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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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einzelnen Individuen nach seinem Umfange und wahren Grunde er¬
kannt, doch durch keinen Spott vernichtet, durch kein vornehmes Jg-
noriren weggeläugnet werden kann, vielmehr immer wieder tiefer und
energischer zu Tage bricht. Und nicht Jene allein leiden, die auf of¬
fenem Schauplatz in Staub und Glut der Parteien ringen, mehr
noch Solche, die, zum Schweigen und Zuschauen verdammt, in inner¬
licher Qual sich verzehren. -- Ist aber diese Theilnahme so allge¬
mein und allverbreitet, wo hätte sie eher einen Ausdruck gewinnen
können, als in der Poesie! Ist diese nichr die Memnonssäule, die
vom ersten Sonnenstrahl berührt, sie nicht die Aeolsharfe, die vom
leisesten Hauch erschüttert, in wunderbaren Klängen ertönt? -- Auch
wir haben sie vernommen, auch uns hat sie nicht geschwiegen. Und
zuerst sprach sie sich in der Form der Lyrik aus, ganz gemäß jener
mehr im Innern der Gemüther verhaltenen, dort unruhig arbeitenden,
in Gefühl und Empfindung gährenden Theilnahme. Doch bereitete
schon seit geraumer Zeit sich eine neue Wendung, die auf das Dra¬
matische, vor. Auch das Drama sollte gewonnen, mit dem edlen
Geiste der Zeit erfüllt werden. Welche Aussicht! Das gesprochene
Wort lebendig von der Bühne herab, die Idee in bestimmten, an¬
schaulichen Gestalten verkörpert, vielleicht an historischen Thatsachen
erwiesen! Ob von jedem Einzelnen der Mitstrebenden gewußt oder
nicht, dieser Gedanke lag der neuen Wendung zu Grunde. -- DaS
Drama hatte seit Goethe und Schiller fortvegetire, und zwar in dop¬
pelter Gestalt, als Bühnendrama und als Buchdrama. In dieses
hatte sich geflüchtet, was von der dramatischen Poesie noch übrig war,
jenes war Nichts als Spekulation auf augenblicklichen Beifall und
pecuniären Gewinn. Ein Monströses also hier wie dort, hier ein
Drama ohne Poesie, dort eine dramatische Poesie ohne Bühne. Ein
Paar Erscheinungen, die noch in gewisser Weise Poesie und Bühne
vermittelten, sind als spärliche Ausnahmen kaum zu rechnen. -- Die
Aufgabe, ein neues Volk- und zeitgemäßes Drama zu gestalten, war
nicht gering. Was Wunder, daß die ersten Versuche mißlangen und
kaum hier und da einige Aufmerksamkeit erregten! Die früheste Wit¬
terung hatten noch die Hallischen Jahrbücher, und die Taktik, der sie
in dieser Beziehung folgten, ist im Allgemeinen-- gewiß als richtig an¬
zuerkennen. Während die übrige Kritik in jenen Bestrebungen Nichts
als Albernheiten sah, munterten die Hallischen Jahrbücher auf, van-


einzelnen Individuen nach seinem Umfange und wahren Grunde er¬
kannt, doch durch keinen Spott vernichtet, durch kein vornehmes Jg-
noriren weggeläugnet werden kann, vielmehr immer wieder tiefer und
energischer zu Tage bricht. Und nicht Jene allein leiden, die auf of¬
fenem Schauplatz in Staub und Glut der Parteien ringen, mehr
noch Solche, die, zum Schweigen und Zuschauen verdammt, in inner¬
licher Qual sich verzehren. — Ist aber diese Theilnahme so allge¬
mein und allverbreitet, wo hätte sie eher einen Ausdruck gewinnen
können, als in der Poesie! Ist diese nichr die Memnonssäule, die
vom ersten Sonnenstrahl berührt, sie nicht die Aeolsharfe, die vom
leisesten Hauch erschüttert, in wunderbaren Klängen ertönt? — Auch
wir haben sie vernommen, auch uns hat sie nicht geschwiegen. Und
zuerst sprach sie sich in der Form der Lyrik aus, ganz gemäß jener
mehr im Innern der Gemüther verhaltenen, dort unruhig arbeitenden,
in Gefühl und Empfindung gährenden Theilnahme. Doch bereitete
schon seit geraumer Zeit sich eine neue Wendung, die auf das Dra¬
matische, vor. Auch das Drama sollte gewonnen, mit dem edlen
Geiste der Zeit erfüllt werden. Welche Aussicht! Das gesprochene
Wort lebendig von der Bühne herab, die Idee in bestimmten, an¬
schaulichen Gestalten verkörpert, vielleicht an historischen Thatsachen
erwiesen! Ob von jedem Einzelnen der Mitstrebenden gewußt oder
nicht, dieser Gedanke lag der neuen Wendung zu Grunde. — DaS
Drama hatte seit Goethe und Schiller fortvegetire, und zwar in dop¬
pelter Gestalt, als Bühnendrama und als Buchdrama. In dieses
hatte sich geflüchtet, was von der dramatischen Poesie noch übrig war,
jenes war Nichts als Spekulation auf augenblicklichen Beifall und
pecuniären Gewinn. Ein Monströses also hier wie dort, hier ein
Drama ohne Poesie, dort eine dramatische Poesie ohne Bühne. Ein
Paar Erscheinungen, die noch in gewisser Weise Poesie und Bühne
vermittelten, sind als spärliche Ausnahmen kaum zu rechnen. — Die
Aufgabe, ein neues Volk- und zeitgemäßes Drama zu gestalten, war
nicht gering. Was Wunder, daß die ersten Versuche mißlangen und
kaum hier und da einige Aufmerksamkeit erregten! Die früheste Wit¬
terung hatten noch die Hallischen Jahrbücher, und die Taktik, der sie
in dieser Beziehung folgten, ist im Allgemeinen-- gewiß als richtig an¬
zuerkennen. Während die übrige Kritik in jenen Bestrebungen Nichts
als Albernheiten sah, munterten die Hallischen Jahrbücher auf, van-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/6>, abgerufen am 27.07.2024.