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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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gewaltet und ungestört ihr Wesen getrieben hatte, die Lehrfreiheit der
Universitäten verloren, oder wurde doch unter polizeiliche Aufsicht ge¬
stellt. Die Furcht vor der erwähnten revolutionären Influenza schien
diese Maßregeln zu rechtfertigen. Auch die erste Einrichtung der
Censur sollte weiter Nichts sein als ein vorübergehendes Präservativ
gegen die Ansteckung dieser Seuche. Aber wie sich der Kranke in
der Einbildung an bittere Arzneien und ängstliche Diät gewöhnt, so
gewöhnten sich auch die Deutschen an die eingeführten Vorsichtsmaß"
regeln und Beschränkungen und glaubten sie nicht entbehren zu kön¬
nen, auch nachdem die politische Cholera, die ohnehin mehr in der
Einbildung als in der Wirklichkeit bestand, vorüber war. --

Die Beschränkungen der verschiedenen Freiheiten auf, welche ein
tüchtiges selbständiges Staatsleben Anspruch macht, dauerten nicht
allein fort, sondern wurden immer vermehrt. Ein Verbot folgte dem
andern, aus keinem andern Grunde, als weil auch die besten Dinge
gemißbraucht werden können. Die Furcht vor Volksaufregung war
zur fixen Idee geworden und es schien sast, als wenn man sich gar
keinen andern Grund von Unzufriedenheit und Aufregung hätte den¬
ken können als das freie Wort. Selbst was der Hunger in seiner
verzweiflungsvollen Aufregung that, schob man der freien Presse in
die Schuhe. Die Besprechung bedenklicher Zustände wurde für ge¬
fährlich gehalten, deshalb waren die ideenreichsten Gelehrten, Schrift¬
steller und Dichter, welche Zeitinteressen zur Sprache brachten, schon
als solche verdächtig und mußten gewärtig sein, daß ihnen bei jedem
starken Worte, das sie aussprachen, ein polizeilicher Spürhund in die
Beine fahre. Jeder harmlose Scherz wurde von den Gewalthabern
höchst ungnädig aufgenommen; der Witz hatte sein altes Privilegium,
die Wahrheit lachend zu sagen (rülemlo "licere vornen) verloren, und
der uncontrolirte Verkehr mit attischem Salze war so wenig gestattet,
als der mit gewöhnlichem Kochsalze. Lustige Räthe gab es wohl
noch, aber nur solche, über deren Rathlosigkeit man sich lustig machte,
nicht solche, welche in Fürstensälen die bittere Wahrheit mit lustigen
Späßen versüßten. Durften doch selbst die Wissenschaften nicht im¬
mer die Wahrheit frei heraussagen. Die höhern Lehranstalten er¬
hielten Muster und Schablonen, nach welchen die philosophischen,
theologischen und politischen Wahrheiten zugeschnitten sein sollten.


gewaltet und ungestört ihr Wesen getrieben hatte, die Lehrfreiheit der
Universitäten verloren, oder wurde doch unter polizeiliche Aufsicht ge¬
stellt. Die Furcht vor der erwähnten revolutionären Influenza schien
diese Maßregeln zu rechtfertigen. Auch die erste Einrichtung der
Censur sollte weiter Nichts sein als ein vorübergehendes Präservativ
gegen die Ansteckung dieser Seuche. Aber wie sich der Kranke in
der Einbildung an bittere Arzneien und ängstliche Diät gewöhnt, so
gewöhnten sich auch die Deutschen an die eingeführten Vorsichtsmaß»
regeln und Beschränkungen und glaubten sie nicht entbehren zu kön¬
nen, auch nachdem die politische Cholera, die ohnehin mehr in der
Einbildung als in der Wirklichkeit bestand, vorüber war. —

Die Beschränkungen der verschiedenen Freiheiten auf, welche ein
tüchtiges selbständiges Staatsleben Anspruch macht, dauerten nicht
allein fort, sondern wurden immer vermehrt. Ein Verbot folgte dem
andern, aus keinem andern Grunde, als weil auch die besten Dinge
gemißbraucht werden können. Die Furcht vor Volksaufregung war
zur fixen Idee geworden und es schien sast, als wenn man sich gar
keinen andern Grund von Unzufriedenheit und Aufregung hätte den¬
ken können als das freie Wort. Selbst was der Hunger in seiner
verzweiflungsvollen Aufregung that, schob man der freien Presse in
die Schuhe. Die Besprechung bedenklicher Zustände wurde für ge¬
fährlich gehalten, deshalb waren die ideenreichsten Gelehrten, Schrift¬
steller und Dichter, welche Zeitinteressen zur Sprache brachten, schon
als solche verdächtig und mußten gewärtig sein, daß ihnen bei jedem
starken Worte, das sie aussprachen, ein polizeilicher Spürhund in die
Beine fahre. Jeder harmlose Scherz wurde von den Gewalthabern
höchst ungnädig aufgenommen; der Witz hatte sein altes Privilegium,
die Wahrheit lachend zu sagen (rülemlo «licere vornen) verloren, und
der uncontrolirte Verkehr mit attischem Salze war so wenig gestattet,
als der mit gewöhnlichem Kochsalze. Lustige Räthe gab es wohl
noch, aber nur solche, über deren Rathlosigkeit man sich lustig machte,
nicht solche, welche in Fürstensälen die bittere Wahrheit mit lustigen
Späßen versüßten. Durften doch selbst die Wissenschaften nicht im¬
mer die Wahrheit frei heraussagen. Die höhern Lehranstalten er¬
hielten Muster und Schablonen, nach welchen die philosophischen,
theologischen und politischen Wahrheiten zugeschnitten sein sollten.


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[0532] gewaltet und ungestört ihr Wesen getrieben hatte, die Lehrfreiheit der Universitäten verloren, oder wurde doch unter polizeiliche Aufsicht ge¬ stellt. Die Furcht vor der erwähnten revolutionären Influenza schien diese Maßregeln zu rechtfertigen. Auch die erste Einrichtung der Censur sollte weiter Nichts sein als ein vorübergehendes Präservativ gegen die Ansteckung dieser Seuche. Aber wie sich der Kranke in der Einbildung an bittere Arzneien und ängstliche Diät gewöhnt, so gewöhnten sich auch die Deutschen an die eingeführten Vorsichtsmaß» regeln und Beschränkungen und glaubten sie nicht entbehren zu kön¬ nen, auch nachdem die politische Cholera, die ohnehin mehr in der Einbildung als in der Wirklichkeit bestand, vorüber war. — Die Beschränkungen der verschiedenen Freiheiten auf, welche ein tüchtiges selbständiges Staatsleben Anspruch macht, dauerten nicht allein fort, sondern wurden immer vermehrt. Ein Verbot folgte dem andern, aus keinem andern Grunde, als weil auch die besten Dinge gemißbraucht werden können. Die Furcht vor Volksaufregung war zur fixen Idee geworden und es schien sast, als wenn man sich gar keinen andern Grund von Unzufriedenheit und Aufregung hätte den¬ ken können als das freie Wort. Selbst was der Hunger in seiner verzweiflungsvollen Aufregung that, schob man der freien Presse in die Schuhe. Die Besprechung bedenklicher Zustände wurde für ge¬ fährlich gehalten, deshalb waren die ideenreichsten Gelehrten, Schrift¬ steller und Dichter, welche Zeitinteressen zur Sprache brachten, schon als solche verdächtig und mußten gewärtig sein, daß ihnen bei jedem starken Worte, das sie aussprachen, ein polizeilicher Spürhund in die Beine fahre. Jeder harmlose Scherz wurde von den Gewalthabern höchst ungnädig aufgenommen; der Witz hatte sein altes Privilegium, die Wahrheit lachend zu sagen (rülemlo «licere vornen) verloren, und der uncontrolirte Verkehr mit attischem Salze war so wenig gestattet, als der mit gewöhnlichem Kochsalze. Lustige Räthe gab es wohl noch, aber nur solche, über deren Rathlosigkeit man sich lustig machte, nicht solche, welche in Fürstensälen die bittere Wahrheit mit lustigen Späßen versüßten. Durften doch selbst die Wissenschaften nicht im¬ mer die Wahrheit frei heraussagen. Die höhern Lehranstalten er¬ hielten Muster und Schablonen, nach welchen die philosophischen, theologischen und politischen Wahrheiten zugeschnitten sein sollten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/532>, abgerufen am 28.07.2024.