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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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zumercken. Dies ist eine durch unsere höchst eigenthümliche Verfas¬
sung sanctionirte Mausefalle, in welche jede bedeutende Differenz ge¬
lockt wird, welche zwischen Rath und Bürgerschaft entstanden. Die
Commission besteht aus einer gleichen Anzahl Mitglieder des Sena¬
tes und der Bürgerschaft, welche durch das Loos gewählt werden.
Sie haben vor dem Anfange ihrer Berathungen einen besondern Eid
zu leisten, welcher unter Andern dahin lautet, -- /,daß die Entschei¬
dungscommission bei ihrem Voto allein nach ihrem besten Wissen und
Gewissen, Gottes Ehre, der Stadt und deren Gemeinen Wesen Be¬
stes und die heilige Gerechtigkeit vor Augen haben, weder aus Liebe,
noch Haß, Freundschaft noch Feindschaft gegen E. E. Rath und der
löblichen Bürgerschaft oder auch gegen einzelne deren Mitglieder oder
auch gegen sonsten Privatpersonen, vielweniger gegen dieselben, so bei
der quästionirten Sache Schaden oder Nachtheil, directe oder indirecte
haben könnten, desgleichen durch keinerlei Autorität, Ansehen, Vor¬
urtheil, Befehl oder Ueberredung von Anderen u. s. w. dabei anders,
als wie sie es nach ihrem besten Begriff der Stadt nützlich finden
werde, thun und handeln wolle." Das klingt doch recht mittelalter¬
lich bieder und fein vorsichtig. Die Entfcheidungscommission, vom
Senate in Zwistfällen proponirt, kann von der Bürgerschaft abgelehnt
werden, was z. B. im Jahre t765 geschah, als man sich wegen der
Gehalte des Rathes lange nicht einigen konnte. Einmal angenom¬
men, spricht diese Commission ein unumstößliches Votum. Ergibt sich
bei ihren Berathungen, über deren Details, zufolge des geleisteten
Eides, Nichts bekannt werden darf, zuerst eine Gleichheit der Stim¬
men in Betreff der Annahme oder Ablehnung irgend eines Vorschla¬
ges, so wird, abermals durch das Loos, ein engerer Ausschuß ge¬
wählt, dessen Entscheidung der Streitsrage ein sicheres Ende macht.
Seit dem Jahre 1765 ist der diesmalige erst der zweite Fall, in wel¬
chem das Zusammentreten der Commission nöthig wurde. Ihr den
allgemeinen Wünschen stark entgegentretender Ausspruch hat wenig
überrascht, denn das Resultat konnte kaum zweifelhaft sein; die Ab¬
neigung gegen jene Verträge scheint, obwohl ihre Vollgiltigkeit aner¬
kannt, eher verstärkt als gemindert.

Die einzige hiesige Repräsentantin deutscher Frauen-Literatur,
Therese (Frau von Bacheracht), Verfasserin der viel besprochenen
Briefe aus dem Süden u. f. w., hat so eben einen neuen Roman
"Lydia" (bei Vieweg in Braunschweig) erscheinen lassen. Lydia ist
eine interessante, zart und edel gegliederte Dichtung, vom Glanz und
Duft wahrer Poesie überhaucht, und wird sicher rasch die Aufmerk¬
samkeit der Lesewelt und Kritik gefesselt haben. Frau von Vacheracht
ist eben von einem viermonatlicher Ausfluge nach dem Rhein und
der Schweiz hierher zurückgekehrt, wo sie eine eigenthümliche Stellung
einnimmt, die ihre Reize haben mag, aber auch öfters von bitterem


zumercken. Dies ist eine durch unsere höchst eigenthümliche Verfas¬
sung sanctionirte Mausefalle, in welche jede bedeutende Differenz ge¬
lockt wird, welche zwischen Rath und Bürgerschaft entstanden. Die
Commission besteht aus einer gleichen Anzahl Mitglieder des Sena¬
tes und der Bürgerschaft, welche durch das Loos gewählt werden.
Sie haben vor dem Anfange ihrer Berathungen einen besondern Eid
zu leisten, welcher unter Andern dahin lautet, — /,daß die Entschei¬
dungscommission bei ihrem Voto allein nach ihrem besten Wissen und
Gewissen, Gottes Ehre, der Stadt und deren Gemeinen Wesen Be¬
stes und die heilige Gerechtigkeit vor Augen haben, weder aus Liebe,
noch Haß, Freundschaft noch Feindschaft gegen E. E. Rath und der
löblichen Bürgerschaft oder auch gegen einzelne deren Mitglieder oder
auch gegen sonsten Privatpersonen, vielweniger gegen dieselben, so bei
der quästionirten Sache Schaden oder Nachtheil, directe oder indirecte
haben könnten, desgleichen durch keinerlei Autorität, Ansehen, Vor¬
urtheil, Befehl oder Ueberredung von Anderen u. s. w. dabei anders,
als wie sie es nach ihrem besten Begriff der Stadt nützlich finden
werde, thun und handeln wolle." Das klingt doch recht mittelalter¬
lich bieder und fein vorsichtig. Die Entfcheidungscommission, vom
Senate in Zwistfällen proponirt, kann von der Bürgerschaft abgelehnt
werden, was z. B. im Jahre t765 geschah, als man sich wegen der
Gehalte des Rathes lange nicht einigen konnte. Einmal angenom¬
men, spricht diese Commission ein unumstößliches Votum. Ergibt sich
bei ihren Berathungen, über deren Details, zufolge des geleisteten
Eides, Nichts bekannt werden darf, zuerst eine Gleichheit der Stim¬
men in Betreff der Annahme oder Ablehnung irgend eines Vorschla¬
ges, so wird, abermals durch das Loos, ein engerer Ausschuß ge¬
wählt, dessen Entscheidung der Streitsrage ein sicheres Ende macht.
Seit dem Jahre 1765 ist der diesmalige erst der zweite Fall, in wel¬
chem das Zusammentreten der Commission nöthig wurde. Ihr den
allgemeinen Wünschen stark entgegentretender Ausspruch hat wenig
überrascht, denn das Resultat konnte kaum zweifelhaft sein; die Ab¬
neigung gegen jene Verträge scheint, obwohl ihre Vollgiltigkeit aner¬
kannt, eher verstärkt als gemindert.

Die einzige hiesige Repräsentantin deutscher Frauen-Literatur,
Therese (Frau von Bacheracht), Verfasserin der viel besprochenen
Briefe aus dem Süden u. f. w., hat so eben einen neuen Roman
„Lydia" (bei Vieweg in Braunschweig) erscheinen lassen. Lydia ist
eine interessante, zart und edel gegliederte Dichtung, vom Glanz und
Duft wahrer Poesie überhaucht, und wird sicher rasch die Aufmerk¬
samkeit der Lesewelt und Kritik gefesselt haben. Frau von Vacheracht
ist eben von einem viermonatlicher Ausfluge nach dem Rhein und
der Schweiz hierher zurückgekehrt, wo sie eine eigenthümliche Stellung
einnimmt, die ihre Reize haben mag, aber auch öfters von bitterem


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[0048] zumercken. Dies ist eine durch unsere höchst eigenthümliche Verfas¬ sung sanctionirte Mausefalle, in welche jede bedeutende Differenz ge¬ lockt wird, welche zwischen Rath und Bürgerschaft entstanden. Die Commission besteht aus einer gleichen Anzahl Mitglieder des Sena¬ tes und der Bürgerschaft, welche durch das Loos gewählt werden. Sie haben vor dem Anfange ihrer Berathungen einen besondern Eid zu leisten, welcher unter Andern dahin lautet, — /,daß die Entschei¬ dungscommission bei ihrem Voto allein nach ihrem besten Wissen und Gewissen, Gottes Ehre, der Stadt und deren Gemeinen Wesen Be¬ stes und die heilige Gerechtigkeit vor Augen haben, weder aus Liebe, noch Haß, Freundschaft noch Feindschaft gegen E. E. Rath und der löblichen Bürgerschaft oder auch gegen einzelne deren Mitglieder oder auch gegen sonsten Privatpersonen, vielweniger gegen dieselben, so bei der quästionirten Sache Schaden oder Nachtheil, directe oder indirecte haben könnten, desgleichen durch keinerlei Autorität, Ansehen, Vor¬ urtheil, Befehl oder Ueberredung von Anderen u. s. w. dabei anders, als wie sie es nach ihrem besten Begriff der Stadt nützlich finden werde, thun und handeln wolle." Das klingt doch recht mittelalter¬ lich bieder und fein vorsichtig. Die Entfcheidungscommission, vom Senate in Zwistfällen proponirt, kann von der Bürgerschaft abgelehnt werden, was z. B. im Jahre t765 geschah, als man sich wegen der Gehalte des Rathes lange nicht einigen konnte. Einmal angenom¬ men, spricht diese Commission ein unumstößliches Votum. Ergibt sich bei ihren Berathungen, über deren Details, zufolge des geleisteten Eides, Nichts bekannt werden darf, zuerst eine Gleichheit der Stim¬ men in Betreff der Annahme oder Ablehnung irgend eines Vorschla¬ ges, so wird, abermals durch das Loos, ein engerer Ausschuß ge¬ wählt, dessen Entscheidung der Streitsrage ein sicheres Ende macht. Seit dem Jahre 1765 ist der diesmalige erst der zweite Fall, in wel¬ chem das Zusammentreten der Commission nöthig wurde. Ihr den allgemeinen Wünschen stark entgegentretender Ausspruch hat wenig überrascht, denn das Resultat konnte kaum zweifelhaft sein; die Ab¬ neigung gegen jene Verträge scheint, obwohl ihre Vollgiltigkeit aner¬ kannt, eher verstärkt als gemindert. Die einzige hiesige Repräsentantin deutscher Frauen-Literatur, Therese (Frau von Bacheracht), Verfasserin der viel besprochenen Briefe aus dem Süden u. f. w., hat so eben einen neuen Roman „Lydia" (bei Vieweg in Braunschweig) erscheinen lassen. Lydia ist eine interessante, zart und edel gegliederte Dichtung, vom Glanz und Duft wahrer Poesie überhaucht, und wird sicher rasch die Aufmerk¬ samkeit der Lesewelt und Kritik gefesselt haben. Frau von Vacheracht ist eben von einem viermonatlicher Ausfluge nach dem Rhein und der Schweiz hierher zurückgekehrt, wo sie eine eigenthümliche Stellung einnimmt, die ihre Reize haben mag, aber auch öfters von bitterem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/48>, abgerufen am 01.09.2024.