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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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andern zu verunreinigen -- Da ist von keinem spert die Rede, dem
allgemeinen Freihafen der Freude, wo jeder mit seinem bunten Freu-
denschifflein einlaufen kann, wo Fürsten und überzählige Praktikanten
und Friseure, gleichgemacht durch gleiche Freude, durch einander wogen
und schwärmen, -- Dafür aber ist Wien frivol und Leipzig solide. --
Aber auch in diesem norddeutschen Leben gibt es schöne Oasen, Stun¬
den und Zirkel, in denen man diese Sterilität vergißt. Eine solche
Stunde war z. B. die musikalische MatinvcR obere Schumann's und
seiner herrlichen Frau, die wir Süddeutschen noch immer Clara Wieck
nennen. -- Unter diesem Namen ist sie uns lieb und theuer geworden,
unter diesem Namen hat sie Grillparzer besungen, als das Kind, das
den Schlüssel zu den Wunderschätzen des Zauberers Beethoven ge¬
funden. -- Nein, sie hat ihn noch nicht verloren! -- Wie hat sie die
Sonate gespielt! -- Ich weiß nicht, ob es Alle so deutlich gesehen,
wie ich: der Geist Beethoven's stand hinter ihr und schlug lächelnd den
Takt, und als sie ausstand, küßte er ihr die Stirne und dann die
schönen marmornen Hände. Eine Matinee hat das Gemüthliche, daß
man geladen ist und sich wie in einem Familienkreise befindet. Clara
war die Hausfrau und bewirthete die Gäste mit ihren Liedern, mit
Beethoven und mit den tiefsinnigen Tondichtungen ihres Mannes. ----
Ihre Freunde halfen ihr und unter ihnen vorzüglich eine schöne Frau,
die durch ihren gefühlstiefen Gesang entzückte.

Den Abend vorher war Euterpeconcert, wo man ebenfalls Beet¬
hoven zu hören bekam. -- Die C-moll-Symphonie ging vortrefflich,
eben so die Freischütz-Ouvertüre. -- Es ist das Verdienst des Kapell¬
meisters Netzer, der gewiß immer mehr und Besseres leisten wird, wenn
er erst die Schwierigkeiten einer neuen Stellung, die ihm von verschie¬
denen Seiten nur erschwert wird, bezwungen hat. -- Von Musik zur
Literatur. - Mit Neujahr haben wir einen Nekrolog zu schreiben,
denn die "Elegante" wird sterben; sie geht an der Speculation eines
Buchhändlers zu Grunde, der zur Mode mehr Vertrauen hat, als zur
Literatur -- Ja sie stirbt! Denn wenn die Zeitung auch den Namen
fortführt, so ist sie doch nicht mehr das Blatt, welches seit dem
Beginn der dreißiger Jahre abwechselnd unter Kühne's und Laube's
Leitung eine der gewichtigsten und angesehensten Stimmen deutscher
Journalistik führte. --- Sie wird werden, wie die nichtsnutzigen Söhne
berühmter Väter, die Nichts als den angestammten Namen besitzen. --
Hat ein Buchhändler so wenig literarischen Sinn und Ehrgeiz, daß
er ein Journal, welches 4V Jahre mit Ehren gedient hat, zu einem
Modeblättchen degradirt, nur weil er noch 1W Abonnenten mehr zu be¬
kommen hofft? Und ob er sich nicht tauschen wird in seiner Hoffnung;
Modeblätter gibt es genug und man wird stets Pariser und Wiener
Moden der Leipziger vorziehen. -- Daß sich Laube nicht zur Redaction
eines bloßen Modeblattcs hergeben würde, war zu erwarten; nur ist


andern zu verunreinigen — Da ist von keinem spert die Rede, dem
allgemeinen Freihafen der Freude, wo jeder mit seinem bunten Freu-
denschifflein einlaufen kann, wo Fürsten und überzählige Praktikanten
und Friseure, gleichgemacht durch gleiche Freude, durch einander wogen
und schwärmen, — Dafür aber ist Wien frivol und Leipzig solide. —
Aber auch in diesem norddeutschen Leben gibt es schöne Oasen, Stun¬
den und Zirkel, in denen man diese Sterilität vergißt. Eine solche
Stunde war z. B. die musikalische MatinvcR obere Schumann's und
seiner herrlichen Frau, die wir Süddeutschen noch immer Clara Wieck
nennen. — Unter diesem Namen ist sie uns lieb und theuer geworden,
unter diesem Namen hat sie Grillparzer besungen, als das Kind, das
den Schlüssel zu den Wunderschätzen des Zauberers Beethoven ge¬
funden. — Nein, sie hat ihn noch nicht verloren! — Wie hat sie die
Sonate gespielt! — Ich weiß nicht, ob es Alle so deutlich gesehen,
wie ich: der Geist Beethoven's stand hinter ihr und schlug lächelnd den
Takt, und als sie ausstand, küßte er ihr die Stirne und dann die
schönen marmornen Hände. Eine Matinee hat das Gemüthliche, daß
man geladen ist und sich wie in einem Familienkreise befindet. Clara
war die Hausfrau und bewirthete die Gäste mit ihren Liedern, mit
Beethoven und mit den tiefsinnigen Tondichtungen ihres Mannes. -—-
Ihre Freunde halfen ihr und unter ihnen vorzüglich eine schöne Frau,
die durch ihren gefühlstiefen Gesang entzückte.

Den Abend vorher war Euterpeconcert, wo man ebenfalls Beet¬
hoven zu hören bekam. — Die C-moll-Symphonie ging vortrefflich,
eben so die Freischütz-Ouvertüre. — Es ist das Verdienst des Kapell¬
meisters Netzer, der gewiß immer mehr und Besseres leisten wird, wenn
er erst die Schwierigkeiten einer neuen Stellung, die ihm von verschie¬
denen Seiten nur erschwert wird, bezwungen hat. — Von Musik zur
Literatur. - Mit Neujahr haben wir einen Nekrolog zu schreiben,
denn die „Elegante" wird sterben; sie geht an der Speculation eines
Buchhändlers zu Grunde, der zur Mode mehr Vertrauen hat, als zur
Literatur — Ja sie stirbt! Denn wenn die Zeitung auch den Namen
fortführt, so ist sie doch nicht mehr das Blatt, welches seit dem
Beginn der dreißiger Jahre abwechselnd unter Kühne's und Laube's
Leitung eine der gewichtigsten und angesehensten Stimmen deutscher
Journalistik führte. -— Sie wird werden, wie die nichtsnutzigen Söhne
berühmter Väter, die Nichts als den angestammten Namen besitzen. —
Hat ein Buchhändler so wenig literarischen Sinn und Ehrgeiz, daß
er ein Journal, welches 4V Jahre mit Ehren gedient hat, zu einem
Modeblättchen degradirt, nur weil er noch 1W Abonnenten mehr zu be¬
kommen hofft? Und ob er sich nicht tauschen wird in seiner Hoffnung;
Modeblätter gibt es genug und man wird stets Pariser und Wiener
Moden der Leipziger vorziehen. — Daß sich Laube nicht zur Redaction
eines bloßen Modeblattcs hergeben würde, war zu erwarten; nur ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/570>, abgerufen am 27.07.2024.