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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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war -- in der Studentensprache zu reden -- das merkwürdigste
Thier von ganz Birkcnfeld. Er glich dem Aeußeren nach vollkom¬
men seinem Diener, nur war sein Anzug noch mehr mit schützenden
Hüllen umgeben. Von dem Handgelenk bis herauf zum Ellenbogen
zog sich eine Büchse von Pappe, die vollkommen den Arm umschloß
und bei jeder Bewegung einen dumpfen, rasselnden Ton hören liest.
Von der Schulter hing ein schwerfälliger Mantel, wohl gesteift durch
einen mehrfachen Anstrich von dunkler Oelfarbe, mit kurzen Aermeln,
welche zur Hälfte wieder die pappenen Armschienen überragten. Die¬
ser unbeholfenen, vielfach umhülseten Figur des Schachtelmannes
wurde aber noch die Krone aufgesetzt durch einen unförmlichen, längst
aus der Mode gekommenen Hut, der gleich allen übrigen Stücken
der Kleidung in einer mit buntem Papier beliebten Schachtel Staat,
die seinen Umfang in der Höhe und Breite noch um ein Bedeuten¬
des vermehrte. Man wurde wirklich zweifelhaft, wenn Einem diese
wandernde Schachtel begegnete, wofür das die Hälfte der Straße
einnehmende Ungethüm zu halten sei: ob für einen Faschingsscherz,
oder für eine ungeheuere Schildkröte, der eine muthwillige Schöpfer¬
laune ein menschliches Antlitz mit einer tüchtigen rothen Nase ver¬
liehen habe?

Was Wunder, wenn alle Kinder des Städtchens, große sowohl
als kleine, verwundert dem Herrn und seinem Diener nachschaute"
und "der Schachtelmann, der Schachtelmann!" riefen. Nach und
nach hatten sich die Größeren an diesen Anblick gewöhnt; aber bei
der heranwachsenden Generation, die dem Auffallenden so gern ihr Ohr
leiht, war und blieb er der stete Gegenstand des Spottes und der
Nachahmung. In allen unseren Spielen bildete der Schachtelmann
die Hauptperson, die auf jede Art nachgeäfft wurde und die Stunde,
in welcher er seinen täglichen Spaziergang machte, war eine Freuden¬
stunde für alle Schulknaben von Birkenfeld.

Auch ich hatte manchen Verweis von meinem Vater darüber
erhalten, daß ich den Schachtelmann als neckende, kleine Schachtel
umschwärmte, allein dieser selbst schien von unserem Unfuge niemals
die geringste Notiz zu nehmen. Gravitätisch wandelte er mit weit
vorgesetztem spanischem Rohre dreimal um den Markt, ohne nur ein
einziges Mal weder-rechts noch links zu sehen, bog dann in die
Egidienstraße, durchschritt auch diese und setzte seinen Weg vor dem


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war — in der Studentensprache zu reden — das merkwürdigste
Thier von ganz Birkcnfeld. Er glich dem Aeußeren nach vollkom¬
men seinem Diener, nur war sein Anzug noch mehr mit schützenden
Hüllen umgeben. Von dem Handgelenk bis herauf zum Ellenbogen
zog sich eine Büchse von Pappe, die vollkommen den Arm umschloß
und bei jeder Bewegung einen dumpfen, rasselnden Ton hören liest.
Von der Schulter hing ein schwerfälliger Mantel, wohl gesteift durch
einen mehrfachen Anstrich von dunkler Oelfarbe, mit kurzen Aermeln,
welche zur Hälfte wieder die pappenen Armschienen überragten. Die¬
ser unbeholfenen, vielfach umhülseten Figur des Schachtelmannes
wurde aber noch die Krone aufgesetzt durch einen unförmlichen, längst
aus der Mode gekommenen Hut, der gleich allen übrigen Stücken
der Kleidung in einer mit buntem Papier beliebten Schachtel Staat,
die seinen Umfang in der Höhe und Breite noch um ein Bedeuten¬
des vermehrte. Man wurde wirklich zweifelhaft, wenn Einem diese
wandernde Schachtel begegnete, wofür das die Hälfte der Straße
einnehmende Ungethüm zu halten sei: ob für einen Faschingsscherz,
oder für eine ungeheuere Schildkröte, der eine muthwillige Schöpfer¬
laune ein menschliches Antlitz mit einer tüchtigen rothen Nase ver¬
liehen habe?

Was Wunder, wenn alle Kinder des Städtchens, große sowohl
als kleine, verwundert dem Herrn und seinem Diener nachschaute»
und „der Schachtelmann, der Schachtelmann!" riefen. Nach und
nach hatten sich die Größeren an diesen Anblick gewöhnt; aber bei
der heranwachsenden Generation, die dem Auffallenden so gern ihr Ohr
leiht, war und blieb er der stete Gegenstand des Spottes und der
Nachahmung. In allen unseren Spielen bildete der Schachtelmann
die Hauptperson, die auf jede Art nachgeäfft wurde und die Stunde,
in welcher er seinen täglichen Spaziergang machte, war eine Freuden¬
stunde für alle Schulknaben von Birkenfeld.

Auch ich hatte manchen Verweis von meinem Vater darüber
erhalten, daß ich den Schachtelmann als neckende, kleine Schachtel
umschwärmte, allein dieser selbst schien von unserem Unfuge niemals
die geringste Notiz zu nehmen. Gravitätisch wandelte er mit weit
vorgesetztem spanischem Rohre dreimal um den Markt, ohne nur ein
einziges Mal weder-rechts noch links zu sehen, bog dann in die
Egidienstraße, durchschritt auch diese und setzte seinen Weg vor dem


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[0055] war — in der Studentensprache zu reden — das merkwürdigste Thier von ganz Birkcnfeld. Er glich dem Aeußeren nach vollkom¬ men seinem Diener, nur war sein Anzug noch mehr mit schützenden Hüllen umgeben. Von dem Handgelenk bis herauf zum Ellenbogen zog sich eine Büchse von Pappe, die vollkommen den Arm umschloß und bei jeder Bewegung einen dumpfen, rasselnden Ton hören liest. Von der Schulter hing ein schwerfälliger Mantel, wohl gesteift durch einen mehrfachen Anstrich von dunkler Oelfarbe, mit kurzen Aermeln, welche zur Hälfte wieder die pappenen Armschienen überragten. Die¬ ser unbeholfenen, vielfach umhülseten Figur des Schachtelmannes wurde aber noch die Krone aufgesetzt durch einen unförmlichen, längst aus der Mode gekommenen Hut, der gleich allen übrigen Stücken der Kleidung in einer mit buntem Papier beliebten Schachtel Staat, die seinen Umfang in der Höhe und Breite noch um ein Bedeuten¬ des vermehrte. Man wurde wirklich zweifelhaft, wenn Einem diese wandernde Schachtel begegnete, wofür das die Hälfte der Straße einnehmende Ungethüm zu halten sei: ob für einen Faschingsscherz, oder für eine ungeheuere Schildkröte, der eine muthwillige Schöpfer¬ laune ein menschliches Antlitz mit einer tüchtigen rothen Nase ver¬ liehen habe? Was Wunder, wenn alle Kinder des Städtchens, große sowohl als kleine, verwundert dem Herrn und seinem Diener nachschaute» und „der Schachtelmann, der Schachtelmann!" riefen. Nach und nach hatten sich die Größeren an diesen Anblick gewöhnt; aber bei der heranwachsenden Generation, die dem Auffallenden so gern ihr Ohr leiht, war und blieb er der stete Gegenstand des Spottes und der Nachahmung. In allen unseren Spielen bildete der Schachtelmann die Hauptperson, die auf jede Art nachgeäfft wurde und die Stunde, in welcher er seinen täglichen Spaziergang machte, war eine Freuden¬ stunde für alle Schulknaben von Birkenfeld. Auch ich hatte manchen Verweis von meinem Vater darüber erhalten, daß ich den Schachtelmann als neckende, kleine Schachtel umschwärmte, allein dieser selbst schien von unserem Unfuge niemals die geringste Notiz zu nehmen. Gravitätisch wandelte er mit weit vorgesetztem spanischem Rohre dreimal um den Markt, ohne nur ein einziges Mal weder-rechts noch links zu sehen, bog dann in die Egidienstraße, durchschritt auch diese und setzte seinen Weg vor dem 7»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/55>, abgerufen am 01.09.2024.