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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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die Zunge, wie für den Preßbengel, so wären dergleichen traurige Falle
nicht möglich, -- und dahin muß noch gewirkt werden. --

-- Auch das ist allerliebst. Der Landrath von Niederbaiern --
so entdeckt die Deutsche Allgemeine -- geht die Regierung um ein
Gesetz an, daß die Polizei keinem Inquisiten die Person zu nennen
brauche, auf deren Anzeige die Untersuchung gegen denselben eingeleitet
worden; daß also dem Angeklagten sein Ankläger verheimlicht werde.
Die Regierung soll bereit sein, diesen wohlmeinenden Vorschlag in
Erwägung zu ziehen. Es hat wahrscheinlich bisher an Angebern ge¬
fehlt in Niederbaiern; jetzt wiro diesem Mangel wohl abgeholfen sein.
Eine andere Frage wäre, ob es ein rein deutsches Wort gibt, um
diese neue Einrichtung zu laufen.

-- Arnold Rüge macht wieder sein Dresdener Bürgerrecht gel¬
tend und will nächstes Frühjahr aus der Weltstadt nach dem gemüth¬
lich kühlen Elbflorenz zurückkehren. Unsere theoretischen Oppofltions-
helden sind wie der Kranke, der sich von einem Bett in's and.re schaf¬
fen laßt und sich dadurch zu helfen meint. Leider sind die Doctoren
selber voll Unruh und machen's nicht besser. Ein anderer Patient,
Ferdinand Freiligrath, will aus Belgien, wohin er sich geflüchtet, nach
Amerika auswandern. Also war "der ausgewanderte Dichter" ein
prophetisches Gedicht, das sich jetzt erfüllen soll. Wir glauben,-Freiligrath
denkt an die Heimkehr, sollte es wenigstens; er macht blos einen kleinen
Umweg über Nordamerika.

-- Das unglückliche Duell in Königsberg, worin ein Offizier
einen Referendar erschoß, der sich mißliebige Aeußerungen über eine
hohe Person erlaubt hatte, führte bekanntlich zu einer Debatte, wie sie
nur in Preußen möglich ist, wo alle Stände rovalistischer sind, als
der König. Es handelt sich nämlich darum, ob die preußischen Offi¬
ziere moralisch verpflichtet sind, Jeden, der "raisonnirt", sofort entweder
zu denunciren, oder zum Zweikampf herauszufordern. Diese Frage
wurde in der Deutschen Allgemeinen in einem ausführlichen und gründ¬
lichen Artikel verneint. Wir wunderten uns, daß eine solche Frage
überhaupt eristiren könne. Indeß kam es noch besser. Es folgte ein
zweiter Artikel, gleichsam eine Berufung von der ersten Instanz der
gemäßigten Loyalität an die zweite Instanz, die des fanatischen Rovi-
lismus. Seitdem blieb die Frage unentschieden. Niemand wagt mit
einem martialischen Nein dazwischen zu fahren, und die armen preu¬
ßischen Offiziere sind in der größten Verlegenheit. Abgesehen davon,
daß die Deutsche Allgemeine sie im Stiche laßt, so würde auch die
Stimme dieser Zeitung, die zwar nicht zur ganz "schlechten", aber doch
manchmal zur "schlechteren" Presse gehört, sie nicht dispensiren können.


die Zunge, wie für den Preßbengel, so wären dergleichen traurige Falle
nicht möglich, — und dahin muß noch gewirkt werden. —

— Auch das ist allerliebst. Der Landrath von Niederbaiern —
so entdeckt die Deutsche Allgemeine — geht die Regierung um ein
Gesetz an, daß die Polizei keinem Inquisiten die Person zu nennen
brauche, auf deren Anzeige die Untersuchung gegen denselben eingeleitet
worden; daß also dem Angeklagten sein Ankläger verheimlicht werde.
Die Regierung soll bereit sein, diesen wohlmeinenden Vorschlag in
Erwägung zu ziehen. Es hat wahrscheinlich bisher an Angebern ge¬
fehlt in Niederbaiern; jetzt wiro diesem Mangel wohl abgeholfen sein.
Eine andere Frage wäre, ob es ein rein deutsches Wort gibt, um
diese neue Einrichtung zu laufen.

— Arnold Rüge macht wieder sein Dresdener Bürgerrecht gel¬
tend und will nächstes Frühjahr aus der Weltstadt nach dem gemüth¬
lich kühlen Elbflorenz zurückkehren. Unsere theoretischen Oppofltions-
helden sind wie der Kranke, der sich von einem Bett in's and.re schaf¬
fen laßt und sich dadurch zu helfen meint. Leider sind die Doctoren
selber voll Unruh und machen's nicht besser. Ein anderer Patient,
Ferdinand Freiligrath, will aus Belgien, wohin er sich geflüchtet, nach
Amerika auswandern. Also war „der ausgewanderte Dichter" ein
prophetisches Gedicht, das sich jetzt erfüllen soll. Wir glauben,-Freiligrath
denkt an die Heimkehr, sollte es wenigstens; er macht blos einen kleinen
Umweg über Nordamerika.

— Das unglückliche Duell in Königsberg, worin ein Offizier
einen Referendar erschoß, der sich mißliebige Aeußerungen über eine
hohe Person erlaubt hatte, führte bekanntlich zu einer Debatte, wie sie
nur in Preußen möglich ist, wo alle Stände rovalistischer sind, als
der König. Es handelt sich nämlich darum, ob die preußischen Offi¬
ziere moralisch verpflichtet sind, Jeden, der „raisonnirt", sofort entweder
zu denunciren, oder zum Zweikampf herauszufordern. Diese Frage
wurde in der Deutschen Allgemeinen in einem ausführlichen und gründ¬
lichen Artikel verneint. Wir wunderten uns, daß eine solche Frage
überhaupt eristiren könne. Indeß kam es noch besser. Es folgte ein
zweiter Artikel, gleichsam eine Berufung von der ersten Instanz der
gemäßigten Loyalität an die zweite Instanz, die des fanatischen Rovi-
lismus. Seitdem blieb die Frage unentschieden. Niemand wagt mit
einem martialischen Nein dazwischen zu fahren, und die armen preu¬
ßischen Offiziere sind in der größten Verlegenheit. Abgesehen davon,
daß die Deutsche Allgemeine sie im Stiche laßt, so würde auch die
Stimme dieser Zeitung, die zwar nicht zur ganz „schlechten", aber doch
manchmal zur „schlechteren" Presse gehört, sie nicht dispensiren können.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/105>, abgerufen am 22.07.2024.