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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Deutschland wäre zwar auch der komische Fall möglich, basi aus
Mangel an Censoren Niemand was schreiben könnte und die Druk-
kereien eine Aelt lang stillstehen müßten. Indessen, auch das wäre
kein Unglück.

-- In Stuttgart war ein Buch: "Würtemberg im Jahre 1844,"
welches die "Dorfzeitung" eine Schmähschrift nennt, confiscire wor¬
den. Der König las das Buch und befahl sogleich, die Beschlag¬
nahme aufzuheben, indem seine Regierung die schärfsten Angrisse mit
gutem und ruhigem Gewissen über sich ergehen lassen könne. Ein
königliches Wort, wie es von Friedrich dem Großen und Joseph, dem
Freunde der Menschheit, öfters gesprochen worden. Nicht das Wort
Lafavette's zu Louis Philippe, aber ein ähnliches wahreres, kann man
aus den König von Würtemberg anwenden: Stre, Sie sind das beste
Obercensurgericht!

-- Einige preußische Offiziere hatten wieder einmal das Gelüste,
dem weißen Czar zu dienen und baten die russische Regierung um die
Gnade, unter moskowitischer Subordination gegen die freien kaukasischen
Völker fechten zu dürfen. Czar Nikolaus war indeß grausam genug,
den modernen Condottieris ihre demüthige Bitte rund abzuschlagen; er
weiß die tapfern preußischen Degen nicht zu schätzen. Vielleicht fürch¬
tet er auch, sie könnten seinen eigenen Helden Nichts zu thun übrig
lassen und nebenbei hinter die Geheimnisse des Kaukasus und der dor¬
tigen Kriegführung kommen. Oder -- einem Manne wie Ni¬
kolaus könnten wir eine solche Empfindung zumuthen -- ekelte dem
Selbstherrscher vor der Dienstwilligkeit von Fremdlingen, die sich zu
einer Frohn drängen, welche von Russen selbst geflohen wird? Die
vor Begierde brennen, sich für "blanke Majestät" und weiter Nichts,
wie Bürger singt, oder vielmehr für ein paar Epaulettes und Ordens¬
bänder "zur Hölle hinab zu balgen?"

-- In London wird der Polcnball mit größtem Glanz gefeiert,
in der Schweiz wird Kosciusko's Denkmal von polnischen Flüchtlingen
mit rührender Andacht bekränzt. Rußland bekämpft immer noch
Polen wie ein eben erobertes Land mit radikalen Maßregeln; es
sucht die katholische Kirche mit List und Gewalt zu verdrängen, es
unterdrückt und corrumpirt die Erziehung, es verbietet dem Adel,
durch freiwillige Emancipation seiner Bauern sich moralisches An¬
sehen zu erwerben; es läßt keinen Polen vor dem 30. Lebensjahr hei-
rathen, es entvölkert ganze Gebiete und legt darin russische Colonien
an; und dennoch lebt im Czarthum Polen noch der schöne Wahnsinn,
wie die Philister sagen, altsarmatifcher Vaterlandsliebe fort; jeden


Deutschland wäre zwar auch der komische Fall möglich, basi aus
Mangel an Censoren Niemand was schreiben könnte und die Druk-
kereien eine Aelt lang stillstehen müßten. Indessen, auch das wäre
kein Unglück.

— In Stuttgart war ein Buch: „Würtemberg im Jahre 1844,"
welches die „Dorfzeitung" eine Schmähschrift nennt, confiscire wor¬
den. Der König las das Buch und befahl sogleich, die Beschlag¬
nahme aufzuheben, indem seine Regierung die schärfsten Angrisse mit
gutem und ruhigem Gewissen über sich ergehen lassen könne. Ein
königliches Wort, wie es von Friedrich dem Großen und Joseph, dem
Freunde der Menschheit, öfters gesprochen worden. Nicht das Wort
Lafavette's zu Louis Philippe, aber ein ähnliches wahreres, kann man
aus den König von Würtemberg anwenden: Stre, Sie sind das beste
Obercensurgericht!

— Einige preußische Offiziere hatten wieder einmal das Gelüste,
dem weißen Czar zu dienen und baten die russische Regierung um die
Gnade, unter moskowitischer Subordination gegen die freien kaukasischen
Völker fechten zu dürfen. Czar Nikolaus war indeß grausam genug,
den modernen Condottieris ihre demüthige Bitte rund abzuschlagen; er
weiß die tapfern preußischen Degen nicht zu schätzen. Vielleicht fürch¬
tet er auch, sie könnten seinen eigenen Helden Nichts zu thun übrig
lassen und nebenbei hinter die Geheimnisse des Kaukasus und der dor¬
tigen Kriegführung kommen. Oder — einem Manne wie Ni¬
kolaus könnten wir eine solche Empfindung zumuthen — ekelte dem
Selbstherrscher vor der Dienstwilligkeit von Fremdlingen, die sich zu
einer Frohn drängen, welche von Russen selbst geflohen wird? Die
vor Begierde brennen, sich für „blanke Majestät" und weiter Nichts,
wie Bürger singt, oder vielmehr für ein paar Epaulettes und Ordens¬
bänder „zur Hölle hinab zu balgen?"

— In London wird der Polcnball mit größtem Glanz gefeiert,
in der Schweiz wird Kosciusko's Denkmal von polnischen Flüchtlingen
mit rührender Andacht bekränzt. Rußland bekämpft immer noch
Polen wie ein eben erobertes Land mit radikalen Maßregeln; es
sucht die katholische Kirche mit List und Gewalt zu verdrängen, es
unterdrückt und corrumpirt die Erziehung, es verbietet dem Adel,
durch freiwillige Emancipation seiner Bauern sich moralisches An¬
sehen zu erwerben; es läßt keinen Polen vor dem 30. Lebensjahr hei-
rathen, es entvölkert ganze Gebiete und legt darin russische Colonien
an; und dennoch lebt im Czarthum Polen noch der schöne Wahnsinn,
wie die Philister sagen, altsarmatifcher Vaterlandsliebe fort; jeden


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[0522] Deutschland wäre zwar auch der komische Fall möglich, basi aus Mangel an Censoren Niemand was schreiben könnte und die Druk- kereien eine Aelt lang stillstehen müßten. Indessen, auch das wäre kein Unglück. — In Stuttgart war ein Buch: „Würtemberg im Jahre 1844," welches die „Dorfzeitung" eine Schmähschrift nennt, confiscire wor¬ den. Der König las das Buch und befahl sogleich, die Beschlag¬ nahme aufzuheben, indem seine Regierung die schärfsten Angrisse mit gutem und ruhigem Gewissen über sich ergehen lassen könne. Ein königliches Wort, wie es von Friedrich dem Großen und Joseph, dem Freunde der Menschheit, öfters gesprochen worden. Nicht das Wort Lafavette's zu Louis Philippe, aber ein ähnliches wahreres, kann man aus den König von Würtemberg anwenden: Stre, Sie sind das beste Obercensurgericht! — Einige preußische Offiziere hatten wieder einmal das Gelüste, dem weißen Czar zu dienen und baten die russische Regierung um die Gnade, unter moskowitischer Subordination gegen die freien kaukasischen Völker fechten zu dürfen. Czar Nikolaus war indeß grausam genug, den modernen Condottieris ihre demüthige Bitte rund abzuschlagen; er weiß die tapfern preußischen Degen nicht zu schätzen. Vielleicht fürch¬ tet er auch, sie könnten seinen eigenen Helden Nichts zu thun übrig lassen und nebenbei hinter die Geheimnisse des Kaukasus und der dor¬ tigen Kriegführung kommen. Oder — einem Manne wie Ni¬ kolaus könnten wir eine solche Empfindung zumuthen — ekelte dem Selbstherrscher vor der Dienstwilligkeit von Fremdlingen, die sich zu einer Frohn drängen, welche von Russen selbst geflohen wird? Die vor Begierde brennen, sich für „blanke Majestät" und weiter Nichts, wie Bürger singt, oder vielmehr für ein paar Epaulettes und Ordens¬ bänder „zur Hölle hinab zu balgen?" — In London wird der Polcnball mit größtem Glanz gefeiert, in der Schweiz wird Kosciusko's Denkmal von polnischen Flüchtlingen mit rührender Andacht bekränzt. Rußland bekämpft immer noch Polen wie ein eben erobertes Land mit radikalen Maßregeln; es sucht die katholische Kirche mit List und Gewalt zu verdrängen, es unterdrückt und corrumpirt die Erziehung, es verbietet dem Adel, durch freiwillige Emancipation seiner Bauern sich moralisches An¬ sehen zu erwerben; es läßt keinen Polen vor dem 30. Lebensjahr hei- rathen, es entvölkert ganze Gebiete und legt darin russische Colonien an; und dennoch lebt im Czarthum Polen noch der schöne Wahnsinn, wie die Philister sagen, altsarmatifcher Vaterlandsliebe fort; jeden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/522>, abgerufen am 28.07.2024.