Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.kunstreicher Triller einer Prima Donna acht Tage lang in den Ohren kunstreicher Triller einer Prima Donna acht Tage lang in den Ohren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181700"/> <p xml:id="ID_1474" prev="#ID_1473" next="#ID_1475"> kunstreicher Triller einer Prima Donna acht Tage lang in den Ohren<lb/> summte und eine ganze Heerde journalistischen Federviehs über So¬<lb/> netten brüten ließ, wo ein kühner Mantelwurf des Don Juan zu<lb/> ästhetischen Untersuchungen anreizte, diese Zeit ist leider vorüber und<lb/> hat einer nüchternen, prosaischen Platz gemacht, die höchstens in Sa¬<lb/> chen des Gedankens sich bis zur Schwärmerei versteigt. Wir haben<lb/> kein einziges, ausschließlich belletristisches Organ; eine Concession da¬<lb/> für ist im Besitze eines hiesigen Schriftstellers, bleibt aber wegen Un¬<lb/> gunst der Zeit vorerst unbenutzt. Die kleinen schlesischen Localblätter<lb/> bringen Novellen und Poeme in Hülle und Fülle; erstere jedoch sind<lb/> aus Leipziger Blattern entlehnt, d. h. gestohlen, und letztere haben nur<lb/> die Gestalt von Gedichten und sind meistens abortirte Geburten eines<lb/> hungernden Dorfschulmeisters, oder eines sentimentalen Secundaners.<lb/> Seit einigen Monaten umschließen die Mauern Vrcslaus zwar eine<lb/> Persönlichkeit, welche auf den Namen eines Dichters Anspruch hat,<lb/> ich meine den Gemahl unserer gefeierten Prima Donna, den drama¬<lb/> tischen und Novellendichter, Hans Köster. Doch den können wir kaum<lb/> zu den unsrigen zählen, da er möglicher Weise morgen oder übermor¬<lb/> gen mit seinem Nachtigall-Weibchen davonfliegt. Sie kennen Hans<lb/> Köster, wenn nicht anders, so doch aus den zahlreichen Recensionen,<lb/> die über seine dramatischen Leistungen erschienen sind. Lernen Sie<lb/> ihn auch kennen aus der Kritik, welche das hiesige Publicum über<lb/> sein fünfactiges Drama: Maria von Schottland, geliefert hat. Es<lb/> ging am 14. d. M. zum Benesice der reich begabten Schauspielerin<lb/> Antonie Wilhelmi über die Bühne, ohne sich jedoch einen entschieden<lb/> günstigen Erfolg zu erringen. Es gibt einen Beifall, der seinem Ge¬<lb/> gentheil ziemlich ähnlich sieht; das ist derjenige, der erst recht eigent¬<lb/> lich durch Provokationen laut wird, der das Mißfallen zum Vater<lb/> hat. Solch einen Beifall errang sich das Köster'sche Stück. Es ist<lb/> wahr, es sind viel schöne Einzelheiten darin, aber als Ganzes laßt es<lb/> unbefriedigt. Ich meine, sein größter Fehler besteht darin, daß es kei¬<lb/> nen Anfang, kein Ende, hauptsächlich aber keinen Mittelpunkt hat.<lb/> Es ist kein Aufsteigen, kein Fallen darin, sondern Alles ist eben und<lb/> glatt, Nichts weiter, als ein dramatistrtcs Stück von Mariens Bio¬<lb/> graphie. Eine andere belletristische Persönlichkeit, die sich gern einen<lb/> Dichter nennen hört, ist der Privatdocent Gustav Freitag, dirigiren-<lb/> dcs Mitglied mehrerer Tanzkränzchcn, patentirter Anordner aller Pro-<lb/> ductionen von lebenden Bildern, Ehrenmitglied mehrerer Damenzirkel<lb/> und ästhetischer Butterbemmen-Clubs, und seit einigen Wochen beeh-<lb/> renbecherter miütrv pi-üsir der Börsen-Tanzgesellschaft, kurz unent¬<lb/> behrliches Factotum der Kind«-volvv. In ihn, den jungen, kaum<lb/> sechsundzwanzigjährigen Mann, hat sich die ganze, politikfürchtige Pe¬<lb/> riode von 1840 geflüchtet, so daß er inmitten der sich durchkreuzenden<lb/> ernsteren Richtungen gleichsam als Warnungstafel für alle handwer-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0516]
kunstreicher Triller einer Prima Donna acht Tage lang in den Ohren
summte und eine ganze Heerde journalistischen Federviehs über So¬
netten brüten ließ, wo ein kühner Mantelwurf des Don Juan zu
ästhetischen Untersuchungen anreizte, diese Zeit ist leider vorüber und
hat einer nüchternen, prosaischen Platz gemacht, die höchstens in Sa¬
chen des Gedankens sich bis zur Schwärmerei versteigt. Wir haben
kein einziges, ausschließlich belletristisches Organ; eine Concession da¬
für ist im Besitze eines hiesigen Schriftstellers, bleibt aber wegen Un¬
gunst der Zeit vorerst unbenutzt. Die kleinen schlesischen Localblätter
bringen Novellen und Poeme in Hülle und Fülle; erstere jedoch sind
aus Leipziger Blattern entlehnt, d. h. gestohlen, und letztere haben nur
die Gestalt von Gedichten und sind meistens abortirte Geburten eines
hungernden Dorfschulmeisters, oder eines sentimentalen Secundaners.
Seit einigen Monaten umschließen die Mauern Vrcslaus zwar eine
Persönlichkeit, welche auf den Namen eines Dichters Anspruch hat,
ich meine den Gemahl unserer gefeierten Prima Donna, den drama¬
tischen und Novellendichter, Hans Köster. Doch den können wir kaum
zu den unsrigen zählen, da er möglicher Weise morgen oder übermor¬
gen mit seinem Nachtigall-Weibchen davonfliegt. Sie kennen Hans
Köster, wenn nicht anders, so doch aus den zahlreichen Recensionen,
die über seine dramatischen Leistungen erschienen sind. Lernen Sie
ihn auch kennen aus der Kritik, welche das hiesige Publicum über
sein fünfactiges Drama: Maria von Schottland, geliefert hat. Es
ging am 14. d. M. zum Benesice der reich begabten Schauspielerin
Antonie Wilhelmi über die Bühne, ohne sich jedoch einen entschieden
günstigen Erfolg zu erringen. Es gibt einen Beifall, der seinem Ge¬
gentheil ziemlich ähnlich sieht; das ist derjenige, der erst recht eigent¬
lich durch Provokationen laut wird, der das Mißfallen zum Vater
hat. Solch einen Beifall errang sich das Köster'sche Stück. Es ist
wahr, es sind viel schöne Einzelheiten darin, aber als Ganzes laßt es
unbefriedigt. Ich meine, sein größter Fehler besteht darin, daß es kei¬
nen Anfang, kein Ende, hauptsächlich aber keinen Mittelpunkt hat.
Es ist kein Aufsteigen, kein Fallen darin, sondern Alles ist eben und
glatt, Nichts weiter, als ein dramatistrtcs Stück von Mariens Bio¬
graphie. Eine andere belletristische Persönlichkeit, die sich gern einen
Dichter nennen hört, ist der Privatdocent Gustav Freitag, dirigiren-
dcs Mitglied mehrerer Tanzkränzchcn, patentirter Anordner aller Pro-
ductionen von lebenden Bildern, Ehrenmitglied mehrerer Damenzirkel
und ästhetischer Butterbemmen-Clubs, und seit einigen Wochen beeh-
renbecherter miütrv pi-üsir der Börsen-Tanzgesellschaft, kurz unent¬
behrliches Factotum der Kind«-volvv. In ihn, den jungen, kaum
sechsundzwanzigjährigen Mann, hat sich die ganze, politikfürchtige Pe¬
riode von 1840 geflüchtet, so daß er inmitten der sich durchkreuzenden
ernsteren Richtungen gleichsam als Warnungstafel für alle handwer-
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