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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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denken" Anlaß, weshalb auf Betreiben der Gutsherrn zwei Jahre
nach Publication des Gesetzes mehrere Bestimmungen suspendirt wur¬
den. Damit die Gutsherrn ihre Prozesse gegen die Bauern gewinnen
könnten, wurde eine Verbesserung des Gesetzes beantragt. Auf den
Adelswgen im Rittersaale zu Harbke, dicht an der braunschweigischen
Grenze, wurden vom altmärkischen und magdeburgschen Adel die Wege
berathen, auf denen er seine Interessen in den höheren Regionen deS
Staates geltend machen wollte. Durch die Presse suchte der Freiherr
von Strombeet im eigenen und seiner Genossen Interesse zu wirken,
sogar die Literaturzeitungen, die Hallesche, die Jenaische und die Leip¬
ziger wurden veranlaßt, im Interesse der Gutsherrn eine Lanze zu
brechen. So erschien das Gesetz i.ber die Rechtsverhältnisse des
Grundbesitzes im ehemaligen Königreich Westphalen, vom 21. April
182", nach welchem "die fremde Gesetzgebung, so weit sie während
ihrer kurzen Dauer zur factischen Wirklichkeit gelangt sei,
"inen unzweifelhaften Rechtszustand begründet habe." Indeß werden
wahrscheinlich neue Deklarationen dieses Gesetzes nothwendig werben,
wenn die Gutsherrn ihre Prozesse gewinnen sollen. Alle ungemesse-
nen Dienste bleiben durch dies Gesetz aufgehoben. Zu Anfange die¬
ses Jahrhunderts behaupteten die Gutsherrn, die Dienste überhaupt,
die Baudienste insbesondere, seien ungemessen, d. h. die Dienst¬
pflichtigen müßten so viel Dienste leisten, als erforderlich. Damit
war der gutsherrlichen Willkür, Verschwendung, Bau- und Pracht¬
liebe ein weiter Spielraum zur Beknechtung der Dienstpflichtigen ge¬
geben. In solchem ungemessenen Baudienste mußten im Anfange des
vorigen Jahrhunderts Baudienstpflichtige eine Reise nach Paris ma>
chen, um von dort die eisernen Gitter am Gartenthore des Hundiö-
burger Schlosses zu holen. Gegenwärtig, da die ungemessenen Dienste
aufgehoben sind, behaupten die Gutsherrn, diese Dienste seien ge¬
messen, und verlangen in diesem Sinne eine Declaration des Ge¬
setzes.

Mit den Provinziallandragen wurden für die Altmark besondere
Communallandtage organisirt, auf denen sämmtliche Rittergutsbesitzer
(circa MV) und Deputate der Städte, der Dorfgemeinden, aus Ma¬
gistratsgliedern und Dorfschulzen lebenslänglich erwählt erscheinen.

Durch die westphälische Communalordnung waren die Gutsherrn
mit den Dorfgcmeinden zu einem Communalverbande vereinigt.


denken" Anlaß, weshalb auf Betreiben der Gutsherrn zwei Jahre
nach Publication des Gesetzes mehrere Bestimmungen suspendirt wur¬
den. Damit die Gutsherrn ihre Prozesse gegen die Bauern gewinnen
könnten, wurde eine Verbesserung des Gesetzes beantragt. Auf den
Adelswgen im Rittersaale zu Harbke, dicht an der braunschweigischen
Grenze, wurden vom altmärkischen und magdeburgschen Adel die Wege
berathen, auf denen er seine Interessen in den höheren Regionen deS
Staates geltend machen wollte. Durch die Presse suchte der Freiherr
von Strombeet im eigenen und seiner Genossen Interesse zu wirken,
sogar die Literaturzeitungen, die Hallesche, die Jenaische und die Leip¬
ziger wurden veranlaßt, im Interesse der Gutsherrn eine Lanze zu
brechen. So erschien das Gesetz i.ber die Rechtsverhältnisse des
Grundbesitzes im ehemaligen Königreich Westphalen, vom 21. April
182», nach welchem „die fremde Gesetzgebung, so weit sie während
ihrer kurzen Dauer zur factischen Wirklichkeit gelangt sei,
«inen unzweifelhaften Rechtszustand begründet habe." Indeß werden
wahrscheinlich neue Deklarationen dieses Gesetzes nothwendig werben,
wenn die Gutsherrn ihre Prozesse gewinnen sollen. Alle ungemesse-
nen Dienste bleiben durch dies Gesetz aufgehoben. Zu Anfange die¬
ses Jahrhunderts behaupteten die Gutsherrn, die Dienste überhaupt,
die Baudienste insbesondere, seien ungemessen, d. h. die Dienst¬
pflichtigen müßten so viel Dienste leisten, als erforderlich. Damit
war der gutsherrlichen Willkür, Verschwendung, Bau- und Pracht¬
liebe ein weiter Spielraum zur Beknechtung der Dienstpflichtigen ge¬
geben. In solchem ungemessenen Baudienste mußten im Anfange des
vorigen Jahrhunderts Baudienstpflichtige eine Reise nach Paris ma>
chen, um von dort die eisernen Gitter am Gartenthore des Hundiö-
burger Schlosses zu holen. Gegenwärtig, da die ungemessenen Dienste
aufgehoben sind, behaupten die Gutsherrn, diese Dienste seien ge¬
messen, und verlangen in diesem Sinne eine Declaration des Ge¬
setzes.

Mit den Provinziallandragen wurden für die Altmark besondere
Communallandtage organisirt, auf denen sämmtliche Rittergutsbesitzer
(circa MV) und Deputate der Städte, der Dorfgemeinden, aus Ma¬
gistratsgliedern und Dorfschulzen lebenslänglich erwählt erscheinen.

Durch die westphälische Communalordnung waren die Gutsherrn
mit den Dorfgcmeinden zu einem Communalverbande vereinigt.


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[0580] denken" Anlaß, weshalb auf Betreiben der Gutsherrn zwei Jahre nach Publication des Gesetzes mehrere Bestimmungen suspendirt wur¬ den. Damit die Gutsherrn ihre Prozesse gegen die Bauern gewinnen könnten, wurde eine Verbesserung des Gesetzes beantragt. Auf den Adelswgen im Rittersaale zu Harbke, dicht an der braunschweigischen Grenze, wurden vom altmärkischen und magdeburgschen Adel die Wege berathen, auf denen er seine Interessen in den höheren Regionen deS Staates geltend machen wollte. Durch die Presse suchte der Freiherr von Strombeet im eigenen und seiner Genossen Interesse zu wirken, sogar die Literaturzeitungen, die Hallesche, die Jenaische und die Leip¬ ziger wurden veranlaßt, im Interesse der Gutsherrn eine Lanze zu brechen. So erschien das Gesetz i.ber die Rechtsverhältnisse des Grundbesitzes im ehemaligen Königreich Westphalen, vom 21. April 182», nach welchem „die fremde Gesetzgebung, so weit sie während ihrer kurzen Dauer zur factischen Wirklichkeit gelangt sei, «inen unzweifelhaften Rechtszustand begründet habe." Indeß werden wahrscheinlich neue Deklarationen dieses Gesetzes nothwendig werben, wenn die Gutsherrn ihre Prozesse gewinnen sollen. Alle ungemesse- nen Dienste bleiben durch dies Gesetz aufgehoben. Zu Anfange die¬ ses Jahrhunderts behaupteten die Gutsherrn, die Dienste überhaupt, die Baudienste insbesondere, seien ungemessen, d. h. die Dienst¬ pflichtigen müßten so viel Dienste leisten, als erforderlich. Damit war der gutsherrlichen Willkür, Verschwendung, Bau- und Pracht¬ liebe ein weiter Spielraum zur Beknechtung der Dienstpflichtigen ge¬ geben. In solchem ungemessenen Baudienste mußten im Anfange des vorigen Jahrhunderts Baudienstpflichtige eine Reise nach Paris ma> chen, um von dort die eisernen Gitter am Gartenthore des Hundiö- burger Schlosses zu holen. Gegenwärtig, da die ungemessenen Dienste aufgehoben sind, behaupten die Gutsherrn, diese Dienste seien ge¬ messen, und verlangen in diesem Sinne eine Declaration des Ge¬ setzes. Mit den Provinziallandragen wurden für die Altmark besondere Communallandtage organisirt, auf denen sämmtliche Rittergutsbesitzer (circa MV) und Deputate der Städte, der Dorfgemeinden, aus Ma¬ gistratsgliedern und Dorfschulzen lebenslänglich erwählt erscheinen. Durch die westphälische Communalordnung waren die Gutsherrn mit den Dorfgcmeinden zu einem Communalverbande vereinigt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/580>, abgerufen am 27.07.2024.