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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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ein inniger Verehrer und persönlicher Freund Lenau's, sich seine volle
Selbständigkeit zu erhalten gewußt. ES zeigt seinen wahren Beruf,
daß er von Lenau gelernt, nicht ihn nachgeahmt hat. Eben so we¬
nig würde eine Parallele "ut den andern Dichtern aus der österrei¬
chischen Verwandtschaft seiner Originalität Eintrag thun; vielmehr
hat die Poesie Hartmann's, bei frischer Jugendlichkeit, doch so scharf
entwickelte Züge, daß sie schon eine genaue und sichere Charakteristik
zuläßt, was man vielen ausgezeichneten Talenten bei ihrem ersten
Austreten nicht immer nachsagen kann.

Und doch hat unser Poet keine jener blendenden Einseitigkeiten,
welche die Auffassung einer Individualität gewöhnlich erleichtern, aber
auch die nahe Gefahr der Manierirtheit verrathen. Eine hei¬
tere freie Männlichkeit, mit offenem Blick für die lichte Schönheit der
Welt und ihrer Gestalten, mit offenem Herzen für ihre dunkleren
Geheimnisse; eine Natur, welche das Leid nicht durch leidenschaftliche
Hingebung steigert, sondern durch sinnige, tiefe Theilnahme lindert,
so wie sie die Lust durch phantasiereiche Gestaltung zu veredeln weiß;
eine wahrhaft humoristische, naiv poetische Anlage. Unser Dichter,
das sieht man ihm an, wird bald den Weltlauf -- nicht nehmen
wie er ist, sondern besser, als er ist, indem er selbst von den Nacht¬
seiten des Lebens nur die Schönheit seiner bösen Sterne feiern wird.
Mit einem Wort, eine glückliche Natur, welche hoffen darf, ohne viel
Noth und Kampf den Weg in das sonnige Reich der künstlerischen
Vollendung zu finden; ein Uebergang von den "Kindern dieser Zeit"
zu denen einer künftigen besseren. -- Soll ich diese allgemeinen Be¬
merkungen, die sich auf den Gesammteindruck von "Kelch und Schwert"
stützen, Punkt für Punkt aus der vorliegenden Gedichtsammlung be¬
weisen? Es würde nicht so schwer halten, als es scheint, wohl aber
zu weit führen; der Leser wird vielleicht in manchem Gedicht noch
glänzendere Verheißungen sehen, als ich auszusprechen wagte. Doch
will ich versuchen, theilweise den Inhalt des Buches anzudeuten.

"Innere Stimmen" heißt die erste, "aus der Gegenwart" die
zweite Abtheilung, im Grunde aber passen die beiden Titel abwech¬
selnd auf alle übrigen Abtheilungen des Buches. Die innern Stim¬
men find von so gesunder Natürlichkeit, daß sie uns oft aus dem
eigenen Innern zu klingen scheinen, was bei subjektiven Ergüssen so sel-


ein inniger Verehrer und persönlicher Freund Lenau's, sich seine volle
Selbständigkeit zu erhalten gewußt. ES zeigt seinen wahren Beruf,
daß er von Lenau gelernt, nicht ihn nachgeahmt hat. Eben so we¬
nig würde eine Parallele »ut den andern Dichtern aus der österrei¬
chischen Verwandtschaft seiner Originalität Eintrag thun; vielmehr
hat die Poesie Hartmann's, bei frischer Jugendlichkeit, doch so scharf
entwickelte Züge, daß sie schon eine genaue und sichere Charakteristik
zuläßt, was man vielen ausgezeichneten Talenten bei ihrem ersten
Austreten nicht immer nachsagen kann.

Und doch hat unser Poet keine jener blendenden Einseitigkeiten,
welche die Auffassung einer Individualität gewöhnlich erleichtern, aber
auch die nahe Gefahr der Manierirtheit verrathen. Eine hei¬
tere freie Männlichkeit, mit offenem Blick für die lichte Schönheit der
Welt und ihrer Gestalten, mit offenem Herzen für ihre dunkleren
Geheimnisse; eine Natur, welche das Leid nicht durch leidenschaftliche
Hingebung steigert, sondern durch sinnige, tiefe Theilnahme lindert,
so wie sie die Lust durch phantasiereiche Gestaltung zu veredeln weiß;
eine wahrhaft humoristische, naiv poetische Anlage. Unser Dichter,
das sieht man ihm an, wird bald den Weltlauf — nicht nehmen
wie er ist, sondern besser, als er ist, indem er selbst von den Nacht¬
seiten des Lebens nur die Schönheit seiner bösen Sterne feiern wird.
Mit einem Wort, eine glückliche Natur, welche hoffen darf, ohne viel
Noth und Kampf den Weg in das sonnige Reich der künstlerischen
Vollendung zu finden; ein Uebergang von den „Kindern dieser Zeit"
zu denen einer künftigen besseren. — Soll ich diese allgemeinen Be¬
merkungen, die sich auf den Gesammteindruck von „Kelch und Schwert"
stützen, Punkt für Punkt aus der vorliegenden Gedichtsammlung be¬
weisen? Es würde nicht so schwer halten, als es scheint, wohl aber
zu weit führen; der Leser wird vielleicht in manchem Gedicht noch
glänzendere Verheißungen sehen, als ich auszusprechen wagte. Doch
will ich versuchen, theilweise den Inhalt des Buches anzudeuten.

„Innere Stimmen" heißt die erste, „aus der Gegenwart" die
zweite Abtheilung, im Grunde aber passen die beiden Titel abwech¬
selnd auf alle übrigen Abtheilungen des Buches. Die innern Stim¬
men find von so gesunder Natürlichkeit, daß sie uns oft aus dem
eigenen Innern zu klingen scheinen, was bei subjektiven Ergüssen so sel-


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[0135] ein inniger Verehrer und persönlicher Freund Lenau's, sich seine volle Selbständigkeit zu erhalten gewußt. ES zeigt seinen wahren Beruf, daß er von Lenau gelernt, nicht ihn nachgeahmt hat. Eben so we¬ nig würde eine Parallele »ut den andern Dichtern aus der österrei¬ chischen Verwandtschaft seiner Originalität Eintrag thun; vielmehr hat die Poesie Hartmann's, bei frischer Jugendlichkeit, doch so scharf entwickelte Züge, daß sie schon eine genaue und sichere Charakteristik zuläßt, was man vielen ausgezeichneten Talenten bei ihrem ersten Austreten nicht immer nachsagen kann. Und doch hat unser Poet keine jener blendenden Einseitigkeiten, welche die Auffassung einer Individualität gewöhnlich erleichtern, aber auch die nahe Gefahr der Manierirtheit verrathen. Eine hei¬ tere freie Männlichkeit, mit offenem Blick für die lichte Schönheit der Welt und ihrer Gestalten, mit offenem Herzen für ihre dunkleren Geheimnisse; eine Natur, welche das Leid nicht durch leidenschaftliche Hingebung steigert, sondern durch sinnige, tiefe Theilnahme lindert, so wie sie die Lust durch phantasiereiche Gestaltung zu veredeln weiß; eine wahrhaft humoristische, naiv poetische Anlage. Unser Dichter, das sieht man ihm an, wird bald den Weltlauf — nicht nehmen wie er ist, sondern besser, als er ist, indem er selbst von den Nacht¬ seiten des Lebens nur die Schönheit seiner bösen Sterne feiern wird. Mit einem Wort, eine glückliche Natur, welche hoffen darf, ohne viel Noth und Kampf den Weg in das sonnige Reich der künstlerischen Vollendung zu finden; ein Uebergang von den „Kindern dieser Zeit" zu denen einer künftigen besseren. — Soll ich diese allgemeinen Be¬ merkungen, die sich auf den Gesammteindruck von „Kelch und Schwert" stützen, Punkt für Punkt aus der vorliegenden Gedichtsammlung be¬ weisen? Es würde nicht so schwer halten, als es scheint, wohl aber zu weit führen; der Leser wird vielleicht in manchem Gedicht noch glänzendere Verheißungen sehen, als ich auszusprechen wagte. Doch will ich versuchen, theilweise den Inhalt des Buches anzudeuten. „Innere Stimmen" heißt die erste, „aus der Gegenwart" die zweite Abtheilung, im Grunde aber passen die beiden Titel abwech¬ selnd auf alle übrigen Abtheilungen des Buches. Die innern Stim¬ men find von so gesunder Natürlichkeit, daß sie uns oft aus dem eigenen Innern zu klingen scheinen, was bei subjektiven Ergüssen so sel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/135>, abgerufen am 22.07.2024.