Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aber bleibt, daß, die Ordnung ausdrücklich vorschreibt, die Geschwor¬
nen, die Bauern: "Ihr Herren Schoppen" anzureden. Es war da¬
her nicht so ganz unhistorisch, wenn während der westfälischen Re¬
gierung der Dorfschulze, der Bauer, in Zuschriften der höchsten Be-
" hörten: "Mein Herr" angeredet wurde.

Auf den gewöhnlichen Gerichtslagen wurden zuerst die Gemeinde¬
rechnungen in Gegenwart der Gemeinde abgenommen. Dann wur¬
den die Bauermeister gefragt, ob sich ihre Gemeinde "fromb gehalten."
Nicht selten hatten die Bauermeister anzuzeigen, daß "im Kruge
Schlägerei geschehen". Es habe sich Alles ganz wohl gehalten; nur
im Kruge sei ein "kleiner Tumult" gewesen. Erst hätten sie sich aus
Kurzweil gerungen, was der Altmärker im Gefühle seiner Kraft heute
noch gern thut, hernach wäre fast Ernst daraus geworden, indem sie
sich in die Haare gefallen. Die Bauermeister klagen auch wohl wi¬
der "die Krüger wegen des Bieres, das jetzo zu theuer und nicht
volle Maaß" gegeben würde. Auch die Landsassen, die zwanzig Män¬
ner, produciren 1650 zwei Kannen Bier, so nicht volles Maß sein
sollen; bitten um Besichtigung. "Sind von zwei Geschwornen mit
dem Maaß gemessen und sich befunden, daß an einem jeden halben
Stübchen ungefähr ein Trunk gemangelt." -- Außerdem werden
Klagen aller Art angebracht. Richter, Geschworne und Landsassen
erkennen, die Beamten der von Alvensleben confirmiren die Urtheile.
Die Gerichtsordnung von 1603 bestimmt, daß Richter, Schöppen
und Geschworne nach der Gerichtsordnung "erkennen". Wenn sie
aber "die Billigkeit nicht in Acht nehmen, sollen dero von Alvensle¬
ben Beamte Macht haben, den Spruch zu ändern, zu lindern oder
zu schärfen.!!" Das war wahrscheinlich die angedeutete Verbesserung
der "alten Gerichtsordnung". Auf diese Weise wurde den Bauern
das Urtheilfinden verleidet und das Recht, Recht zu sprechen, ihre ei¬
genen Richter zu sein, ihnen allmälig ganz entwunden. Das Verfah¬
ren war noch im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts folgendes:
Nach dem Gerichtsprotokolle von 1716 klagt Holzapfel wider Koch:
Beklagter habe sich widersetzt und seinen Sohn schlagen wollen, als
er ihm die Barte abgenommen, weil er im Holze Stämme abge-
klobt. Richter und Geschworene erkennen nach der Gerichts¬
ordnung einen Thaler Strafe, weil er die Barte mit in's Holz ge¬
bracht. Daß er des Schützen Holzapfel Sohn mit der Barte schla-


Grenzbotcn u.

aber bleibt, daß, die Ordnung ausdrücklich vorschreibt, die Geschwor¬
nen, die Bauern: „Ihr Herren Schoppen" anzureden. Es war da¬
her nicht so ganz unhistorisch, wenn während der westfälischen Re¬
gierung der Dorfschulze, der Bauer, in Zuschriften der höchsten Be-
" hörten: „Mein Herr" angeredet wurde.

Auf den gewöhnlichen Gerichtslagen wurden zuerst die Gemeinde¬
rechnungen in Gegenwart der Gemeinde abgenommen. Dann wur¬
den die Bauermeister gefragt, ob sich ihre Gemeinde „fromb gehalten."
Nicht selten hatten die Bauermeister anzuzeigen, daß „im Kruge
Schlägerei geschehen". Es habe sich Alles ganz wohl gehalten; nur
im Kruge sei ein „kleiner Tumult" gewesen. Erst hätten sie sich aus
Kurzweil gerungen, was der Altmärker im Gefühle seiner Kraft heute
noch gern thut, hernach wäre fast Ernst daraus geworden, indem sie
sich in die Haare gefallen. Die Bauermeister klagen auch wohl wi¬
der „die Krüger wegen des Bieres, das jetzo zu theuer und nicht
volle Maaß" gegeben würde. Auch die Landsassen, die zwanzig Män¬
ner, produciren 1650 zwei Kannen Bier, so nicht volles Maß sein
sollen; bitten um Besichtigung. „Sind von zwei Geschwornen mit
dem Maaß gemessen und sich befunden, daß an einem jeden halben
Stübchen ungefähr ein Trunk gemangelt." — Außerdem werden
Klagen aller Art angebracht. Richter, Geschworne und Landsassen
erkennen, die Beamten der von Alvensleben confirmiren die Urtheile.
Die Gerichtsordnung von 1603 bestimmt, daß Richter, Schöppen
und Geschworne nach der Gerichtsordnung „erkennen". Wenn sie
aber „die Billigkeit nicht in Acht nehmen, sollen dero von Alvensle¬
ben Beamte Macht haben, den Spruch zu ändern, zu lindern oder
zu schärfen.!!" Das war wahrscheinlich die angedeutete Verbesserung
der „alten Gerichtsordnung". Auf diese Weise wurde den Bauern
das Urtheilfinden verleidet und das Recht, Recht zu sprechen, ihre ei¬
genen Richter zu sein, ihnen allmälig ganz entwunden. Das Verfah¬
ren war noch im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts folgendes:
Nach dem Gerichtsprotokolle von 1716 klagt Holzapfel wider Koch:
Beklagter habe sich widersetzt und seinen Sohn schlagen wollen, als
er ihm die Barte abgenommen, weil er im Holze Stämme abge-
klobt. Richter und Geschworene erkennen nach der Gerichts¬
ordnung einen Thaler Strafe, weil er die Barte mit in's Holz ge¬
bracht. Daß er des Schützen Holzapfel Sohn mit der Barte schla-


Grenzbotcn u.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0541" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181725"/>
            <p xml:id="ID_1538" prev="#ID_1537"> aber bleibt, daß, die Ordnung ausdrücklich vorschreibt, die Geschwor¬<lb/>
nen, die Bauern: &#x201E;Ihr Herren Schoppen" anzureden. Es war da¬<lb/>
her nicht so ganz unhistorisch, wenn während der westfälischen Re¬<lb/>
gierung der Dorfschulze, der Bauer, in Zuschriften der höchsten Be-<lb/>
" hörten: &#x201E;Mein Herr" angeredet wurde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1539" next="#ID_1540"> Auf den gewöhnlichen Gerichtslagen wurden zuerst die Gemeinde¬<lb/>
rechnungen in Gegenwart der Gemeinde abgenommen. Dann wur¬<lb/>
den die Bauermeister gefragt, ob sich ihre Gemeinde &#x201E;fromb gehalten."<lb/>
Nicht selten hatten die Bauermeister anzuzeigen, daß &#x201E;im Kruge<lb/>
Schlägerei geschehen". Es habe sich Alles ganz wohl gehalten; nur<lb/>
im Kruge sei ein &#x201E;kleiner Tumult" gewesen. Erst hätten sie sich aus<lb/>
Kurzweil gerungen, was der Altmärker im Gefühle seiner Kraft heute<lb/>
noch gern thut, hernach wäre fast Ernst daraus geworden, indem sie<lb/>
sich in die Haare gefallen. Die Bauermeister klagen auch wohl wi¬<lb/>
der &#x201E;die Krüger wegen des Bieres, das jetzo zu theuer und nicht<lb/>
volle Maaß" gegeben würde. Auch die Landsassen, die zwanzig Män¬<lb/>
ner, produciren 1650 zwei Kannen Bier, so nicht volles Maß sein<lb/>
sollen; bitten um Besichtigung.  &#x201E;Sind von zwei Geschwornen mit<lb/>
dem Maaß gemessen und sich befunden, daß an einem jeden halben<lb/>
Stübchen ungefähr ein Trunk gemangelt." &#x2014; Außerdem werden<lb/>
Klagen aller Art angebracht. Richter, Geschworne und Landsassen<lb/>
erkennen, die Beamten der von Alvensleben confirmiren die Urtheile.<lb/>
Die Gerichtsordnung von 1603 bestimmt, daß Richter, Schöppen<lb/>
und Geschworne nach der Gerichtsordnung &#x201E;erkennen". Wenn sie<lb/>
aber &#x201E;die Billigkeit nicht in Acht nehmen, sollen dero von Alvensle¬<lb/>
ben Beamte Macht haben, den Spruch zu ändern, zu lindern oder<lb/>
zu schärfen.!!" Das war wahrscheinlich die angedeutete Verbesserung<lb/>
der &#x201E;alten Gerichtsordnung". Auf diese Weise wurde den Bauern<lb/>
das Urtheilfinden verleidet und das Recht, Recht zu sprechen, ihre ei¬<lb/>
genen Richter zu sein, ihnen allmälig ganz entwunden. Das Verfah¬<lb/>
ren war noch im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts folgendes:<lb/>
Nach dem Gerichtsprotokolle von 1716 klagt Holzapfel wider Koch:<lb/>
Beklagter habe sich widersetzt und seinen Sohn schlagen wollen, als<lb/>
er ihm die Barte abgenommen, weil er im Holze Stämme abge-<lb/>
klobt. Richter und Geschworene erkennen nach der Gerichts¬<lb/>
ordnung einen Thaler Strafe, weil er die Barte mit in's Holz ge¬<lb/>
bracht. Daß er des Schützen Holzapfel Sohn mit der Barte schla-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotcn u.</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0541] aber bleibt, daß, die Ordnung ausdrücklich vorschreibt, die Geschwor¬ nen, die Bauern: „Ihr Herren Schoppen" anzureden. Es war da¬ her nicht so ganz unhistorisch, wenn während der westfälischen Re¬ gierung der Dorfschulze, der Bauer, in Zuschriften der höchsten Be- " hörten: „Mein Herr" angeredet wurde. Auf den gewöhnlichen Gerichtslagen wurden zuerst die Gemeinde¬ rechnungen in Gegenwart der Gemeinde abgenommen. Dann wur¬ den die Bauermeister gefragt, ob sich ihre Gemeinde „fromb gehalten." Nicht selten hatten die Bauermeister anzuzeigen, daß „im Kruge Schlägerei geschehen". Es habe sich Alles ganz wohl gehalten; nur im Kruge sei ein „kleiner Tumult" gewesen. Erst hätten sie sich aus Kurzweil gerungen, was der Altmärker im Gefühle seiner Kraft heute noch gern thut, hernach wäre fast Ernst daraus geworden, indem sie sich in die Haare gefallen. Die Bauermeister klagen auch wohl wi¬ der „die Krüger wegen des Bieres, das jetzo zu theuer und nicht volle Maaß" gegeben würde. Auch die Landsassen, die zwanzig Män¬ ner, produciren 1650 zwei Kannen Bier, so nicht volles Maß sein sollen; bitten um Besichtigung. „Sind von zwei Geschwornen mit dem Maaß gemessen und sich befunden, daß an einem jeden halben Stübchen ungefähr ein Trunk gemangelt." — Außerdem werden Klagen aller Art angebracht. Richter, Geschworne und Landsassen erkennen, die Beamten der von Alvensleben confirmiren die Urtheile. Die Gerichtsordnung von 1603 bestimmt, daß Richter, Schöppen und Geschworne nach der Gerichtsordnung „erkennen". Wenn sie aber „die Billigkeit nicht in Acht nehmen, sollen dero von Alvensle¬ ben Beamte Macht haben, den Spruch zu ändern, zu lindern oder zu schärfen.!!" Das war wahrscheinlich die angedeutete Verbesserung der „alten Gerichtsordnung". Auf diese Weise wurde den Bauern das Urtheilfinden verleidet und das Recht, Recht zu sprechen, ihre ei¬ genen Richter zu sein, ihnen allmälig ganz entwunden. Das Verfah¬ ren war noch im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts folgendes: Nach dem Gerichtsprotokolle von 1716 klagt Holzapfel wider Koch: Beklagter habe sich widersetzt und seinen Sohn schlagen wollen, als er ihm die Barte abgenommen, weil er im Holze Stämme abge- klobt. Richter und Geschworene erkennen nach der Gerichts¬ ordnung einen Thaler Strafe, weil er die Barte mit in's Holz ge¬ bracht. Daß er des Schützen Holzapfel Sohn mit der Barte schla- Grenzbotcn u.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/541
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/541>, abgerufen am 28.07.2024.