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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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jener stieg noch eine gute Strecke vor Teplitz ab, diese blieben um
mich bis an die ersten Häuser. Auf einmal rief eine bewegte Mut¬
terstimme lebhaft: "Tlüi! Tlüi! Malchen! Seid Ihr da?" Die Kin¬
der ließen die Kirschen fallen und flogen an das rechte Wagenfen¬
ster. Die jubelnde Mutter hob sie hinaus. Ich war nun allein
und der müde Reisewagen schleppte mich langsam nach dem Gast¬
hofe -- ich glaube, er heißt "zum weißen Roß". Bald nach meiner
Ankunft hatte ich mich etwas besser gekleidet und ging noch einige
Male in den belebtesten Gassen auf und nieder. Mir gefallen in
den Badeorten des Abends die hellerleuchtete" Speisesalonö so sehr
mit ihren eleganten Gästen in langen Tafelreihen hinab; es sieht so
feenhaft-steif-manierlich darin aus, wenn man im Vorübergehen ei¬
nen Blick der Neugierde durch die lässig vorgezogenen Fenstervor¬
hänge fallen läßt. Dieses Vergnügens war ich bald genug satt,
dann eilte ich zu nachtmahlen -- und nach einiger Bewegung hierauf
zu Bett! zu Bett! Ich hatte zwei Nächte her nicht ordentlich geschla¬
fen. Es sollte aber das letzte Mal sein, daß ich ohne Sorgen ein¬
schlief und des folgenden Morgens mit Heiterkeit erwachte. . . Um
acht Uhr stand ich eben angekleidet und ließ mir das Frühstück brin¬
gen; der Kellner that eigens verlegen und fragte, ob ich etwa Paß
oder sonst Etwas an den Herrn Kurcommissär zu besorgen hätte?
Ich sei eben gesonnen, den Commissär persönlich zu besuchen, ant¬
wortete ich ihm. Der Kellner war kaum einige Secunden zum Tem¬
pel hinaus, so kam ein Mann herein von mittlerer Gestalt, aus
Hagerkeit fast schneidig Von Gesicht, langnasig, blaß und von Stimme
eben kein brüllender Löwe. Er sprach leise und ohne Affect: "Sind
Sie der Herr von Rank?" -- "Ich heiße so -- was bringen Sie
mir?" -- "Wenn Sie der Herr von Rank sind, so möchten Sie die
Güte haben und zum Herrn Kurcommissär kommen; er hat mit Ih¬
nen zu sprechen." -- "Wie? . . Gut. Ich bin eben auf dem Wege."
-- Er ging; mir ahnte nichts Gutes. Doch, wenn es blos meine
Reise anging/ so war mir noch nicht beizukommen. Ich war noch
in Teplitz, auf österreichischem Boden, mein Paß (wie freute mich
daS nun!) hatte das Visa Wiens und Prags und von meiner gegen
Niemand lautgeäußcrten Absicht einer Reise nach Sachsen konnte der
Commissär unmöglich wissen. Der Kurcommissär kam mir artig ent¬
gegen. "Sind Sie der Schriftsteller Josef Rank?" fragte er. "Der


jener stieg noch eine gute Strecke vor Teplitz ab, diese blieben um
mich bis an die ersten Häuser. Auf einmal rief eine bewegte Mut¬
terstimme lebhaft: „Tlüi! Tlüi! Malchen! Seid Ihr da?" Die Kin¬
der ließen die Kirschen fallen und flogen an das rechte Wagenfen¬
ster. Die jubelnde Mutter hob sie hinaus. Ich war nun allein
und der müde Reisewagen schleppte mich langsam nach dem Gast¬
hofe — ich glaube, er heißt „zum weißen Roß". Bald nach meiner
Ankunft hatte ich mich etwas besser gekleidet und ging noch einige
Male in den belebtesten Gassen auf und nieder. Mir gefallen in
den Badeorten des Abends die hellerleuchtete» Speisesalonö so sehr
mit ihren eleganten Gästen in langen Tafelreihen hinab; es sieht so
feenhaft-steif-manierlich darin aus, wenn man im Vorübergehen ei¬
nen Blick der Neugierde durch die lässig vorgezogenen Fenstervor¬
hänge fallen läßt. Dieses Vergnügens war ich bald genug satt,
dann eilte ich zu nachtmahlen — und nach einiger Bewegung hierauf
zu Bett! zu Bett! Ich hatte zwei Nächte her nicht ordentlich geschla¬
fen. Es sollte aber das letzte Mal sein, daß ich ohne Sorgen ein¬
schlief und des folgenden Morgens mit Heiterkeit erwachte. . . Um
acht Uhr stand ich eben angekleidet und ließ mir das Frühstück brin¬
gen; der Kellner that eigens verlegen und fragte, ob ich etwa Paß
oder sonst Etwas an den Herrn Kurcommissär zu besorgen hätte?
Ich sei eben gesonnen, den Commissär persönlich zu besuchen, ant¬
wortete ich ihm. Der Kellner war kaum einige Secunden zum Tem¬
pel hinaus, so kam ein Mann herein von mittlerer Gestalt, aus
Hagerkeit fast schneidig Von Gesicht, langnasig, blaß und von Stimme
eben kein brüllender Löwe. Er sprach leise und ohne Affect: „Sind
Sie der Herr von Rank?" — „Ich heiße so — was bringen Sie
mir?" — „Wenn Sie der Herr von Rank sind, so möchten Sie die
Güte haben und zum Herrn Kurcommissär kommen; er hat mit Ih¬
nen zu sprechen." — „Wie? . . Gut. Ich bin eben auf dem Wege."
— Er ging; mir ahnte nichts Gutes. Doch, wenn es blos meine
Reise anging/ so war mir noch nicht beizukommen. Ich war noch
in Teplitz, auf österreichischem Boden, mein Paß (wie freute mich
daS nun!) hatte das Visa Wiens und Prags und von meiner gegen
Niemand lautgeäußcrten Absicht einer Reise nach Sachsen konnte der
Commissär unmöglich wissen. Der Kurcommissär kam mir artig ent¬
gegen. „Sind Sie der Schriftsteller Josef Rank?" fragte er. „Der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/166>, abgerufen am 22.07.2024.