Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

chen Sie sich's nicht so leicht, lügen Sie geschickter. Wer wird Ihnen
dergleichen glauben? Wenn Einer von deutschen Journalen noch so
verächtlich denkt, so viel Ignoranz wird er selbst dem geringsten Win¬
kelblatt nicht zumuthen, um zu glauben, es wisse nicht, daß der
Communismus eine "welsche" Erfindung sei. Den Lesern unseres
Blattes brauchen wir den Zusammenhang kaum zu erklären. Unser
Correspondent in Wien debattirte darüber, daß man russische Agenten
wittere, welche während der böhmischen Unruhen kommunistische Ideen
und Begierden unter den untersten Volksclassen zu wecken suchten,
um dann höhern Orts über Communismus, revolutionäre Tenden¬
zen u. Lärm schlagen zu können. Das gibt nun Pater Lamormain
kurz und bündig als: "Behauptung, die Russen hätten den
Communismus erfunden." Wozu gehen wir noch bei Franzo¬
sen und Engländern in die Lehre, wenn schon ein ehrlicher Wiener
Correspondent der Augsburger Allgemeinen sich so gut aus die kleinen
perfiden Künste der Journalistik verstehet

-- In den "Prager Skizzen" sHest Nro. 17) wurde einem zu
der Zeit, da diese verfaßt wurden, allgemein verbreiteten Gerüchte zu¬
folge, irriger Weise angegeben, daß ik>. Schalk zum Protestantismus
übergegangen sei und sich verehelicht habe. Derselbe ist im Gegentheil
nach seiner freiwilligen, doch nicht langen Abwesenheit in seine Pfründe
zurückgekehrt, vom Bischof zu Gnaden aufgenommen worden und lebt
wieder ruhig und unangefochten auf seiner Pfarre in Böhmen.

In Königsberg ist ein ganz neuer Fall eingetreten. Sei es
Furcht vor der öffentlichen Meinung, oder vor den Peinlichkeiten der
Stellung: es findet sich kein Censor, und man wird zuletzt einen von
auswärts verschreiben müssen, wie man in Athen vor einigen Jahren
einen Mann aus Frankreich kommen lassen mußte zur Bedienung der
Guillotine. Oefters schon ist die Frage erörtert worden:. Was ist
wünschenswerther? Daß jeder ehrenhafte Gelehrte sich weigere, Censor
zu werden, oder daß, wie in Sachsen, gerade die Gelehrten bereit¬
willig die Censur übernehmen, um sie nicht in rohere Hände kommen
zu lassen ? Kommt die Censur in rohe Hände, so kann sie den Schrift¬
steller zur Verzweiflung bringen; in schonenden und vermittelnden Hän¬
den aber wird sie den Leuten bald plausibel gemacht und erhält einen
Anstrich von Würdigkeit, den sie nicht verdient. Die Halbheit ist ein
so bequemer, gemüthlicher Schafpelz! Und wo gibt es eine Gemüth¬
lichkeit, für die der Deutsche nicht mit ersterbender Verehrung und
vaterländischer Anhänglichkeit zu erfüllen wäre! Am besten wär's, es
fände sich ^in Streichen keine rohe Hand -- aus Furcht -- und
keine gebildete Hand -- aus Ekel. Dahin muß es kommen. In


chen Sie sich's nicht so leicht, lügen Sie geschickter. Wer wird Ihnen
dergleichen glauben? Wenn Einer von deutschen Journalen noch so
verächtlich denkt, so viel Ignoranz wird er selbst dem geringsten Win¬
kelblatt nicht zumuthen, um zu glauben, es wisse nicht, daß der
Communismus eine „welsche" Erfindung sei. Den Lesern unseres
Blattes brauchen wir den Zusammenhang kaum zu erklären. Unser
Correspondent in Wien debattirte darüber, daß man russische Agenten
wittere, welche während der böhmischen Unruhen kommunistische Ideen
und Begierden unter den untersten Volksclassen zu wecken suchten,
um dann höhern Orts über Communismus, revolutionäre Tenden¬
zen u. Lärm schlagen zu können. Das gibt nun Pater Lamormain
kurz und bündig als: „Behauptung, die Russen hätten den
Communismus erfunden." Wozu gehen wir noch bei Franzo¬
sen und Engländern in die Lehre, wenn schon ein ehrlicher Wiener
Correspondent der Augsburger Allgemeinen sich so gut aus die kleinen
perfiden Künste der Journalistik verstehet

— In den „Prager Skizzen" sHest Nro. 17) wurde einem zu
der Zeit, da diese verfaßt wurden, allgemein verbreiteten Gerüchte zu¬
folge, irriger Weise angegeben, daß ik>. Schalk zum Protestantismus
übergegangen sei und sich verehelicht habe. Derselbe ist im Gegentheil
nach seiner freiwilligen, doch nicht langen Abwesenheit in seine Pfründe
zurückgekehrt, vom Bischof zu Gnaden aufgenommen worden und lebt
wieder ruhig und unangefochten auf seiner Pfarre in Böhmen.

In Königsberg ist ein ganz neuer Fall eingetreten. Sei es
Furcht vor der öffentlichen Meinung, oder vor den Peinlichkeiten der
Stellung: es findet sich kein Censor, und man wird zuletzt einen von
auswärts verschreiben müssen, wie man in Athen vor einigen Jahren
einen Mann aus Frankreich kommen lassen mußte zur Bedienung der
Guillotine. Oefters schon ist die Frage erörtert worden:. Was ist
wünschenswerther? Daß jeder ehrenhafte Gelehrte sich weigere, Censor
zu werden, oder daß, wie in Sachsen, gerade die Gelehrten bereit¬
willig die Censur übernehmen, um sie nicht in rohere Hände kommen
zu lassen ? Kommt die Censur in rohe Hände, so kann sie den Schrift¬
steller zur Verzweiflung bringen; in schonenden und vermittelnden Hän¬
den aber wird sie den Leuten bald plausibel gemacht und erhält einen
Anstrich von Würdigkeit, den sie nicht verdient. Die Halbheit ist ein
so bequemer, gemüthlicher Schafpelz! Und wo gibt es eine Gemüth¬
lichkeit, für die der Deutsche nicht mit ersterbender Verehrung und
vaterländischer Anhänglichkeit zu erfüllen wäre! Am besten wär's, es
fände sich ^in Streichen keine rohe Hand — aus Furcht — und
keine gebildete Hand — aus Ekel. Dahin muß es kommen. In


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181705"/>
            <p xml:id="ID_1481" prev="#ID_1480"> chen Sie sich's nicht so leicht, lügen Sie geschickter. Wer wird Ihnen<lb/>
dergleichen glauben? Wenn Einer von deutschen Journalen noch so<lb/>
verächtlich denkt, so viel Ignoranz wird er selbst dem geringsten Win¬<lb/>
kelblatt nicht zumuthen, um zu glauben, es wisse nicht, daß der<lb/>
Communismus eine &#x201E;welsche" Erfindung sei. Den Lesern unseres<lb/>
Blattes brauchen wir den Zusammenhang kaum zu erklären. Unser<lb/>
Correspondent in Wien debattirte darüber, daß man russische Agenten<lb/>
wittere, welche während der böhmischen Unruhen kommunistische Ideen<lb/>
und Begierden unter den untersten Volksclassen zu wecken suchten,<lb/>
um dann höhern Orts über Communismus, revolutionäre Tenden¬<lb/>
zen u. Lärm schlagen zu können. Das gibt nun Pater Lamormain<lb/>
kurz und bündig als: &#x201E;Behauptung, die Russen hätten den<lb/>
Communismus erfunden." Wozu gehen wir noch bei Franzo¬<lb/>
sen und Engländern in die Lehre, wenn schon ein ehrlicher Wiener<lb/>
Correspondent der Augsburger Allgemeinen sich so gut aus die kleinen<lb/>
perfiden Künste der Journalistik verstehet</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1482"> &#x2014; In den &#x201E;Prager Skizzen" sHest Nro. 17) wurde einem zu<lb/>
der Zeit, da diese verfaßt wurden, allgemein verbreiteten Gerüchte zu¬<lb/>
folge, irriger Weise angegeben, daß ik&gt;. Schalk zum Protestantismus<lb/>
übergegangen sei und sich verehelicht habe. Derselbe ist im Gegentheil<lb/>
nach seiner freiwilligen, doch nicht langen Abwesenheit in seine Pfründe<lb/>
zurückgekehrt, vom Bischof zu Gnaden aufgenommen worden und lebt<lb/>
wieder ruhig und unangefochten auf seiner Pfarre in Böhmen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1483" next="#ID_1484"> In Königsberg ist ein ganz neuer Fall eingetreten. Sei es<lb/>
Furcht vor der öffentlichen Meinung, oder vor den Peinlichkeiten der<lb/>
Stellung: es findet sich kein Censor, und man wird zuletzt einen von<lb/>
auswärts verschreiben müssen, wie man in Athen vor einigen Jahren<lb/>
einen Mann aus Frankreich kommen lassen mußte zur Bedienung der<lb/>
Guillotine. Oefters schon ist die Frage erörtert worden:. Was ist<lb/>
wünschenswerther? Daß jeder ehrenhafte Gelehrte sich weigere, Censor<lb/>
zu werden, oder daß, wie in Sachsen, gerade die Gelehrten bereit¬<lb/>
willig die Censur übernehmen, um sie nicht in rohere Hände kommen<lb/>
zu lassen ? Kommt die Censur in rohe Hände, so kann sie den Schrift¬<lb/>
steller zur Verzweiflung bringen; in schonenden und vermittelnden Hän¬<lb/>
den aber wird sie den Leuten bald plausibel gemacht und erhält einen<lb/>
Anstrich von Würdigkeit, den sie nicht verdient. Die Halbheit ist ein<lb/>
so bequemer, gemüthlicher Schafpelz! Und wo gibt es eine Gemüth¬<lb/>
lichkeit, für die der Deutsche nicht mit ersterbender Verehrung und<lb/>
vaterländischer Anhänglichkeit zu erfüllen wäre! Am besten wär's, es<lb/>
fände sich ^in Streichen keine rohe Hand &#x2014; aus Furcht &#x2014; und<lb/>
keine gebildete Hand &#x2014; aus Ekel. Dahin muß es kommen. In</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0521] chen Sie sich's nicht so leicht, lügen Sie geschickter. Wer wird Ihnen dergleichen glauben? Wenn Einer von deutschen Journalen noch so verächtlich denkt, so viel Ignoranz wird er selbst dem geringsten Win¬ kelblatt nicht zumuthen, um zu glauben, es wisse nicht, daß der Communismus eine „welsche" Erfindung sei. Den Lesern unseres Blattes brauchen wir den Zusammenhang kaum zu erklären. Unser Correspondent in Wien debattirte darüber, daß man russische Agenten wittere, welche während der böhmischen Unruhen kommunistische Ideen und Begierden unter den untersten Volksclassen zu wecken suchten, um dann höhern Orts über Communismus, revolutionäre Tenden¬ zen u. Lärm schlagen zu können. Das gibt nun Pater Lamormain kurz und bündig als: „Behauptung, die Russen hätten den Communismus erfunden." Wozu gehen wir noch bei Franzo¬ sen und Engländern in die Lehre, wenn schon ein ehrlicher Wiener Correspondent der Augsburger Allgemeinen sich so gut aus die kleinen perfiden Künste der Journalistik verstehet — In den „Prager Skizzen" sHest Nro. 17) wurde einem zu der Zeit, da diese verfaßt wurden, allgemein verbreiteten Gerüchte zu¬ folge, irriger Weise angegeben, daß ik>. Schalk zum Protestantismus übergegangen sei und sich verehelicht habe. Derselbe ist im Gegentheil nach seiner freiwilligen, doch nicht langen Abwesenheit in seine Pfründe zurückgekehrt, vom Bischof zu Gnaden aufgenommen worden und lebt wieder ruhig und unangefochten auf seiner Pfarre in Böhmen. In Königsberg ist ein ganz neuer Fall eingetreten. Sei es Furcht vor der öffentlichen Meinung, oder vor den Peinlichkeiten der Stellung: es findet sich kein Censor, und man wird zuletzt einen von auswärts verschreiben müssen, wie man in Athen vor einigen Jahren einen Mann aus Frankreich kommen lassen mußte zur Bedienung der Guillotine. Oefters schon ist die Frage erörtert worden:. Was ist wünschenswerther? Daß jeder ehrenhafte Gelehrte sich weigere, Censor zu werden, oder daß, wie in Sachsen, gerade die Gelehrten bereit¬ willig die Censur übernehmen, um sie nicht in rohere Hände kommen zu lassen ? Kommt die Censur in rohe Hände, so kann sie den Schrift¬ steller zur Verzweiflung bringen; in schonenden und vermittelnden Hän¬ den aber wird sie den Leuten bald plausibel gemacht und erhält einen Anstrich von Würdigkeit, den sie nicht verdient. Die Halbheit ist ein so bequemer, gemüthlicher Schafpelz! Und wo gibt es eine Gemüth¬ lichkeit, für die der Deutsche nicht mit ersterbender Verehrung und vaterländischer Anhänglichkeit zu erfüllen wäre! Am besten wär's, es fände sich ^in Streichen keine rohe Hand — aus Furcht — und keine gebildete Hand — aus Ekel. Dahin muß es kommen. In

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/521
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/521>, abgerufen am 01.09.2024.