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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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ner's "Russisch-politischer Arithmetik": Das Cabinet von Se. Peters¬
burg habe mehr zu thun, als unbedeutende Schriftsteller des Auslan¬
des durch Verfolgungen und Injurienklagen wichtig zu machen. --
Ganz richtig, das Ministerium der Aufklärung in Petersburg kann
sich nicht selbst um Alles kümmern, was draußen in der Welt anti¬
russisch ist. Wozu hätte man sonst so viel theuere Agenten, die von
Weimar bis Königsberg, von Belgrad bis Paris ihre Stumpfnäschen
oft in sehr "unbedeutende" Affairen stecken? Rußland kann freilich nicht
jeden deutschen Notizcnschreiber belangen, aber es verschmäht in besonderen
Fällen eine elegische oder energische Klage nicht, -- wenn es was auszurichten
hoffen kann. Manches ist daher in Böhmen oder Posen wahrscheinlich,
was in Sachsen, Baden, oder Würtemberg absurd wäre. Wir erin¬
nern nur an die erfolgreiche Reclamation gegen Celakowsky in Prag.
Wo russische Beschwerden keine sichtbaren Folgen haben, liegt die
Schuld nicht am Petersburger lZabinet, und wir hoffen, daß sie, z. B.
bei Wiesner, eher am österreichischen liegen würde. Wiesner's Werk
ist übrigens so unbedeutend nicht, wie jenes Leipziger Journal denkt.
Das beweisen die hitzigen Angriffe auf ihn (in der Augsburger All¬
gemeinen), die man dem russischen Staatsrath Tengoborsky zuschreibt,
so wie die Aeußerungen, die darüber in Wien, von bedeutenden und
einflußreichen Staatsmännern, gefallen sind.

-- Fallmerayer vertheidigt sich aus Berlin (in der Augsb. All¬
gemeinen) gegen die von vielen Seiten wider ihn erhobene Beschuldi¬
gung der Russenliebe. Er legt zu diesem Zweck ein offenes Bekenntniß
ab; von dem schwärmerischen Glauben an den Fortschritt der
Menschheit :c. sei er längst zurückgekommen; erprophezeihe dem "sla¬
vischen Fatum" und besonders demRussenthum deshalb den Sieg,
weil er überzeugt sei, daß alle positiven Rathschläge, die er etwa gegen
das Moskowiterthum geben wollte, ohnedies nicht befolgt werden
würden (wir ersuchen aber doch Herrn Cassandra-Fallmerayer, diese
Rathschläge der Welt nicht vorzuenthalten) und kurz, weil das
Schlechte stets mächtiger sei als das Gute; was doch für
die Russen kein Compliment wäre. -- Wir glauben, daß Rußland
sich gern von uns armen "Ideologen" schlecht schelten läßt, wenn wir
ihm nur den irdischen Sieg lassen. Herr F. wird wohl wissen, daß
er mit dem maliciösen Compliment seine Graco-Slaven nicht beleidigt.
Uns selbst könnte es nie einfallen, den "Rubel auf Reisen" auf ihn
anzuwenden; vielmehr scheint sich Herr F., seit er die Griechen sla-
visirte und darüber mit aller Welt in Streit gerieth, aus Conse-
quenzmacherei immer mehr in den Glauben an das slavische Fatum
hineindisputirt zu haben. Wer weiß es nicht, daß oft die originellsten
und feinsten Köpfe mit Siren Ideen herumlaufen! Und wie man zu


ner's „Russisch-politischer Arithmetik": Das Cabinet von Se. Peters¬
burg habe mehr zu thun, als unbedeutende Schriftsteller des Auslan¬
des durch Verfolgungen und Injurienklagen wichtig zu machen. —
Ganz richtig, das Ministerium der Aufklärung in Petersburg kann
sich nicht selbst um Alles kümmern, was draußen in der Welt anti¬
russisch ist. Wozu hätte man sonst so viel theuere Agenten, die von
Weimar bis Königsberg, von Belgrad bis Paris ihre Stumpfnäschen
oft in sehr „unbedeutende" Affairen stecken? Rußland kann freilich nicht
jeden deutschen Notizcnschreiber belangen, aber es verschmäht in besonderen
Fällen eine elegische oder energische Klage nicht, — wenn es was auszurichten
hoffen kann. Manches ist daher in Böhmen oder Posen wahrscheinlich,
was in Sachsen, Baden, oder Würtemberg absurd wäre. Wir erin¬
nern nur an die erfolgreiche Reclamation gegen Celakowsky in Prag.
Wo russische Beschwerden keine sichtbaren Folgen haben, liegt die
Schuld nicht am Petersburger lZabinet, und wir hoffen, daß sie, z. B.
bei Wiesner, eher am österreichischen liegen würde. Wiesner's Werk
ist übrigens so unbedeutend nicht, wie jenes Leipziger Journal denkt.
Das beweisen die hitzigen Angriffe auf ihn (in der Augsburger All¬
gemeinen), die man dem russischen Staatsrath Tengoborsky zuschreibt,
so wie die Aeußerungen, die darüber in Wien, von bedeutenden und
einflußreichen Staatsmännern, gefallen sind.

— Fallmerayer vertheidigt sich aus Berlin (in der Augsb. All¬
gemeinen) gegen die von vielen Seiten wider ihn erhobene Beschuldi¬
gung der Russenliebe. Er legt zu diesem Zweck ein offenes Bekenntniß
ab; von dem schwärmerischen Glauben an den Fortschritt der
Menschheit :c. sei er längst zurückgekommen; erprophezeihe dem „sla¬
vischen Fatum" und besonders demRussenthum deshalb den Sieg,
weil er überzeugt sei, daß alle positiven Rathschläge, die er etwa gegen
das Moskowiterthum geben wollte, ohnedies nicht befolgt werden
würden (wir ersuchen aber doch Herrn Cassandra-Fallmerayer, diese
Rathschläge der Welt nicht vorzuenthalten) und kurz, weil das
Schlechte stets mächtiger sei als das Gute; was doch für
die Russen kein Compliment wäre. — Wir glauben, daß Rußland
sich gern von uns armen „Ideologen" schlecht schelten läßt, wenn wir
ihm nur den irdischen Sieg lassen. Herr F. wird wohl wissen, daß
er mit dem maliciösen Compliment seine Graco-Slaven nicht beleidigt.
Uns selbst könnte es nie einfallen, den „Rubel auf Reisen" auf ihn
anzuwenden; vielmehr scheint sich Herr F., seit er die Griechen sla-
visirte und darüber mit aller Welt in Streit gerieth, aus Conse-
quenzmacherei immer mehr in den Glauben an das slavische Fatum
hineindisputirt zu haben. Wer weiß es nicht, daß oft die originellsten
und feinsten Köpfe mit Siren Ideen herumlaufen! Und wie man zu


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[0051] ner's „Russisch-politischer Arithmetik": Das Cabinet von Se. Peters¬ burg habe mehr zu thun, als unbedeutende Schriftsteller des Auslan¬ des durch Verfolgungen und Injurienklagen wichtig zu machen. — Ganz richtig, das Ministerium der Aufklärung in Petersburg kann sich nicht selbst um Alles kümmern, was draußen in der Welt anti¬ russisch ist. Wozu hätte man sonst so viel theuere Agenten, die von Weimar bis Königsberg, von Belgrad bis Paris ihre Stumpfnäschen oft in sehr „unbedeutende" Affairen stecken? Rußland kann freilich nicht jeden deutschen Notizcnschreiber belangen, aber es verschmäht in besonderen Fällen eine elegische oder energische Klage nicht, — wenn es was auszurichten hoffen kann. Manches ist daher in Böhmen oder Posen wahrscheinlich, was in Sachsen, Baden, oder Würtemberg absurd wäre. Wir erin¬ nern nur an die erfolgreiche Reclamation gegen Celakowsky in Prag. Wo russische Beschwerden keine sichtbaren Folgen haben, liegt die Schuld nicht am Petersburger lZabinet, und wir hoffen, daß sie, z. B. bei Wiesner, eher am österreichischen liegen würde. Wiesner's Werk ist übrigens so unbedeutend nicht, wie jenes Leipziger Journal denkt. Das beweisen die hitzigen Angriffe auf ihn (in der Augsburger All¬ gemeinen), die man dem russischen Staatsrath Tengoborsky zuschreibt, so wie die Aeußerungen, die darüber in Wien, von bedeutenden und einflußreichen Staatsmännern, gefallen sind. — Fallmerayer vertheidigt sich aus Berlin (in der Augsb. All¬ gemeinen) gegen die von vielen Seiten wider ihn erhobene Beschuldi¬ gung der Russenliebe. Er legt zu diesem Zweck ein offenes Bekenntniß ab; von dem schwärmerischen Glauben an den Fortschritt der Menschheit :c. sei er längst zurückgekommen; erprophezeihe dem „sla¬ vischen Fatum" und besonders demRussenthum deshalb den Sieg, weil er überzeugt sei, daß alle positiven Rathschläge, die er etwa gegen das Moskowiterthum geben wollte, ohnedies nicht befolgt werden würden (wir ersuchen aber doch Herrn Cassandra-Fallmerayer, diese Rathschläge der Welt nicht vorzuenthalten) und kurz, weil das Schlechte stets mächtiger sei als das Gute; was doch für die Russen kein Compliment wäre. — Wir glauben, daß Rußland sich gern von uns armen „Ideologen" schlecht schelten läßt, wenn wir ihm nur den irdischen Sieg lassen. Herr F. wird wohl wissen, daß er mit dem maliciösen Compliment seine Graco-Slaven nicht beleidigt. Uns selbst könnte es nie einfallen, den „Rubel auf Reisen" auf ihn anzuwenden; vielmehr scheint sich Herr F., seit er die Griechen sla- visirte und darüber mit aller Welt in Streit gerieth, aus Conse- quenzmacherei immer mehr in den Glauben an das slavische Fatum hineindisputirt zu haben. Wer weiß es nicht, daß oft die originellsten und feinsten Köpfe mit Siren Ideen herumlaufen! Und wie man zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/51>, abgerufen am 01.09.2024.