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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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zu bedauern, daß seine Stimme in öffentlichen und literarischen Ange¬
legenheiten jetzt seltener gehört werden wird. Von seiner Seite gehört
ein gewisser Muth dazu, ein Organ aus der Hand zu legen, das bis
jetzt viele seiner kleinen und großen Feinde respectirten. Sie reiben
sich schon die Hände, die Kleinen von den Meinen! Hoffentlich wird
sie Laube durch thatigere Production niederhalten. Nächstens kommt
sein Rokoko auf hiesiger Bühne zur Aufführung; ein zeitgemäßer
Hieb gegen die überHand nehmende Tartüferie in Leipzig und in seiner
Nachbarschaft. -- Der Schriftsteller or. Wilhelm Bernharoi hat einen
Cyclus von Vorlesungen -i I" Tieck eröffnet, und sich als glücklichen
Schüler seines großen Meisters und Oheims bewährt. Die erste
Vorlesung war sehr besucht und die Frequenz wird wohl nach dem
ersten erfolgreichen Debüt noch zunehmen. Bernhard! liest echt dra¬
matisch; man glaubt Alles leibhaftig zu sehen. Er modulirt die
Stimme so gut und weiß jeden einzelnen Charakter so deutlich her¬
vorzuheben, daß es scheint, als ob jede Person ihren eigenen Darsteller
hätte. Er begann mit dem "Geschäftigen" von Holberg und nicht
eine komische Nüance des von Humor überfüllten Lustspiels ging ver¬
loren. Wer Holberg's Lustspiele und die Schwierigkeiten ihrer Dar¬
stellung auf den Bühnen kennt, wird diese Leistung Bernharoi's zu
würdigen wissen.


V.
VI.
Notizen.

Baron von Sina, der Sinai, Rothschild, Rom und Jerusalem. -- Russische
Flüchtlinge. -- Deutsche Einheit.

-- Als der Banquier-Baron Georg von Sina die kaiserlich öster¬
reichische Herrschaft Podiebrad ankaufte, machte man den guten schlech¬
ten Witz: Da können sich die Böhmen gratuliren; haben sie doch
wieder einen Georg von Podiebrad! Derselbe Baron Sina hat jetzt
die dreißigste Herrschaft in Oesterreich angekauft. Darüber werden
keine Witze gemacht werden, weder gute noch schlechte, sondern Viele
werden bedenklich den Kopf schütteln über das moderne Schicksal alt-
adeliger Güter. Wir täuschen uns aber nicht, wenn wir das gar
Zu heftige Kopfschütteln Mancher aus einem Mißverständniß herleiten
und u"z anheischig machen, mit ein paar Worten Hunderte von
Köpfen aufzurichten und Tausende von Herzen zu beruhigen. Sina
>!.t nämlich ein ungeschickter Name, der mehr als Einen schon auf' ^dee gebracht hat, sein Inhaber sei ein Beschnittener. Der Ba-
a^r so glücklich, weder Türke noch Jude, sondern orthodox
Lr eel)i,eyer Christ zu sein und der Name Sina steht in gar keinem
su,ammenhang mit dem Berge Sinai, auf dem die zehn Gebote


zu bedauern, daß seine Stimme in öffentlichen und literarischen Ange¬
legenheiten jetzt seltener gehört werden wird. Von seiner Seite gehört
ein gewisser Muth dazu, ein Organ aus der Hand zu legen, das bis
jetzt viele seiner kleinen und großen Feinde respectirten. Sie reiben
sich schon die Hände, die Kleinen von den Meinen! Hoffentlich wird
sie Laube durch thatigere Production niederhalten. Nächstens kommt
sein Rokoko auf hiesiger Bühne zur Aufführung; ein zeitgemäßer
Hieb gegen die überHand nehmende Tartüferie in Leipzig und in seiner
Nachbarschaft. — Der Schriftsteller or. Wilhelm Bernharoi hat einen
Cyclus von Vorlesungen -i I" Tieck eröffnet, und sich als glücklichen
Schüler seines großen Meisters und Oheims bewährt. Die erste
Vorlesung war sehr besucht und die Frequenz wird wohl nach dem
ersten erfolgreichen Debüt noch zunehmen. Bernhard! liest echt dra¬
matisch; man glaubt Alles leibhaftig zu sehen. Er modulirt die
Stimme so gut und weiß jeden einzelnen Charakter so deutlich her¬
vorzuheben, daß es scheint, als ob jede Person ihren eigenen Darsteller
hätte. Er begann mit dem „Geschäftigen" von Holberg und nicht
eine komische Nüance des von Humor überfüllten Lustspiels ging ver¬
loren. Wer Holberg's Lustspiele und die Schwierigkeiten ihrer Dar¬
stellung auf den Bühnen kennt, wird diese Leistung Bernharoi's zu
würdigen wissen.


V.
VI.
Notizen.

Baron von Sina, der Sinai, Rothschild, Rom und Jerusalem. — Russische
Flüchtlinge. — Deutsche Einheit.

— Als der Banquier-Baron Georg von Sina die kaiserlich öster¬
reichische Herrschaft Podiebrad ankaufte, machte man den guten schlech¬
ten Witz: Da können sich die Böhmen gratuliren; haben sie doch
wieder einen Georg von Podiebrad! Derselbe Baron Sina hat jetzt
die dreißigste Herrschaft in Oesterreich angekauft. Darüber werden
keine Witze gemacht werden, weder gute noch schlechte, sondern Viele
werden bedenklich den Kopf schütteln über das moderne Schicksal alt-
adeliger Güter. Wir täuschen uns aber nicht, wenn wir das gar
Zu heftige Kopfschütteln Mancher aus einem Mißverständniß herleiten
und u„z anheischig machen, mit ein paar Worten Hunderte von
Köpfen aufzurichten und Tausende von Herzen zu beruhigen. Sina
>!.t nämlich ein ungeschickter Name, der mehr als Einen schon auf' ^dee gebracht hat, sein Inhaber sei ein Beschnittener. Der Ba-
a^r so glücklich, weder Türke noch Jude, sondern orthodox
Lr eel)i,eyer Christ zu sein und der Name Sina steht in gar keinem
su,ammenhang mit dem Berge Sinai, auf dem die zehn Gebote


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/571>, abgerufen am 05.12.2024.