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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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ihm als zu dem Gott der Gnade, vor dem die Creatur in ihrem
Nichts zusammensinkt, Sie stellen ihn sehr hoch, aber erheben sich
nicht zu ihm. Die Andern drängen sich keck ihm zur Seite, nennen
ihn ihren weisen Lehrer, einen aufgeklärten Menschen, der die reinste
Moral gepredigt, aber sich leider soviel Wundergeschichten aufbürden
ließ. Also bis zum Wunder, bis zur Anerkennung der Macht des
Geistes über den Leib bringen sie es nicht? Wer fühlt nicht, daß
das Christenthum reich genug ist, um alle diese Secten zu umfassen,
in denen bald das Herz, bald der Verstand vorherrschend Sprache
gewonnen! Aber sie haben den Mantel Christi in tausend Stücke
zerfetzt, und jede Partei hält den abgerissenen Zipfel für den aus¬
schließlichen Inbegriff seiner heiligen Erscheinung auf Erden! In der
freien Reichsstadt Ulm, die in ihren Mauern nur lutherische Christen
duldet und einem Reformirten kaum für Eine Nacht ein Ruhelager
gestattet, las ich an den Straßenecken als Neuigkeit den Anschlag
eines Buches mit dem Titel: "Lieber türk'sah als calvin'sah!" -- Wie
wir in Stuttgart Rasttag hielten, brachte mir der Gastwirth auf meine
Bitte um ein gutes deutsches Buch ganz heimlich das Buch der Bü¬
cher. Aber es war in einer eigenthümlichen Abfassung, es war die
sogenannte Wertheim'sche Bibel. Die alte Bildersprache ist hier in
gewöhnliche Ausdrücke, in profane Redensarten von heute verwandelt.
Diese gemeine Sprache läßt sich nicht mehr mit Erfolg ciriren, oder
die Prophetie der Bibel verliert darin ihr Gewicht. Deshalb haben
die frommen Leute in Halle die "Bosheit" dieses Uebersetzers entlarvt.
Es sei in tausend Jahren kein so heilloser Betrug gespielt. Der Gast¬
wirth zur goldenen Gans in Stuttgart schlug mir im "Reichspost¬
reuter" aus alten Jahrgängen die Verbote auf. Die gute Stadt
Nürnberg hat das Vergehen, diese Bibel zu lesen, auf fünfzig Thaler
gutes Courant angeschlagen. Kursachsen meinte, das Verbrechen sei
hundert Thaler werth, und die Krone Preußen verstieg sich bei Con¬
fiscation der Wertheimer Bibel auf hundert Goldgulden. " Wir in
Stuckert," sagte der gemüthliche Wirth und schob listig sein Käppchen
auf's linke Ohr, "wir in Stuckert indem und so eiteln Preis drauf'g'-
setzt, aber geheim halte müssen wir's dennoch; unser Herr Pfarrer
in der Kirche hat siebenundzwanzig Sonntage über die Frechheiten
des gottlosen Herrn Schmidt gepredigt." Dies ist der Name des
Uebersetzers. Es sind etwa fünfzehn Jahre her, da ward er in Wert-


ihm als zu dem Gott der Gnade, vor dem die Creatur in ihrem
Nichts zusammensinkt, Sie stellen ihn sehr hoch, aber erheben sich
nicht zu ihm. Die Andern drängen sich keck ihm zur Seite, nennen
ihn ihren weisen Lehrer, einen aufgeklärten Menschen, der die reinste
Moral gepredigt, aber sich leider soviel Wundergeschichten aufbürden
ließ. Also bis zum Wunder, bis zur Anerkennung der Macht des
Geistes über den Leib bringen sie es nicht? Wer fühlt nicht, daß
das Christenthum reich genug ist, um alle diese Secten zu umfassen,
in denen bald das Herz, bald der Verstand vorherrschend Sprache
gewonnen! Aber sie haben den Mantel Christi in tausend Stücke
zerfetzt, und jede Partei hält den abgerissenen Zipfel für den aus¬
schließlichen Inbegriff seiner heiligen Erscheinung auf Erden! In der
freien Reichsstadt Ulm, die in ihren Mauern nur lutherische Christen
duldet und einem Reformirten kaum für Eine Nacht ein Ruhelager
gestattet, las ich an den Straßenecken als Neuigkeit den Anschlag
eines Buches mit dem Titel: „Lieber türk'sah als calvin'sah!" — Wie
wir in Stuttgart Rasttag hielten, brachte mir der Gastwirth auf meine
Bitte um ein gutes deutsches Buch ganz heimlich das Buch der Bü¬
cher. Aber es war in einer eigenthümlichen Abfassung, es war die
sogenannte Wertheim'sche Bibel. Die alte Bildersprache ist hier in
gewöhnliche Ausdrücke, in profane Redensarten von heute verwandelt.
Diese gemeine Sprache läßt sich nicht mehr mit Erfolg ciriren, oder
die Prophetie der Bibel verliert darin ihr Gewicht. Deshalb haben
die frommen Leute in Halle die „Bosheit" dieses Uebersetzers entlarvt.
Es sei in tausend Jahren kein so heilloser Betrug gespielt. Der Gast¬
wirth zur goldenen Gans in Stuttgart schlug mir im „Reichspost¬
reuter" aus alten Jahrgängen die Verbote auf. Die gute Stadt
Nürnberg hat das Vergehen, diese Bibel zu lesen, auf fünfzig Thaler
gutes Courant angeschlagen. Kursachsen meinte, das Verbrechen sei
hundert Thaler werth, und die Krone Preußen verstieg sich bei Con¬
fiscation der Wertheimer Bibel auf hundert Goldgulden. „ Wir in
Stuckert," sagte der gemüthliche Wirth und schob listig sein Käppchen
auf's linke Ohr, „wir in Stuckert indem und so eiteln Preis drauf'g'-
setzt, aber geheim halte müssen wir's dennoch; unser Herr Pfarrer
in der Kirche hat siebenundzwanzig Sonntage über die Frechheiten
des gottlosen Herrn Schmidt gepredigt." Dies ist der Name des
Uebersetzers. Es sind etwa fünfzehn Jahre her, da ward er in Wert-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/256>, abgerufen am 29.06.2024.