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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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an Mäßigung aber wäre jakobinisch genannt worden u. f. w. Die
Verketzcrer handeln überall und in allen Fächern nach Einem System.
Es wäre Zeit, daß Jemand "die Kunst, zu verdächtigen" schriebe.

-- Der König von Baiern scheint in höchst eigener Person eine
Art Obercensurgericht darstellen zu wollen. Man hört, er habe be¬
fohlen, ihm alle Schriften über Baiern vorzulegen, damit er selbst
über ihre Julässigkeit urtheile. Ob diese Verbiete so tolerant aus¬
fallen werden, wie beim preußischen Obcrccnsurgericht? Jedenfalls wird
König Luvwig Gelegenheit bekommen, sich über die Zustände seines
Reiches gründlicher zu unterrichten.

-- In Paris ist man einer Gaunergesellschaft auf die Spur
gekommen, die alle Sue'schen Pikanterien übertreffen soll. Es sind
lauter feine, gebildete, anständige Leute, Männer der >>"!>"<! "nciijtu,
so daß man sie die "Frakbande" nennt. Einzelne haben bisher in
der Bourgeoisie eine angesehene Stellung eingenommen. Da wird
man gewiß wieder Zeter schreien über die Pariser Sittenverdcrbtheit.
Es ist daher noch zu bemerken, daß die Koryphäen der Bande aus
Vioocq's Schule hervorgegangen sind; süße Früchtchen aus dem Garten
der Geheimpolizei. - - Im Tageblatt von Kleinparis würde man eine
solche Gelegenheit gewiß nicht vorbeigehen lassen, um endlich den Frak
in Verruf zu erklären. Aber die Großpariser sind in der That un¬
verbesserlich.

-- Auch die vagsten Gerüchte haben ihre Bedeutung, als Symp¬
tome der allgemeinen Stimmung. Sonst trug sich die deutsche Fama
jeden Augenblick mit einer Revolution in Paris; jetzt fabuliren die
Pariser von Constitution in Preußen, Umwälzung ze. Ein hartnäcki¬
ges Berliner Gerücht träumt seit mehreren Monaten von einer Gei¬
stesstörung des Czar Nikolaus. Jetzt meldet die Staatszeitung, er sei
ernstlich unwohl; ein Brüsseler Blatt sogar, er sei todt und man suche
nur, das wichtige Ereigniß noch zu verheimlichen.

-- Durch Versehen ist in der vorigen Nummer in einer Cor-
resp. aus München ein Passus stehen geblieben, der schon in der letz¬
ten Nummer des vorigen Jahrgangs gestanden hatte. Wir bitten die
geneigten Leser um Entschuldigung und hoffen, den kleinen Verlust
gelegentlich wieder einzubringen.




Verlag von Fr. Lndw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich AndrS.

an Mäßigung aber wäre jakobinisch genannt worden u. f. w. Die
Verketzcrer handeln überall und in allen Fächern nach Einem System.
Es wäre Zeit, daß Jemand „die Kunst, zu verdächtigen" schriebe.

— Der König von Baiern scheint in höchst eigener Person eine
Art Obercensurgericht darstellen zu wollen. Man hört, er habe be¬
fohlen, ihm alle Schriften über Baiern vorzulegen, damit er selbst
über ihre Julässigkeit urtheile. Ob diese Verbiete so tolerant aus¬
fallen werden, wie beim preußischen Obcrccnsurgericht? Jedenfalls wird
König Luvwig Gelegenheit bekommen, sich über die Zustände seines
Reiches gründlicher zu unterrichten.

— In Paris ist man einer Gaunergesellschaft auf die Spur
gekommen, die alle Sue'schen Pikanterien übertreffen soll. Es sind
lauter feine, gebildete, anständige Leute, Männer der >>»!>»<! «nciijtu,
so daß man sie die „Frakbande" nennt. Einzelne haben bisher in
der Bourgeoisie eine angesehene Stellung eingenommen. Da wird
man gewiß wieder Zeter schreien über die Pariser Sittenverdcrbtheit.
Es ist daher noch zu bemerken, daß die Koryphäen der Bande aus
Vioocq's Schule hervorgegangen sind; süße Früchtchen aus dem Garten
der Geheimpolizei. - - Im Tageblatt von Kleinparis würde man eine
solche Gelegenheit gewiß nicht vorbeigehen lassen, um endlich den Frak
in Verruf zu erklären. Aber die Großpariser sind in der That un¬
verbesserlich.

— Auch die vagsten Gerüchte haben ihre Bedeutung, als Symp¬
tome der allgemeinen Stimmung. Sonst trug sich die deutsche Fama
jeden Augenblick mit einer Revolution in Paris; jetzt fabuliren die
Pariser von Constitution in Preußen, Umwälzung ze. Ein hartnäcki¬
ges Berliner Gerücht träumt seit mehreren Monaten von einer Gei¬
stesstörung des Czar Nikolaus. Jetzt meldet die Staatszeitung, er sei
ernstlich unwohl; ein Brüsseler Blatt sogar, er sei todt und man suche
nur, das wichtige Ereigniß noch zu verheimlichen.

— Durch Versehen ist in der vorigen Nummer in einer Cor-
resp. aus München ein Passus stehen geblieben, der schon in der letz¬
ten Nummer des vorigen Jahrgangs gestanden hatte. Wir bitten die
geneigten Leser um Entschuldigung und hoffen, den kleinen Verlust
gelegentlich wieder einzubringen.




Verlag von Fr. Lndw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich AndrS.
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[0250] an Mäßigung aber wäre jakobinisch genannt worden u. f. w. Die Verketzcrer handeln überall und in allen Fächern nach Einem System. Es wäre Zeit, daß Jemand „die Kunst, zu verdächtigen" schriebe. — Der König von Baiern scheint in höchst eigener Person eine Art Obercensurgericht darstellen zu wollen. Man hört, er habe be¬ fohlen, ihm alle Schriften über Baiern vorzulegen, damit er selbst über ihre Julässigkeit urtheile. Ob diese Verbiete so tolerant aus¬ fallen werden, wie beim preußischen Obcrccnsurgericht? Jedenfalls wird König Luvwig Gelegenheit bekommen, sich über die Zustände seines Reiches gründlicher zu unterrichten. — In Paris ist man einer Gaunergesellschaft auf die Spur gekommen, die alle Sue'schen Pikanterien übertreffen soll. Es sind lauter feine, gebildete, anständige Leute, Männer der >>»!>»<! «nciijtu, so daß man sie die „Frakbande" nennt. Einzelne haben bisher in der Bourgeoisie eine angesehene Stellung eingenommen. Da wird man gewiß wieder Zeter schreien über die Pariser Sittenverdcrbtheit. Es ist daher noch zu bemerken, daß die Koryphäen der Bande aus Vioocq's Schule hervorgegangen sind; süße Früchtchen aus dem Garten der Geheimpolizei. - - Im Tageblatt von Kleinparis würde man eine solche Gelegenheit gewiß nicht vorbeigehen lassen, um endlich den Frak in Verruf zu erklären. Aber die Großpariser sind in der That un¬ verbesserlich. — Auch die vagsten Gerüchte haben ihre Bedeutung, als Symp¬ tome der allgemeinen Stimmung. Sonst trug sich die deutsche Fama jeden Augenblick mit einer Revolution in Paris; jetzt fabuliren die Pariser von Constitution in Preußen, Umwälzung ze. Ein hartnäcki¬ ges Berliner Gerücht träumt seit mehreren Monaten von einer Gei¬ stesstörung des Czar Nikolaus. Jetzt meldet die Staatszeitung, er sei ernstlich unwohl; ein Brüsseler Blatt sogar, er sei todt und man suche nur, das wichtige Ereigniß noch zu verheimlichen. — Durch Versehen ist in der vorigen Nummer in einer Cor- resp. aus München ein Passus stehen geblieben, der schon in der letz¬ ten Nummer des vorigen Jahrgangs gestanden hatte. Wir bitten die geneigten Leser um Entschuldigung und hoffen, den kleinen Verlust gelegentlich wieder einzubringen. Verlag von Fr. Lndw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich AndrS.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/250>, abgerufen am 22.07.2024.