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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Denn eine Sehnsucht, räthselhaft und heiß
Nach Glück, das Keiner doch zu nennen weiß,
Dringt mit dem ersten Schmerz in's Menschenleben,
Erst mit dem Todesschmerz dahin zu schweben.
Doch die Natur, die stolze, sich're, hat
Nicht Schmerz, und Schmerzen keinen Trost zu bieten,
Dem Glücklichen nur schreibt sie ihre Mythen
Voll Zauber auf des Frühlings grünes Blatt!
Es flammt der Berg vom Mittagsstrahl umschwommen;
,
Als Abdul jetzt zum Gipfel aufgeklommen,
3u Füßen ihm ein weiter Garten liegt,
An den ein säulenreiches Schloß sich schmiegt.
Er nennt sein eigen, was sich stellt als Bildniß
Der Erdenpracht dort seinen Blicken dar,
Doch meidet er die Freiheit jenem Aar,
Der hier bewohnt die einsam tiefe Wildniß.
Sein Auge starrt, das first're, trüb hinaus,
Er bricht in Klagen, schwer und bitter, aus:
"O, wär' der Tod mir statt des Fluchs gekommen,
Den thöricht für den Segen ich genommen!
Der Schild mir Erd und Himmel überdeckt,
So lang mein Wollen nicht die Frucht gebrochen
Des höchsten Glückes, das unausgesprochen,
Nur als ein formlos Wahngespenst mich schreckt.
"So viele Länder auch mein Fuß durchschritten.
So viele Qualen auch mein Herz gelitten,
Noch fand ich nicht das Glück für meinen Neid,
Noch fand ich nicht die Tröstung für mein Leid!
Ein unverlöschbar quälendes Entbrennen
Für allumfassend ird'sche Seligkeit,
Nach der mein ganzes Leben schmachtend schreit.
Kann ich von meiner Seele nicht mehr trennen!
"Der Dolch, der ihren Busen traf, verstieß
Mich aus des Unbewußtseins Paradies.
Ich sah die Schlange, Schmerz, an mich sich pressen,
'
Und vom Erkenntnißbaum hab ich gegessen.
Ich hab' erkannt, daß Moder, Lüge, Tod
Jedwedes Gut, das Glück uns möchte scheinen,
Doch kann der Mensch, ein Säugling stets, nur weinen
Nicht nennen, was ihn schmerzt, und was ihm noth!

"enzbotcn I8/,i. ". 74
Denn eine Sehnsucht, räthselhaft und heiß
Nach Glück, das Keiner doch zu nennen weiß,
Dringt mit dem ersten Schmerz in's Menschenleben,
Erst mit dem Todesschmerz dahin zu schweben.
Doch die Natur, die stolze, sich're, hat
Nicht Schmerz, und Schmerzen keinen Trost zu bieten,
Dem Glücklichen nur schreibt sie ihre Mythen
Voll Zauber auf des Frühlings grünes Blatt!
Es flammt der Berg vom Mittagsstrahl umschwommen;
,
Als Abdul jetzt zum Gipfel aufgeklommen,
3u Füßen ihm ein weiter Garten liegt,
An den ein säulenreiches Schloß sich schmiegt.
Er nennt sein eigen, was sich stellt als Bildniß
Der Erdenpracht dort seinen Blicken dar,
Doch meidet er die Freiheit jenem Aar,
Der hier bewohnt die einsam tiefe Wildniß.
Sein Auge starrt, das first're, trüb hinaus,
Er bricht in Klagen, schwer und bitter, aus:
„O, wär' der Tod mir statt des Fluchs gekommen,
Den thöricht für den Segen ich genommen!
Der Schild mir Erd und Himmel überdeckt,
So lang mein Wollen nicht die Frucht gebrochen
Des höchsten Glückes, das unausgesprochen,
Nur als ein formlos Wahngespenst mich schreckt.
„So viele Länder auch mein Fuß durchschritten.
So viele Qualen auch mein Herz gelitten,
Noch fand ich nicht das Glück für meinen Neid,
Noch fand ich nicht die Tröstung für mein Leid!
Ein unverlöschbar quälendes Entbrennen
Für allumfassend ird'sche Seligkeit,
Nach der mein ganzes Leben schmachtend schreit.
Kann ich von meiner Seele nicht mehr trennen!
„Der Dolch, der ihren Busen traf, verstieß
Mich aus des Unbewußtseins Paradies.
Ich sah die Schlange, Schmerz, an mich sich pressen,
'
Und vom Erkenntnißbaum hab ich gegessen.
Ich hab' erkannt, daß Moder, Lüge, Tod
Jedwedes Gut, das Glück uns möchte scheinen,
Doch kann der Mensch, ein Säugling stets, nur weinen
Nicht nennen, was ihn schmerzt, und was ihm noth!

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[0589] Denn eine Sehnsucht, räthselhaft und heiß Nach Glück, das Keiner doch zu nennen weiß, Dringt mit dem ersten Schmerz in's Menschenleben, Erst mit dem Todesschmerz dahin zu schweben. Doch die Natur, die stolze, sich're, hat Nicht Schmerz, und Schmerzen keinen Trost zu bieten, Dem Glücklichen nur schreibt sie ihre Mythen Voll Zauber auf des Frühlings grünes Blatt! Es flammt der Berg vom Mittagsstrahl umschwommen; , Als Abdul jetzt zum Gipfel aufgeklommen, 3u Füßen ihm ein weiter Garten liegt, An den ein säulenreiches Schloß sich schmiegt. Er nennt sein eigen, was sich stellt als Bildniß Der Erdenpracht dort seinen Blicken dar, Doch meidet er die Freiheit jenem Aar, Der hier bewohnt die einsam tiefe Wildniß. Sein Auge starrt, das first're, trüb hinaus, Er bricht in Klagen, schwer und bitter, aus: „O, wär' der Tod mir statt des Fluchs gekommen, Den thöricht für den Segen ich genommen! Der Schild mir Erd und Himmel überdeckt, So lang mein Wollen nicht die Frucht gebrochen Des höchsten Glückes, das unausgesprochen, Nur als ein formlos Wahngespenst mich schreckt. „So viele Länder auch mein Fuß durchschritten. So viele Qualen auch mein Herz gelitten, Noch fand ich nicht das Glück für meinen Neid, Noch fand ich nicht die Tröstung für mein Leid! Ein unverlöschbar quälendes Entbrennen Für allumfassend ird'sche Seligkeit, Nach der mein ganzes Leben schmachtend schreit. Kann ich von meiner Seele nicht mehr trennen! „Der Dolch, der ihren Busen traf, verstieß Mich aus des Unbewußtseins Paradies. Ich sah die Schlange, Schmerz, an mich sich pressen, ' Und vom Erkenntnißbaum hab ich gegessen. Ich hab' erkannt, daß Moder, Lüge, Tod Jedwedes Gut, das Glück uns möchte scheinen, Doch kann der Mensch, ein Säugling stets, nur weinen Nicht nennen, was ihn schmerzt, und was ihm noth! »enzbotcn I8/,i. „. 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/589>, abgerufen am 27.07.2024.