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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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konnte mir erwünschter sein, als ein Patient und noch dazu der
Schachtelmann, der Gegenstand der Neugierde von ganz Birkenfeld.

-- Ist sein Herr schon lange krank? fragte ich während deö
Anziehens und schob dein Diener einen Stuhl hin.

-- Es sind nun fast vier Jahre, bemerkte der Gefragte, seitdem
er nicht aus dem Hause gekommen ist; übrigens war seine Gesund¬
heit sonst immer sehr dauerhaft und ich glaube, daß es Folgen des
Schreckens sind, an denen er leidet!

-- Hat sein Herr einen Schrecken gehabt? fragte ich und steckte
dabei einige aufregende und belebende Mittel in die Tasche.

-- Ja wohl, versetzte Jener, und zwar einen recht großen! Es
war auch ein schreckliches Wetter an jenem Tage; der Sturmwind
nahm meinem armen Herrn den Hut sammt der Schachtel, schleu¬
derte Alles hoch in die Luft und so weit hinweg, daß wir nie wie¬
der etwas davon zu Gesicht bekommen haben.

Der Diener machte bei dieser Erzählung ein so klägliches Jam¬
mergesicht, daß ich, obgleich mir unwillkürlich das Lachen kam, doch
meine Fassung behielt und ihn mit Theilnahme anblicken konnte.

-- Seit diesem unheilvollen Ereigniß, fuhr der Diener fort, hat
mein Herr nicht mehr seinen gewohnten Spaziergang gemacht, sitzt
zu Hause und grämt sich und ist sehr übel.

-- Also die Schachtel wurde ihm vom Sturmwind genommen?
bemerkte ich, um doch nur etwas zu sagen. .

-- Wir haben niemals auch nur ein Stück wieder von ihr ge¬
sehen, war die Antwort; ach, ich glaube, wenn mein Herr die Schach¬
tel wieder hätte, er würde heute wieder gesund sein.

-- Meint Ihr das? fragte ich und bückte mich schnell auf ei¬
nen Stuhl nieder, damit nur meine Lachmuskeln wieder in Ordnung
kämen; denn meine Phantasie malte sich so lebhast die Scene aus,
welche der Diener schilderte, daß ich sie vor mir zu sehen glaubte
und ganz wieder der muthwillige Knabe war.

Wir traten jetzt unseren Weg an, und ich befand mich nach
wenigen Schritten im Hause des Schachtelmannes. Es wurde mir
doch ganz sonderbar zu Muthe, als ich mich in dem stillen Raum
erblickte, den nur ein trübes Dämmerlicht erhellte; der Diener ver¬
schloß die Thüre, so bald wir eingetreten waren und führte mich über
den Hausflur, all dessen Wänden mehr wie fünfzig Schachteln flau-


konnte mir erwünschter sein, als ein Patient und noch dazu der
Schachtelmann, der Gegenstand der Neugierde von ganz Birkenfeld.

— Ist sein Herr schon lange krank? fragte ich während deö
Anziehens und schob dein Diener einen Stuhl hin.

— Es sind nun fast vier Jahre, bemerkte der Gefragte, seitdem
er nicht aus dem Hause gekommen ist; übrigens war seine Gesund¬
heit sonst immer sehr dauerhaft und ich glaube, daß es Folgen des
Schreckens sind, an denen er leidet!

— Hat sein Herr einen Schrecken gehabt? fragte ich und steckte
dabei einige aufregende und belebende Mittel in die Tasche.

— Ja wohl, versetzte Jener, und zwar einen recht großen! Es
war auch ein schreckliches Wetter an jenem Tage; der Sturmwind
nahm meinem armen Herrn den Hut sammt der Schachtel, schleu¬
derte Alles hoch in die Luft und so weit hinweg, daß wir nie wie¬
der etwas davon zu Gesicht bekommen haben.

Der Diener machte bei dieser Erzählung ein so klägliches Jam¬
mergesicht, daß ich, obgleich mir unwillkürlich das Lachen kam, doch
meine Fassung behielt und ihn mit Theilnahme anblicken konnte.

— Seit diesem unheilvollen Ereigniß, fuhr der Diener fort, hat
mein Herr nicht mehr seinen gewohnten Spaziergang gemacht, sitzt
zu Hause und grämt sich und ist sehr übel.

— Also die Schachtel wurde ihm vom Sturmwind genommen?
bemerkte ich, um doch nur etwas zu sagen. .

— Wir haben niemals auch nur ein Stück wieder von ihr ge¬
sehen, war die Antwort; ach, ich glaube, wenn mein Herr die Schach¬
tel wieder hätte, er würde heute wieder gesund sein.

— Meint Ihr das? fragte ich und bückte mich schnell auf ei¬
nen Stuhl nieder, damit nur meine Lachmuskeln wieder in Ordnung
kämen; denn meine Phantasie malte sich so lebhast die Scene aus,
welche der Diener schilderte, daß ich sie vor mir zu sehen glaubte
und ganz wieder der muthwillige Knabe war.

Wir traten jetzt unseren Weg an, und ich befand mich nach
wenigen Schritten im Hause des Schachtelmannes. Es wurde mir
doch ganz sonderbar zu Muthe, als ich mich in dem stillen Raum
erblickte, den nur ein trübes Dämmerlicht erhellte; der Diener ver¬
schloß die Thüre, so bald wir eingetreten waren und führte mich über
den Hausflur, all dessen Wänden mehr wie fünfzig Schachteln flau-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/57>, abgerufen am 01.09.2024.