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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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wobei der Statthalter von Holstein, Prinz Friedrich, die Honneurs
im Namen des Königs machte. Die Feierlichkeit ging früh am Mor¬
gen vor sich, der trüb und feuchtkalt war, aber ein Aeitungscorrespon-
dent schlagt um seine mißmüthigste Stimmung einen regendichten
Macintosh und darf nicht mehr Bequemlichkeitssinn haben als ein
russischer Soldat. -- Die mächtigen Locomoliven liefen manövrirend
und ihre junge Kraft versuchend auf dem glatten Schienenwege hin
und her, blank und schön, bekränzt, blumengeschmückt, wie muntere
Brande, die von ihrer Bestimmung und Ankunft so genau unterrich¬
tet sind, wie von ihren Pflichten und Rechten. Das Bild hinkt nicht
so sehr, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Rasche, unauf¬
haltsame Bewegung im Geist wie in der Materie, ist die Braut des
Jahrhunderts, der Verlobung wird die Ehe folgen und aus dieser
geht wohl noch eine Frucht hervor, für welche die Ankunft der Ge¬
genwart unendlich verpflichtet sein müßte, wären die nachgeborenen
Geschlechter je zur Dankbarkeit gegen die Vorfahren aufgelegt. Un¬
dankbarkeit gehört zu den Erbsünden der Menschheit, die sie von Zeit¬
alter zu Zeitalter wider sich selbst begeht. Wir haben für die Ver¬
gangenheit, für ihre großen Thaten und großen Menschen wohl Chro¬
niken, Geschichtsbücher, Gedachtnißtaseln, aber wie selten unmittelba¬
res Gedächtniß, wie selten errichten wir ihnen außer den Denksteinen,
die in Sturm und Regen verwittern, Monumente in unsern Herzen!
-- Daß in Begleitung der Einweihungsfeierlichkeit tüchtig perorirt,
illuminirt, musicirt, dejeunirt und dinirt wurde, bedarf keiner besondern
Erwähnung. Das Essen spielt bei allen deutschen Festlichkeiten eine
so wichtige Rolle, daß die Söhne Teuts sich vermuthlich auch bei
ihrer Ankunft im Himmel früher nach einer wohlbesetzten Tafel als
nach der ewigen Seligkeit umschauen. Kiel, eine der Perlen des ge¬
segneten Holsteins, das etwa noch zu Deutschland gehört wie ein
halbabgeschnittener Finger zur Hand, wird nun ein stätiger Ausfluchts¬
punkt der Hamburger bleiben, während die unglückselige Bergedorfer
Eisenbahn ihren kümmerlichen Erwerb mehr als je geschmälert sehen
muß. Wer sich auch nicht übel verrechnet hat, das sind die Altonaer
Gastwirthe. Hamburg, das große, lebenslustige, genußbietendc Ham¬
burg, sitzt für jene armen Leute da wie eine dicke, gewaltige Spinne
in ihrem unzerreißbaren Netz und was von Kieler Vergnügungen her¬
überfliegt, wird unbarmherzig angezogen, so daß Altona durchschnitt¬
lich nur die Droschke, den Omnibus liefert, worin die Auszusaugen¬
den davoneilen, um als Ausgesogene zurückzukehren. So haben denn
die Altonaer Wirthe nur das Nachsehen.

Aus den Zeitungen werden Sie erfahren haben, daß die Elb-
schifffahrtsvertrage in diesen Tagen, nach dreimaliger Verwerfung von
Seiten der Bürgerschaft, endlich ratisicirt wurden. An diesem Zwecke
mußte freilich die sogenannte große Entscheidungscommission zusam-


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wobei der Statthalter von Holstein, Prinz Friedrich, die Honneurs
im Namen des Königs machte. Die Feierlichkeit ging früh am Mor¬
gen vor sich, der trüb und feuchtkalt war, aber ein Aeitungscorrespon-
dent schlagt um seine mißmüthigste Stimmung einen regendichten
Macintosh und darf nicht mehr Bequemlichkeitssinn haben als ein
russischer Soldat. — Die mächtigen Locomoliven liefen manövrirend
und ihre junge Kraft versuchend auf dem glatten Schienenwege hin
und her, blank und schön, bekränzt, blumengeschmückt, wie muntere
Brande, die von ihrer Bestimmung und Ankunft so genau unterrich¬
tet sind, wie von ihren Pflichten und Rechten. Das Bild hinkt nicht
so sehr, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Rasche, unauf¬
haltsame Bewegung im Geist wie in der Materie, ist die Braut des
Jahrhunderts, der Verlobung wird die Ehe folgen und aus dieser
geht wohl noch eine Frucht hervor, für welche die Ankunft der Ge¬
genwart unendlich verpflichtet sein müßte, wären die nachgeborenen
Geschlechter je zur Dankbarkeit gegen die Vorfahren aufgelegt. Un¬
dankbarkeit gehört zu den Erbsünden der Menschheit, die sie von Zeit¬
alter zu Zeitalter wider sich selbst begeht. Wir haben für die Ver¬
gangenheit, für ihre großen Thaten und großen Menschen wohl Chro¬
niken, Geschichtsbücher, Gedachtnißtaseln, aber wie selten unmittelba¬
res Gedächtniß, wie selten errichten wir ihnen außer den Denksteinen,
die in Sturm und Regen verwittern, Monumente in unsern Herzen!
— Daß in Begleitung der Einweihungsfeierlichkeit tüchtig perorirt,
illuminirt, musicirt, dejeunirt und dinirt wurde, bedarf keiner besondern
Erwähnung. Das Essen spielt bei allen deutschen Festlichkeiten eine
so wichtige Rolle, daß die Söhne Teuts sich vermuthlich auch bei
ihrer Ankunft im Himmel früher nach einer wohlbesetzten Tafel als
nach der ewigen Seligkeit umschauen. Kiel, eine der Perlen des ge¬
segneten Holsteins, das etwa noch zu Deutschland gehört wie ein
halbabgeschnittener Finger zur Hand, wird nun ein stätiger Ausfluchts¬
punkt der Hamburger bleiben, während die unglückselige Bergedorfer
Eisenbahn ihren kümmerlichen Erwerb mehr als je geschmälert sehen
muß. Wer sich auch nicht übel verrechnet hat, das sind die Altonaer
Gastwirthe. Hamburg, das große, lebenslustige, genußbietendc Ham¬
burg, sitzt für jene armen Leute da wie eine dicke, gewaltige Spinne
in ihrem unzerreißbaren Netz und was von Kieler Vergnügungen her¬
überfliegt, wird unbarmherzig angezogen, so daß Altona durchschnitt¬
lich nur die Droschke, den Omnibus liefert, worin die Auszusaugen¬
den davoneilen, um als Ausgesogene zurückzukehren. So haben denn
die Altonaer Wirthe nur das Nachsehen.

Aus den Zeitungen werden Sie erfahren haben, daß die Elb-
schifffahrtsvertrage in diesen Tagen, nach dreimaliger Verwerfung von
Seiten der Bürgerschaft, endlich ratisicirt wurden. An diesem Zwecke
mußte freilich die sogenannte große Entscheidungscommission zusam-


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[0047] wobei der Statthalter von Holstein, Prinz Friedrich, die Honneurs im Namen des Königs machte. Die Feierlichkeit ging früh am Mor¬ gen vor sich, der trüb und feuchtkalt war, aber ein Aeitungscorrespon- dent schlagt um seine mißmüthigste Stimmung einen regendichten Macintosh und darf nicht mehr Bequemlichkeitssinn haben als ein russischer Soldat. — Die mächtigen Locomoliven liefen manövrirend und ihre junge Kraft versuchend auf dem glatten Schienenwege hin und her, blank und schön, bekränzt, blumengeschmückt, wie muntere Brande, die von ihrer Bestimmung und Ankunft so genau unterrich¬ tet sind, wie von ihren Pflichten und Rechten. Das Bild hinkt nicht so sehr, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Rasche, unauf¬ haltsame Bewegung im Geist wie in der Materie, ist die Braut des Jahrhunderts, der Verlobung wird die Ehe folgen und aus dieser geht wohl noch eine Frucht hervor, für welche die Ankunft der Ge¬ genwart unendlich verpflichtet sein müßte, wären die nachgeborenen Geschlechter je zur Dankbarkeit gegen die Vorfahren aufgelegt. Un¬ dankbarkeit gehört zu den Erbsünden der Menschheit, die sie von Zeit¬ alter zu Zeitalter wider sich selbst begeht. Wir haben für die Ver¬ gangenheit, für ihre großen Thaten und großen Menschen wohl Chro¬ niken, Geschichtsbücher, Gedachtnißtaseln, aber wie selten unmittelba¬ res Gedächtniß, wie selten errichten wir ihnen außer den Denksteinen, die in Sturm und Regen verwittern, Monumente in unsern Herzen! — Daß in Begleitung der Einweihungsfeierlichkeit tüchtig perorirt, illuminirt, musicirt, dejeunirt und dinirt wurde, bedarf keiner besondern Erwähnung. Das Essen spielt bei allen deutschen Festlichkeiten eine so wichtige Rolle, daß die Söhne Teuts sich vermuthlich auch bei ihrer Ankunft im Himmel früher nach einer wohlbesetzten Tafel als nach der ewigen Seligkeit umschauen. Kiel, eine der Perlen des ge¬ segneten Holsteins, das etwa noch zu Deutschland gehört wie ein halbabgeschnittener Finger zur Hand, wird nun ein stätiger Ausfluchts¬ punkt der Hamburger bleiben, während die unglückselige Bergedorfer Eisenbahn ihren kümmerlichen Erwerb mehr als je geschmälert sehen muß. Wer sich auch nicht übel verrechnet hat, das sind die Altonaer Gastwirthe. Hamburg, das große, lebenslustige, genußbietendc Ham¬ burg, sitzt für jene armen Leute da wie eine dicke, gewaltige Spinne in ihrem unzerreißbaren Netz und was von Kieler Vergnügungen her¬ überfliegt, wird unbarmherzig angezogen, so daß Altona durchschnitt¬ lich nur die Droschke, den Omnibus liefert, worin die Auszusaugen¬ den davoneilen, um als Ausgesogene zurückzukehren. So haben denn die Altonaer Wirthe nur das Nachsehen. Aus den Zeitungen werden Sie erfahren haben, daß die Elb- schifffahrtsvertrage in diesen Tagen, nach dreimaliger Verwerfung von Seiten der Bürgerschaft, endlich ratisicirt wurden. An diesem Zwecke mußte freilich die sogenannte große Entscheidungscommission zusam- K »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/47>, abgerufen am 05.12.2024.