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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Jetzt beherrschen wir die Literatur, der griechische Olymp ist zerstört,
Jupiter ist todt und auf seinem Thron sitzen Sie, unreinster Geist.
Die sterblichen Schriftsteller besingen die Hölle, die Sünde, das Ver¬
brechen. Die vorzüglichsten Springfedern der jetzigen Poesie find:
statt der Venus, Hera; statt des Apollo, ein schmutziger, wahnsin¬
niger Priester; statt der Nymphen, Vampyre; aus jeder Zeile tropft
faulende Materie. Die Prosa spricht nur von Qualen, Martern,
Schwindsüchtigen, Mißgeburten u. s. w., sie stellt die Armuth in der
widerlichsten Gestalt dar, das Verbrechen mit allen seinen Reizen,
mit aller seiner Gemeinheit, die Sittenlosigkeit in ihrer Nackt¬
heit, mit allen ihren Einzelnheiten. Wie eine blutdürstige Hyäne
wühlt sie Gräber auf und spielt mit menschlichen Gebeinen,
schließt den armen Leser scherzend in's Grab in Gesellschaft der
Würmer, führt ihn mit Räubern und Dieben zusammen und läßt
ihn mit ihnen unfläthige Lieder singen, begleitet ihn in die liederlichsten
Häuser, aufs Schaffet und bespritzt ihn mit dem Blute der enthaup¬
teten Verbrecher. Am vorzüglichsten martert den unschuldigen Leser
die Prosa mit ihrem Style, mit dem von mir erfundenen, giftigen,
schamlosen, sich im Zickzack bewegenden, mit Dornen gespickter ....

-- All das ist lobenswert!), unterbrach ihn der Satan, doch
nicht dauerhaft. Das ist ja schlimmer als in der Hölle; werden das
die Menschen lange ertragen? . . .

-- Sicherlich nicht, doch indessen wie herrlich, wie tröstlich ist
es, die Menschen tüchtig zu Plagen, und noch dazu unter dem Ver¬
wände ihres eigenen Wohles.

-- Es sei, sagte Satanas, martere sie mit romantischer Prosa
und Poesie. Was hast du da in der Hand?

-- Einen neuen Roman und die gestrigen Pariser Theaterzet¬
tel. Da gab man nur romantische Stücke, wo man sich betrinkt,
tanzt, sich die Köpfe abhaut. Da spielt der Galgen, dort die Guillo¬
tine, dort wieder eine Revolution die Hauptrolle. Dieser Roman
hat ungeheures Aufsehen gemacht. Er heißt ^,e" mustere" 6o ?-tris.

-- Stelle ihn in metner Handbibliothek auf. Ich will ihn heute
lesen und morgen zum Kaffee verzehren.

Satanas erhob sich vom Throne, gab die Pfeife wieder an
Mahumed II., gähnte, dehnte sich und sprach:


Jetzt beherrschen wir die Literatur, der griechische Olymp ist zerstört,
Jupiter ist todt und auf seinem Thron sitzen Sie, unreinster Geist.
Die sterblichen Schriftsteller besingen die Hölle, die Sünde, das Ver¬
brechen. Die vorzüglichsten Springfedern der jetzigen Poesie find:
statt der Venus, Hera; statt des Apollo, ein schmutziger, wahnsin¬
niger Priester; statt der Nymphen, Vampyre; aus jeder Zeile tropft
faulende Materie. Die Prosa spricht nur von Qualen, Martern,
Schwindsüchtigen, Mißgeburten u. s. w., sie stellt die Armuth in der
widerlichsten Gestalt dar, das Verbrechen mit allen seinen Reizen,
mit aller seiner Gemeinheit, die Sittenlosigkeit in ihrer Nackt¬
heit, mit allen ihren Einzelnheiten. Wie eine blutdürstige Hyäne
wühlt sie Gräber auf und spielt mit menschlichen Gebeinen,
schließt den armen Leser scherzend in's Grab in Gesellschaft der
Würmer, führt ihn mit Räubern und Dieben zusammen und läßt
ihn mit ihnen unfläthige Lieder singen, begleitet ihn in die liederlichsten
Häuser, aufs Schaffet und bespritzt ihn mit dem Blute der enthaup¬
teten Verbrecher. Am vorzüglichsten martert den unschuldigen Leser
die Prosa mit ihrem Style, mit dem von mir erfundenen, giftigen,
schamlosen, sich im Zickzack bewegenden, mit Dornen gespickter ....

— All das ist lobenswert!), unterbrach ihn der Satan, doch
nicht dauerhaft. Das ist ja schlimmer als in der Hölle; werden das
die Menschen lange ertragen? . . .

— Sicherlich nicht, doch indessen wie herrlich, wie tröstlich ist
es, die Menschen tüchtig zu Plagen, und noch dazu unter dem Ver¬
wände ihres eigenen Wohles.

— Es sei, sagte Satanas, martere sie mit romantischer Prosa
und Poesie. Was hast du da in der Hand?

— Einen neuen Roman und die gestrigen Pariser Theaterzet¬
tel. Da gab man nur romantische Stücke, wo man sich betrinkt,
tanzt, sich die Köpfe abhaut. Da spielt der Galgen, dort die Guillo¬
tine, dort wieder eine Revolution die Hauptrolle. Dieser Roman
hat ungeheures Aufsehen gemacht. Er heißt ^,e« mustere» 6o ?-tris.

— Stelle ihn in metner Handbibliothek auf. Ich will ihn heute
lesen und morgen zum Kaffee verzehren.

Satanas erhob sich vom Throne, gab die Pfeife wieder an
Mahumed II., gähnte, dehnte sich und sprach:


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[0238] Jetzt beherrschen wir die Literatur, der griechische Olymp ist zerstört, Jupiter ist todt und auf seinem Thron sitzen Sie, unreinster Geist. Die sterblichen Schriftsteller besingen die Hölle, die Sünde, das Ver¬ brechen. Die vorzüglichsten Springfedern der jetzigen Poesie find: statt der Venus, Hera; statt des Apollo, ein schmutziger, wahnsin¬ niger Priester; statt der Nymphen, Vampyre; aus jeder Zeile tropft faulende Materie. Die Prosa spricht nur von Qualen, Martern, Schwindsüchtigen, Mißgeburten u. s. w., sie stellt die Armuth in der widerlichsten Gestalt dar, das Verbrechen mit allen seinen Reizen, mit aller seiner Gemeinheit, die Sittenlosigkeit in ihrer Nackt¬ heit, mit allen ihren Einzelnheiten. Wie eine blutdürstige Hyäne wühlt sie Gräber auf und spielt mit menschlichen Gebeinen, schließt den armen Leser scherzend in's Grab in Gesellschaft der Würmer, führt ihn mit Räubern und Dieben zusammen und läßt ihn mit ihnen unfläthige Lieder singen, begleitet ihn in die liederlichsten Häuser, aufs Schaffet und bespritzt ihn mit dem Blute der enthaup¬ teten Verbrecher. Am vorzüglichsten martert den unschuldigen Leser die Prosa mit ihrem Style, mit dem von mir erfundenen, giftigen, schamlosen, sich im Zickzack bewegenden, mit Dornen gespickter .... — All das ist lobenswert!), unterbrach ihn der Satan, doch nicht dauerhaft. Das ist ja schlimmer als in der Hölle; werden das die Menschen lange ertragen? . . . — Sicherlich nicht, doch indessen wie herrlich, wie tröstlich ist es, die Menschen tüchtig zu Plagen, und noch dazu unter dem Ver¬ wände ihres eigenen Wohles. — Es sei, sagte Satanas, martere sie mit romantischer Prosa und Poesie. Was hast du da in der Hand? — Einen neuen Roman und die gestrigen Pariser Theaterzet¬ tel. Da gab man nur romantische Stücke, wo man sich betrinkt, tanzt, sich die Köpfe abhaut. Da spielt der Galgen, dort die Guillo¬ tine, dort wieder eine Revolution die Hauptrolle. Dieser Roman hat ungeheures Aufsehen gemacht. Er heißt ^,e« mustere» 6o ?-tris. — Stelle ihn in metner Handbibliothek auf. Ich will ihn heute lesen und morgen zum Kaffee verzehren. Satanas erhob sich vom Throne, gab die Pfeife wieder an Mahumed II., gähnte, dehnte sich und sprach:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/238>, abgerufen am 23.07.2024.