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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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lächelnd zu den Kleinen hernieder, enthüllte ihre Brust und fuhr, ehe
die Mutter es gewahr wurde oder es verhindern konnte, mit einem
kleinen Messer über die Brust des Knaben, die er blutig aufritzte und
dann mit einer Salbe überstrich, welche der Diener ihm präsentirte.
Ein Blitz flog grade durch die Fenster, dem ein furchtbarer Donner
folgte, aber die Kinder schliefen ruhig fort, der Genuß des Weines
mochte sie wohl betäubt haben.

Darauf wollte der Maestro sich eben der kleinen Marie mit sei¬
nem Messerchen nahen, als die Mutter ihm in den Arm siel und
erklärte, sie werde es nun und nimmermehr zugeben, daß auch das
andre Kind so gezeichnet werde.'

-- Der Schreck allein, sagte sie, hat mich starr gemacht, daß
ich Euch willfahren mußte. Was soll das blutige Zeichen auf der
Brust des armen Hans? Was bedeutet es? Was habt Ihr mit
meinen Kindern vor?

-- Die Kinder sind mein! antwortete der Maestro. Ich habe
sie erkauft mit sieben Säcken Goldes, die Ihr in der Stube finden
werdet; und ich habe nichts Böses mit ihnen vor. Eine Lyra habe
ich dem Knaben auf die Brust geätzt und will auch so dem Mädchen
thun, denn ich weihe die Kinder der Musik und werde sie berühmt
machen in der Welt.

Vergebens waren Margarethens Bitten und Thränen, Klaus
hielt sie mit starkem Arme sest. Auch der kleinen Marie ward die
Lyra auf die Brust geäzt, dann wickelten die Mohren beide Kinder
i" kostbare Pelze und trugen sie in den draußen harrenden Wagen,
wohin der Maestro ihnen folgte. Margarethe aber fiel besinnungs¬
los zu Boden.




Am andern Morgen, als die Kinder erwachten, befanden sie
sich schon weit von der väterlichen Hütte, in einer großen, volkreichen
Stadt. Sie fragten nach der Mutter, verlangten weinend nach ihr,
aber der Maestro wich ihren Fragen aus und gab ihnen Spielzeug,
wie sie es nie gesehen, schöne Kleider, wie sie deren nie gehabt hat¬
ten. Sie wohnten in einem prächtigen Hause, sahen hinab in das
bunte, geräuschvolle Treiben einer großen Stadt und vergaßen augen¬
blicklich bald die Sehnsucht nach der Mutter, über all das Neue,


lächelnd zu den Kleinen hernieder, enthüllte ihre Brust und fuhr, ehe
die Mutter es gewahr wurde oder es verhindern konnte, mit einem
kleinen Messer über die Brust des Knaben, die er blutig aufritzte und
dann mit einer Salbe überstrich, welche der Diener ihm präsentirte.
Ein Blitz flog grade durch die Fenster, dem ein furchtbarer Donner
folgte, aber die Kinder schliefen ruhig fort, der Genuß des Weines
mochte sie wohl betäubt haben.

Darauf wollte der Maestro sich eben der kleinen Marie mit sei¬
nem Messerchen nahen, als die Mutter ihm in den Arm siel und
erklärte, sie werde es nun und nimmermehr zugeben, daß auch das
andre Kind so gezeichnet werde.'

— Der Schreck allein, sagte sie, hat mich starr gemacht, daß
ich Euch willfahren mußte. Was soll das blutige Zeichen auf der
Brust des armen Hans? Was bedeutet es? Was habt Ihr mit
meinen Kindern vor?

— Die Kinder sind mein! antwortete der Maestro. Ich habe
sie erkauft mit sieben Säcken Goldes, die Ihr in der Stube finden
werdet; und ich habe nichts Böses mit ihnen vor. Eine Lyra habe
ich dem Knaben auf die Brust geätzt und will auch so dem Mädchen
thun, denn ich weihe die Kinder der Musik und werde sie berühmt
machen in der Welt.

Vergebens waren Margarethens Bitten und Thränen, Klaus
hielt sie mit starkem Arme sest. Auch der kleinen Marie ward die
Lyra auf die Brust geäzt, dann wickelten die Mohren beide Kinder
i» kostbare Pelze und trugen sie in den draußen harrenden Wagen,
wohin der Maestro ihnen folgte. Margarethe aber fiel besinnungs¬
los zu Boden.




Am andern Morgen, als die Kinder erwachten, befanden sie
sich schon weit von der väterlichen Hütte, in einer großen, volkreichen
Stadt. Sie fragten nach der Mutter, verlangten weinend nach ihr,
aber der Maestro wich ihren Fragen aus und gab ihnen Spielzeug,
wie sie es nie gesehen, schöne Kleider, wie sie deren nie gehabt hat¬
ten. Sie wohnten in einem prächtigen Hause, sahen hinab in das
bunte, geräuschvolle Treiben einer großen Stadt und vergaßen augen¬
blicklich bald die Sehnsucht nach der Mutter, über all das Neue,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/458>, abgerufen am 01.09.2024.