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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Ich war unschlüssig, welche Antwort ich hierauf geben sollte,
denn ich merkte, daß die fire Idee sich wieder seines Geistes bemäch¬
tigen wolle und daß der lichte Augenblick, welchen die Kunst her¬
vorgebracht hatte, erlosch. Malen Sie 'mal einen auf die Lein¬
wand, Herr Robert! sagte ich schnell und schob ihm die Staffelei
hin.

Wie ein Blitz durchzuckten meine Worte sein Gehirn. Schnell
hatte er die Reißfeder ergriffen und begann mit flüchtigen kecken
Strichen eine Skizze zu entwerfen, die, so viel ich bemerken konnte,
einen Menschen darstellte, welcher ohnmächtig und kraftlos, aber mit
dem Ausdruck der Verzweiflung ankämpft gegen ein Ungethüm, das
sich seiner schon ganz bemächtigt hat. Leise Erinnerungen aus der
Gruppe des Laokoon mochten einem scharfsinnigen Kritiker daraus
entgegenschimmern; nur waren die Contraste nicht so gut gewählt,
wie bei jenem erhabenen Meisterwerke. Hier waren die streitenden
Parteien völlig ungleich, es war ein Kampf, ein Ringen ohne Hoff¬
nung des Siegs und deshalb unerfreulich für den Beschauer.

-- Sehen Sie, sagte der Schachtclmann und gab seiner Zeich¬
nung noch hier und da einen Drucker, sehen Sie, Herr Doctor, das
möchte so eine kleine Skizze von dem Staubteufel sein, den die Alten
auch Beelzebub oder Schmutzgott nannten.

-- Aber, entgegnete ich, ist nicht die Composition wider alle
Regeln der Kunst angelegt? Erlauben Sie mir, daß ich, wenn auch
nur schülerhaft, einige Aenderungen daran mache?

Der Kranke stand bereitwillig auf und reichte mir die Geräth-
schaften, während ich seinen Platz einnahm. -- Ich kannte ihn fast
nickt mehr, den Mann; wie er so vor mir stand, dachte ich mir ihn
lebhaft als den Jüngling im Kreise seines Wendelin und Schneegas.
Begierig schaute er über meine Schultern und horchte meinen Worten.

-- Sie haben den Unglücklichen ohne allen Beistand gelassen,
bemerkte ich; ist das nicht grausam, macht das nicht einen unange¬
nehmen Eindruck? Wenn wir ihm nur den rechten Arm von den
Krallen des Ungethüms befreiten, so daß er demselben wenigstens
einen tüchtigen Puff versetzen könnte, würde das nicht das Interesse
für den Geängsteten erhöhen? -- Sehen Sie hier, ich habe es so
gut gemacht, als ich konnte! -- Und ich hatte wirklich keine üble


Ich war unschlüssig, welche Antwort ich hierauf geben sollte,
denn ich merkte, daß die fire Idee sich wieder seines Geistes bemäch¬
tigen wolle und daß der lichte Augenblick, welchen die Kunst her¬
vorgebracht hatte, erlosch. Malen Sie 'mal einen auf die Lein¬
wand, Herr Robert! sagte ich schnell und schob ihm die Staffelei
hin.

Wie ein Blitz durchzuckten meine Worte sein Gehirn. Schnell
hatte er die Reißfeder ergriffen und begann mit flüchtigen kecken
Strichen eine Skizze zu entwerfen, die, so viel ich bemerken konnte,
einen Menschen darstellte, welcher ohnmächtig und kraftlos, aber mit
dem Ausdruck der Verzweiflung ankämpft gegen ein Ungethüm, das
sich seiner schon ganz bemächtigt hat. Leise Erinnerungen aus der
Gruppe des Laokoon mochten einem scharfsinnigen Kritiker daraus
entgegenschimmern; nur waren die Contraste nicht so gut gewählt,
wie bei jenem erhabenen Meisterwerke. Hier waren die streitenden
Parteien völlig ungleich, es war ein Kampf, ein Ringen ohne Hoff¬
nung des Siegs und deshalb unerfreulich für den Beschauer.

— Sehen Sie, sagte der Schachtclmann und gab seiner Zeich¬
nung noch hier und da einen Drucker, sehen Sie, Herr Doctor, das
möchte so eine kleine Skizze von dem Staubteufel sein, den die Alten
auch Beelzebub oder Schmutzgott nannten.

— Aber, entgegnete ich, ist nicht die Composition wider alle
Regeln der Kunst angelegt? Erlauben Sie mir, daß ich, wenn auch
nur schülerhaft, einige Aenderungen daran mache?

Der Kranke stand bereitwillig auf und reichte mir die Geräth-
schaften, während ich seinen Platz einnahm. — Ich kannte ihn fast
nickt mehr, den Mann; wie er so vor mir stand, dachte ich mir ihn
lebhaft als den Jüngling im Kreise seines Wendelin und Schneegas.
Begierig schaute er über meine Schultern und horchte meinen Worten.

— Sie haben den Unglücklichen ohne allen Beistand gelassen,
bemerkte ich; ist das nicht grausam, macht das nicht einen unange¬
nehmen Eindruck? Wenn wir ihm nur den rechten Arm von den
Krallen des Ungethüms befreiten, so daß er demselben wenigstens
einen tüchtigen Puff versetzen könnte, würde das nicht das Interesse
für den Geängsteten erhöhen? — Sehen Sie hier, ich habe es so
gut gemacht, als ich konnte! — Und ich hatte wirklich keine üble


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/70>, abgerufen am 01.09.2024.