sei, so
verblendet Ihr, daß ich Euch wechselweise bald von römischen Bet¬
telmönchen, bald von preußischen Werbern schinden und ausplündern
ließe. Ich habe, Gott sei Dank, nur dies eine katholische Dorf,
aber ich schwör's Euch zu, bei allen Euern neunundneunzig Heiligen,
ich will hier so gut, wie in meinen andern Landen, die gesunde Ver¬
nunft zu Ehren bringen. Basta, damit Gott befohlen! Oder habt
Ihr noch was zu reden?" Die angedonnerten Väter der Gemeinde
zogen sich scheu zurück. In hastiger Bewegung und mit den Farben
des Zorns im Angesicht fuhr der Reichsgraf im Zimmer noch auf
und ab. Die funkelnden Blicke, mit denen er die Anwesenden durch¬
musterte, schienen noch ein anderes Opfer zu suchen. "Wo ist der
Pfarrer? Ich will den Pfaffen sprechen!" rief er seiner Umgebung
zu. -- "Ich lasse den ehrwürdigen Herrn Pater bitten!" setzte er
milder hinzu, indem er sich zu besinnen schien, daß sein barscher Ton
Anstoß erregen mußte. -- In dem Antlitz des merkwürdigen Man¬
nes lag jenes deutsche Gemisch von barockem Humor und einer gar
gutmüthigen Ehrlichkeit des Herzens. Hinter den gewölbten Augen¬
brauen und auf der hohen Stirn thronte in starken Zügen jene Zu¬
versicht des Geistes, die immer sicher auf Gott zu rechnen weiß, und
doch sprach sich in der Muskelkraft dieses biedern Antlitzes ein ge-


Reichsfeinde erklärt. Morgen aber macht Euch mit dem Frühsten
aus dem Staube, sonst soll das Donnerwetter meinerseits in Euch
dreinschlagen!"

Die Aeltesten der Dorfschaft waren inzwischen herangetreten und
standen ehrfurchtsvoll, seines Winkes gewärtig. „Nun, Ihr Väter
der Gemeinde," redete er sie halb spottend an, „der Himmel hat uns,
wie Figura zeigt, mit seinem Zorn verschont! Ihr meint wohl, Euer
Singen und Beten hab' es gethan? Ja, Prosit Mahlzeit, das eiserne
Ding mit der goldnen Spitze, das ich Euch auf den Kirchthurm setzen
ließ, hat's gethan. Wie ich Euch die Stange einschmieden ließ, da
habt Ihr Euch zusammengerottet und Euch gegen die ketzerische Neue¬
rung verschworen. Ihr meint, weil ich ein lutherischer Mensch bin,
so hätt' ich eitlen apparten Herrgott und wüßte Nichts vom echten,
vom rechten. Ich sag' Euch, meine Thurmspitzen reichen eben so
weit in den Himmel hinein, als die Eurigen. Daß Ihr Vierfüßer
an Verstände seid, das weiß ich; aber wenn Ihr noch lange murrt
und brummt, daß mein Blitzableiter ein Werk des Teufels sei, so
verblendet Ihr, daß ich Euch wechselweise bald von römischen Bet¬
telmönchen, bald von preußischen Werbern schinden und ausplündern
ließe. Ich habe, Gott sei Dank, nur dies eine katholische Dorf,
aber ich schwör's Euch zu, bei allen Euern neunundneunzig Heiligen,
ich will hier so gut, wie in meinen andern Landen, die gesunde Ver¬
nunft zu Ehren bringen. Basta, damit Gott befohlen! Oder habt
Ihr noch was zu reden?" Die angedonnerten Väter der Gemeinde
zogen sich scheu zurück. In hastiger Bewegung und mit den Farben
des Zorns im Angesicht fuhr der Reichsgraf im Zimmer noch auf
und ab. Die funkelnden Blicke, mit denen er die Anwesenden durch¬
musterte, schienen noch ein anderes Opfer zu suchen. „Wo ist der
Pfarrer? Ich will den Pfaffen sprechen!" rief er seiner Umgebung
zu. — „Ich lasse den ehrwürdigen Herrn Pater bitten!" setzte er
milder hinzu, indem er sich zu besinnen schien, daß sein barscher Ton
Anstoß erregen mußte. — In dem Antlitz des merkwürdigen Man¬
nes lag jenes deutsche Gemisch von barockem Humor und einer gar
gutmüthigen Ehrlichkeit des Herzens. Hinter den gewölbten Augen¬
brauen und auf der hohen Stirn thronte in starken Zügen jene Zu¬
versicht des Geistes, die immer sicher auf Gott zu rechnen weiß, und
doch sprach sich in der Muskelkraft dieses biedern Antlitzes ein ge-


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[0264] Reichsfeinde erklärt. Morgen aber macht Euch mit dem Frühsten aus dem Staube, sonst soll das Donnerwetter meinerseits in Euch dreinschlagen!" Die Aeltesten der Dorfschaft waren inzwischen herangetreten und standen ehrfurchtsvoll, seines Winkes gewärtig. „Nun, Ihr Väter der Gemeinde," redete er sie halb spottend an, „der Himmel hat uns, wie Figura zeigt, mit seinem Zorn verschont! Ihr meint wohl, Euer Singen und Beten hab' es gethan? Ja, Prosit Mahlzeit, das eiserne Ding mit der goldnen Spitze, das ich Euch auf den Kirchthurm setzen ließ, hat's gethan. Wie ich Euch die Stange einschmieden ließ, da habt Ihr Euch zusammengerottet und Euch gegen die ketzerische Neue¬ rung verschworen. Ihr meint, weil ich ein lutherischer Mensch bin, so hätt' ich eitlen apparten Herrgott und wüßte Nichts vom echten, vom rechten. Ich sag' Euch, meine Thurmspitzen reichen eben so weit in den Himmel hinein, als die Eurigen. Daß Ihr Vierfüßer an Verstände seid, das weiß ich; aber wenn Ihr noch lange murrt und brummt, daß mein Blitzableiter ein Werk des Teufels sei, so verblendet Ihr, daß ich Euch wechselweise bald von römischen Bet¬ telmönchen, bald von preußischen Werbern schinden und ausplündern ließe. Ich habe, Gott sei Dank, nur dies eine katholische Dorf, aber ich schwör's Euch zu, bei allen Euern neunundneunzig Heiligen, ich will hier so gut, wie in meinen andern Landen, die gesunde Ver¬ nunft zu Ehren bringen. Basta, damit Gott befohlen! Oder habt Ihr noch was zu reden?" Die angedonnerten Väter der Gemeinde zogen sich scheu zurück. In hastiger Bewegung und mit den Farben des Zorns im Angesicht fuhr der Reichsgraf im Zimmer noch auf und ab. Die funkelnden Blicke, mit denen er die Anwesenden durch¬ musterte, schienen noch ein anderes Opfer zu suchen. „Wo ist der Pfarrer? Ich will den Pfaffen sprechen!" rief er seiner Umgebung zu. — „Ich lasse den ehrwürdigen Herrn Pater bitten!" setzte er milder hinzu, indem er sich zu besinnen schien, daß sein barscher Ton Anstoß erregen mußte. — In dem Antlitz des merkwürdigen Man¬ nes lag jenes deutsche Gemisch von barockem Humor und einer gar gutmüthigen Ehrlichkeit des Herzens. Hinter den gewölbten Augen¬ brauen und auf der hohen Stirn thronte in starken Zügen jene Zu¬ versicht des Geistes, die immer sicher auf Gott zu rechnen weiß, und doch sprach sich in der Muskelkraft dieses biedern Antlitzes ein ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/264>, abgerufen am 22.07.2024.