Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

denen Staatsschuldverschreibungcn nicht für seine Nachfolger verbind¬
lich hielten, und an keinen Regierungswechsel gewöhnt, das lo im oft
mort, vivo l"? roi! nicht kannten. Dadurch entstand nun ein panischer
Schrecken und alle Papiere sanken so zur Ungebühr, daß der erwähnte
Herr Todesko dem moralischen Tode damals kaum entgangen ist.
Es wäre wirklich Schade gewesen, da der Mann den Ruf eines der
wohlthätigsten und freigebigsten Personen Wiens hinterließ und meh¬
rere reich dotirte Stiftungen, worunter ein Spital in Baden von vier¬
zig Betten, eine Kleinkindcr-Bewahranstalt in seiner Vaterstadt Pre߬
burg u. s. w. begründet hat. Seine Glaubensgenossen namentlich, er
war Jsraelit, sollen an ihm eine große Stütze eingebüßt haben. Er
hatte unter Andern, die eigenthümliche Einrichtung getroffen, jeden
Mittag einen offenen Tisch für alle jüdischen Armen, die sich daran
setzen wollten, zu bestellen, so daß an manchem Tage mehrere Hun¬
derte dort gespeis't wurden. Diesem echt christlichen Werke wäre Nach¬
ahmung zu wünschen von solchen Reichen, die keine Juden sind. Bör¬
sengespräch ist übrigens auch noch das originelle Testament, welches
Herr Todesko gemacht hat. Er hinterließ fünf Kinder, betheiligte aber
keineswegs alle gleich, sondern machte Unterschiede nach dem Grade
ihrer Kapacität und ihrer Wohlthätigkeitsliebe, so daß eins der Erben
dreißig, ein anderes zwanzig, zwei blos dreizehn Procent der Erbschaft
erhielten. Eine solche Eintheilung, welche an die Se. Simonistische
Schule und ihre Personenabschätzung erinnert, ließe sich vielleicht noch
weiter ausführen, und wir kämen bei unserer Börsenspeculcttionszeit
am Ende noch dahin, daß nicht blos Papiere, sondern auch Personen
ihre Tagescourse erhielten. So z, B. könnte man, wie man auf die
Actien dieser oder jener Eisenbahn speculirt, auf das Erbtheil dieser
oder jener Millionarskinder und Neffen speculiren. Heute steht Karl
mit vierzehn sieben Achtel und Louise mit siebenundzwanzig eilf Sech¬
zehntel, morgen aber steigt Karl auf siebzehn drei Achtel und Louise
fallt auf fünfundzwanzig drei Sechzehntel.

Bäuerle's Zeitschrift will wirklich den Kampf mit der "Jllustrir-
ren" eingehen. Die Theaterzeitung wird vom Neujahr an mit Illu¬
strationen erscheinen. Es ist ein Wagstück, da die Kosten des Unter¬
nehmens außerordentlich groß sein sollen. Meines Erachtens ist es
nicht der äußere Firlefanz, der unserer Journalistik auf die Beine hel¬
fen kann, sondern der innere Gehalt und die Gesinnung. Ich will
nicht den Stein auf unsere, von den Censurverhältnissen ohnehin genug
bedrängten Blätter werfen, aber die meisten von ihnen treiben ihre
Industrie auf eine Weise, daß der ehrliebende Schriftsteller erröthen
muß, in solcher Gemeinschaft zu leben.*)


Rainer.

--^"'"-."^"S der Redaction. Die Grenzboten haben es sich seit ih-
r^in ^e,reyen zur Pflicht gemacht, der Sache der ohnehin unterdrückten öfter"
Gre""bot"n " ^

denen Staatsschuldverschreibungcn nicht für seine Nachfolger verbind¬
lich hielten, und an keinen Regierungswechsel gewöhnt, das lo im oft
mort, vivo l«? roi! nicht kannten. Dadurch entstand nun ein panischer
Schrecken und alle Papiere sanken so zur Ungebühr, daß der erwähnte
Herr Todesko dem moralischen Tode damals kaum entgangen ist.
Es wäre wirklich Schade gewesen, da der Mann den Ruf eines der
wohlthätigsten und freigebigsten Personen Wiens hinterließ und meh¬
rere reich dotirte Stiftungen, worunter ein Spital in Baden von vier¬
zig Betten, eine Kleinkindcr-Bewahranstalt in seiner Vaterstadt Pre߬
burg u. s. w. begründet hat. Seine Glaubensgenossen namentlich, er
war Jsraelit, sollen an ihm eine große Stütze eingebüßt haben. Er
hatte unter Andern, die eigenthümliche Einrichtung getroffen, jeden
Mittag einen offenen Tisch für alle jüdischen Armen, die sich daran
setzen wollten, zu bestellen, so daß an manchem Tage mehrere Hun¬
derte dort gespeis't wurden. Diesem echt christlichen Werke wäre Nach¬
ahmung zu wünschen von solchen Reichen, die keine Juden sind. Bör¬
sengespräch ist übrigens auch noch das originelle Testament, welches
Herr Todesko gemacht hat. Er hinterließ fünf Kinder, betheiligte aber
keineswegs alle gleich, sondern machte Unterschiede nach dem Grade
ihrer Kapacität und ihrer Wohlthätigkeitsliebe, so daß eins der Erben
dreißig, ein anderes zwanzig, zwei blos dreizehn Procent der Erbschaft
erhielten. Eine solche Eintheilung, welche an die Se. Simonistische
Schule und ihre Personenabschätzung erinnert, ließe sich vielleicht noch
weiter ausführen, und wir kämen bei unserer Börsenspeculcttionszeit
am Ende noch dahin, daß nicht blos Papiere, sondern auch Personen
ihre Tagescourse erhielten. So z, B. könnte man, wie man auf die
Actien dieser oder jener Eisenbahn speculirt, auf das Erbtheil dieser
oder jener Millionarskinder und Neffen speculiren. Heute steht Karl
mit vierzehn sieben Achtel und Louise mit siebenundzwanzig eilf Sech¬
zehntel, morgen aber steigt Karl auf siebzehn drei Achtel und Louise
fallt auf fünfundzwanzig drei Sechzehntel.

Bäuerle's Zeitschrift will wirklich den Kampf mit der „Jllustrir-
ren" eingehen. Die Theaterzeitung wird vom Neujahr an mit Illu¬
strationen erscheinen. Es ist ein Wagstück, da die Kosten des Unter¬
nehmens außerordentlich groß sein sollen. Meines Erachtens ist es
nicht der äußere Firlefanz, der unserer Journalistik auf die Beine hel¬
fen kann, sondern der innere Gehalt und die Gesinnung. Ich will
nicht den Stein auf unsere, von den Censurverhältnissen ohnehin genug
bedrängten Blätter werfen, aber die meisten von ihnen treiben ihre
Industrie auf eine Weise, daß der ehrliebende Schriftsteller erröthen
muß, in solcher Gemeinschaft zu leben.*)


Rainer.

--^»'"-."^"S der Redaction. Die Grenzboten haben es sich seit ih-
r^in ^e,reyen zur Pflicht gemacht, der Sache der ohnehin unterdrückten öfter«
Gre»»bot«n „ ^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0557" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181741"/>
            <p xml:id="ID_1604" prev="#ID_1603"> denen Staatsschuldverschreibungcn nicht für seine Nachfolger verbind¬<lb/>
lich hielten, und an keinen Regierungswechsel gewöhnt, das lo im oft<lb/>
mort, vivo l«? roi! nicht kannten. Dadurch entstand nun ein panischer<lb/>
Schrecken und alle Papiere sanken so zur Ungebühr, daß der erwähnte<lb/>
Herr Todesko dem moralischen Tode damals kaum entgangen ist.<lb/>
Es wäre wirklich Schade gewesen, da der Mann den Ruf eines der<lb/>
wohlthätigsten und freigebigsten Personen Wiens hinterließ und meh¬<lb/>
rere reich dotirte Stiftungen, worunter ein Spital in Baden von vier¬<lb/>
zig Betten, eine Kleinkindcr-Bewahranstalt in seiner Vaterstadt Pre߬<lb/>
burg u. s. w. begründet hat. Seine Glaubensgenossen namentlich, er<lb/>
war Jsraelit, sollen an ihm eine große Stütze eingebüßt haben. Er<lb/>
hatte unter Andern, die eigenthümliche Einrichtung getroffen, jeden<lb/>
Mittag einen offenen Tisch für alle jüdischen Armen, die sich daran<lb/>
setzen wollten, zu bestellen, so daß an manchem Tage mehrere Hun¬<lb/>
derte dort gespeis't wurden. Diesem echt christlichen Werke wäre Nach¬<lb/>
ahmung zu wünschen von solchen Reichen, die keine Juden sind. Bör¬<lb/>
sengespräch ist übrigens auch noch das originelle Testament, welches<lb/>
Herr Todesko gemacht hat. Er hinterließ fünf Kinder, betheiligte aber<lb/>
keineswegs alle gleich, sondern machte Unterschiede nach dem Grade<lb/>
ihrer Kapacität und ihrer Wohlthätigkeitsliebe, so daß eins der Erben<lb/>
dreißig, ein anderes zwanzig, zwei blos dreizehn Procent der Erbschaft<lb/>
erhielten. Eine solche Eintheilung, welche an die Se. Simonistische<lb/>
Schule und ihre Personenabschätzung erinnert, ließe sich vielleicht noch<lb/>
weiter ausführen, und wir kämen bei unserer Börsenspeculcttionszeit<lb/>
am Ende noch dahin, daß nicht blos Papiere, sondern auch Personen<lb/>
ihre Tagescourse erhielten. So z, B. könnte man, wie man auf die<lb/>
Actien dieser oder jener Eisenbahn speculirt, auf das Erbtheil dieser<lb/>
oder jener Millionarskinder und Neffen speculiren. Heute steht Karl<lb/>
mit vierzehn sieben Achtel und Louise mit siebenundzwanzig eilf Sech¬<lb/>
zehntel, morgen aber steigt Karl auf siebzehn drei Achtel und Louise<lb/>
fallt auf fünfundzwanzig drei Sechzehntel.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1605"> Bäuerle's Zeitschrift will wirklich den Kampf mit der &#x201E;Jllustrir-<lb/>
ren" eingehen. Die Theaterzeitung wird vom Neujahr an mit Illu¬<lb/>
strationen erscheinen. Es ist ein Wagstück, da die Kosten des Unter¬<lb/>
nehmens außerordentlich groß sein sollen. Meines Erachtens ist es<lb/>
nicht der äußere Firlefanz, der unserer Journalistik auf die Beine hel¬<lb/>
fen kann, sondern der innere Gehalt und die Gesinnung. Ich will<lb/>
nicht den Stein auf unsere, von den Censurverhältnissen ohnehin genug<lb/>
bedrängten Blätter werfen, aber die meisten von ihnen treiben ihre<lb/>
Industrie auf eine Weise, daß der ehrliebende Schriftsteller erröthen<lb/>
muß, in solcher Gemeinschaft zu leben.*)</p><lb/>
            <note type="byline"> Rainer.</note><lb/>
            <note xml:id="FID_59" place="foot" next="#FID_60"> --^»'"-."^"S der Redaction. Die Grenzboten haben es sich seit ih-<lb/>
r^in ^e,reyen zur Pflicht gemacht, der Sache der ohnehin unterdrückten öfter«</note><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Gre»»bot«n &#x201E; ^</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0557] denen Staatsschuldverschreibungcn nicht für seine Nachfolger verbind¬ lich hielten, und an keinen Regierungswechsel gewöhnt, das lo im oft mort, vivo l«? roi! nicht kannten. Dadurch entstand nun ein panischer Schrecken und alle Papiere sanken so zur Ungebühr, daß der erwähnte Herr Todesko dem moralischen Tode damals kaum entgangen ist. Es wäre wirklich Schade gewesen, da der Mann den Ruf eines der wohlthätigsten und freigebigsten Personen Wiens hinterließ und meh¬ rere reich dotirte Stiftungen, worunter ein Spital in Baden von vier¬ zig Betten, eine Kleinkindcr-Bewahranstalt in seiner Vaterstadt Pre߬ burg u. s. w. begründet hat. Seine Glaubensgenossen namentlich, er war Jsraelit, sollen an ihm eine große Stütze eingebüßt haben. Er hatte unter Andern, die eigenthümliche Einrichtung getroffen, jeden Mittag einen offenen Tisch für alle jüdischen Armen, die sich daran setzen wollten, zu bestellen, so daß an manchem Tage mehrere Hun¬ derte dort gespeis't wurden. Diesem echt christlichen Werke wäre Nach¬ ahmung zu wünschen von solchen Reichen, die keine Juden sind. Bör¬ sengespräch ist übrigens auch noch das originelle Testament, welches Herr Todesko gemacht hat. Er hinterließ fünf Kinder, betheiligte aber keineswegs alle gleich, sondern machte Unterschiede nach dem Grade ihrer Kapacität und ihrer Wohlthätigkeitsliebe, so daß eins der Erben dreißig, ein anderes zwanzig, zwei blos dreizehn Procent der Erbschaft erhielten. Eine solche Eintheilung, welche an die Se. Simonistische Schule und ihre Personenabschätzung erinnert, ließe sich vielleicht noch weiter ausführen, und wir kämen bei unserer Börsenspeculcttionszeit am Ende noch dahin, daß nicht blos Papiere, sondern auch Personen ihre Tagescourse erhielten. So z, B. könnte man, wie man auf die Actien dieser oder jener Eisenbahn speculirt, auf das Erbtheil dieser oder jener Millionarskinder und Neffen speculiren. Heute steht Karl mit vierzehn sieben Achtel und Louise mit siebenundzwanzig eilf Sech¬ zehntel, morgen aber steigt Karl auf siebzehn drei Achtel und Louise fallt auf fünfundzwanzig drei Sechzehntel. Bäuerle's Zeitschrift will wirklich den Kampf mit der „Jllustrir- ren" eingehen. Die Theaterzeitung wird vom Neujahr an mit Illu¬ strationen erscheinen. Es ist ein Wagstück, da die Kosten des Unter¬ nehmens außerordentlich groß sein sollen. Meines Erachtens ist es nicht der äußere Firlefanz, der unserer Journalistik auf die Beine hel¬ fen kann, sondern der innere Gehalt und die Gesinnung. Ich will nicht den Stein auf unsere, von den Censurverhältnissen ohnehin genug bedrängten Blätter werfen, aber die meisten von ihnen treiben ihre Industrie auf eine Weise, daß der ehrliebende Schriftsteller erröthen muß, in solcher Gemeinschaft zu leben.*) Rainer. --^»'"-."^"S der Redaction. Die Grenzboten haben es sich seit ih- r^in ^e,reyen zur Pflicht gemacht, der Sache der ohnehin unterdrückten öfter« Gre»»bot«n „ ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/557
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/557>, abgerufen am 27.07.2024.