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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Alles um meiner Laune willen, Nichts von Sittlichkeits- oder Rechts¬
wegen.

"Was mir gerade recht ist, das ist Recht. Und wäre etwas der
ganzen Welt nicht recht, mir aber wäre es recht, d. h. ich wollte es,
so frage ich nach der ganzen Welt Nichts. So macht es Jeder, der
sich zu schätzen weiß, Jeder in dem Grade, als er Egoist ist; denn
Gewalt geht vor Recht, und zwar mit vollem Rechte"/) Du hast
zu Allem Recht, was du thust, thue es nur, du genießest mit Recht,
eben weil du genießest, und laß dich nicht irre machen durch das Gerede
von einem natürlichen Rechte, von einem solchen, das im Wesen des
Menschen begründet sei. Was du gerade bist in jedem Augenblick,
sei es, wo oder wann es sei, das ist dein Wesen und zwar dein ein¬
zig wahres und wirklich eigenes Wesen. Denn, indem du es in all¬
gemeinen Gedanken und Grundsätzen auszusprechen und diese als ein
Gesetz geltend zu machen unternimmst, so entzweiest du dich nur, baust
dir aus dir selber einen Himmel und darin einen Gott, vor dem du
närrischer Weise niederfällst, da er doch dir, als seinem Schöpfer, seine
Huldigungen darbringen sollte. Du wirst also wieder etwas Heiliges
haben, das dich in deinen Eigenheiten belästigen und stören wird;
denn das Geheimniß der Eigenheit und Einzigheit ist die Frivolität,
der eben Nichts heilig ist.

Es eristirt von Gaudv ein Gedicht an die große Firma: Lump
und Compagnie, hier ist die Philosophie derselben. Der Lump nur
ist der wahre König der Welt.

Ich hatte das Alles nun recht ernsthaft zu widerlegen versuchen
sollen, mir Mühe geben, ausführliche Reductionen und langathmige
Argumente zu Haufen, um darunter das Stirnersche "Ich" zu er¬
drücken. Ich werde mich wohl hüten. Wer garantirt mir denn, daß
nicht eben dieses Ich seine Kurzweil mit mir treibt und eine höhnische
Lache über den Narren aufschlägt, welcher das Vorgebrachte für baa-
ren Ernst des Wahcheitssinncs nimmt? Um das, was der gewöhnliche
Mensch Wahrheit nennt, ist es dem Ich nun doch einmal nicht Ernst;
es denkt und spricht vielmehr, wie es ihm gerade seine Laune eingibt,
wie es in Folge etwa eines veroorbenen Magens will, was hilft da
alles Raisonniren? Es will, und damit basta!


W Fr leben öd urg.



^) Siehe Seite 24".

Alles um meiner Laune willen, Nichts von Sittlichkeits- oder Rechts¬
wegen.

„Was mir gerade recht ist, das ist Recht. Und wäre etwas der
ganzen Welt nicht recht, mir aber wäre es recht, d. h. ich wollte es,
so frage ich nach der ganzen Welt Nichts. So macht es Jeder, der
sich zu schätzen weiß, Jeder in dem Grade, als er Egoist ist; denn
Gewalt geht vor Recht, und zwar mit vollem Rechte"/) Du hast
zu Allem Recht, was du thust, thue es nur, du genießest mit Recht,
eben weil du genießest, und laß dich nicht irre machen durch das Gerede
von einem natürlichen Rechte, von einem solchen, das im Wesen des
Menschen begründet sei. Was du gerade bist in jedem Augenblick,
sei es, wo oder wann es sei, das ist dein Wesen und zwar dein ein¬
zig wahres und wirklich eigenes Wesen. Denn, indem du es in all¬
gemeinen Gedanken und Grundsätzen auszusprechen und diese als ein
Gesetz geltend zu machen unternimmst, so entzweiest du dich nur, baust
dir aus dir selber einen Himmel und darin einen Gott, vor dem du
närrischer Weise niederfällst, da er doch dir, als seinem Schöpfer, seine
Huldigungen darbringen sollte. Du wirst also wieder etwas Heiliges
haben, das dich in deinen Eigenheiten belästigen und stören wird;
denn das Geheimniß der Eigenheit und Einzigheit ist die Frivolität,
der eben Nichts heilig ist.

Es eristirt von Gaudv ein Gedicht an die große Firma: Lump
und Compagnie, hier ist die Philosophie derselben. Der Lump nur
ist der wahre König der Welt.

Ich hatte das Alles nun recht ernsthaft zu widerlegen versuchen
sollen, mir Mühe geben, ausführliche Reductionen und langathmige
Argumente zu Haufen, um darunter das Stirnersche „Ich" zu er¬
drücken. Ich werde mich wohl hüten. Wer garantirt mir denn, daß
nicht eben dieses Ich seine Kurzweil mit mir treibt und eine höhnische
Lache über den Narren aufschlägt, welcher das Vorgebrachte für baa-
ren Ernst des Wahcheitssinncs nimmt? Um das, was der gewöhnliche
Mensch Wahrheit nennt, ist es dem Ich nun doch einmal nicht Ernst;
es denkt und spricht vielmehr, wie es ihm gerade seine Laune eingibt,
wie es in Folge etwa eines veroorbenen Magens will, was hilft da
alles Raisonniren? Es will, und damit basta!


W Fr leben öd urg.



^) Siehe Seite 24».
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[0247] Alles um meiner Laune willen, Nichts von Sittlichkeits- oder Rechts¬ wegen. „Was mir gerade recht ist, das ist Recht. Und wäre etwas der ganzen Welt nicht recht, mir aber wäre es recht, d. h. ich wollte es, so frage ich nach der ganzen Welt Nichts. So macht es Jeder, der sich zu schätzen weiß, Jeder in dem Grade, als er Egoist ist; denn Gewalt geht vor Recht, und zwar mit vollem Rechte"/) Du hast zu Allem Recht, was du thust, thue es nur, du genießest mit Recht, eben weil du genießest, und laß dich nicht irre machen durch das Gerede von einem natürlichen Rechte, von einem solchen, das im Wesen des Menschen begründet sei. Was du gerade bist in jedem Augenblick, sei es, wo oder wann es sei, das ist dein Wesen und zwar dein ein¬ zig wahres und wirklich eigenes Wesen. Denn, indem du es in all¬ gemeinen Gedanken und Grundsätzen auszusprechen und diese als ein Gesetz geltend zu machen unternimmst, so entzweiest du dich nur, baust dir aus dir selber einen Himmel und darin einen Gott, vor dem du närrischer Weise niederfällst, da er doch dir, als seinem Schöpfer, seine Huldigungen darbringen sollte. Du wirst also wieder etwas Heiliges haben, das dich in deinen Eigenheiten belästigen und stören wird; denn das Geheimniß der Eigenheit und Einzigheit ist die Frivolität, der eben Nichts heilig ist. Es eristirt von Gaudv ein Gedicht an die große Firma: Lump und Compagnie, hier ist die Philosophie derselben. Der Lump nur ist der wahre König der Welt. Ich hatte das Alles nun recht ernsthaft zu widerlegen versuchen sollen, mir Mühe geben, ausführliche Reductionen und langathmige Argumente zu Haufen, um darunter das Stirnersche „Ich" zu er¬ drücken. Ich werde mich wohl hüten. Wer garantirt mir denn, daß nicht eben dieses Ich seine Kurzweil mit mir treibt und eine höhnische Lache über den Narren aufschlägt, welcher das Vorgebrachte für baa- ren Ernst des Wahcheitssinncs nimmt? Um das, was der gewöhnliche Mensch Wahrheit nennt, ist es dem Ich nun doch einmal nicht Ernst; es denkt und spricht vielmehr, wie es ihm gerade seine Laune eingibt, wie es in Folge etwa eines veroorbenen Magens will, was hilft da alles Raisonniren? Es will, und damit basta! W Fr leben öd urg. ^) Siehe Seite 24».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/247>, abgerufen am 22.07.2024.