Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mung. Die Regierung kann die Einheit herstellen und will es auch,
und doch gelangt sie nicht dazu. Der Schlendrian, diese große Erb¬
krankheit, liegt uns zu sehr im Blute. Man flickt und flickt, erläßt
unzählige supplementirende Jnstructionen und bedeckt den Rock mit
tausend kleinen Fetzen, wahrend es doch weit weniger mühselig wäre,
einen neuen Rock zu machen. Wie soll Harmonie unter den verschie¬
denen Nationalitäten Oesterreichs herrschen, wenn die Regierung, selbst
bei so kleinen ungefährlichen Dingen, es unterläßt, sie herzustellen?

Mit den Ccnsurgesctzen verhält es sich eben so. Diese Frage
hat in letzterer Zeit den Fortschritt gemacht, daß selbst die Censuräm-
ter zur Einsicht gekommen sind, wie man mit den gegenwärtigen Nor¬
men nicht mehr fortgehen könne. Das Gesetz, welches österreichischen
Schriftstellern verbietet, in's Ausland zu schreiben, ist nicht mehr auf¬
recht zu halten; nicht blos vom Standpunkt des Princips, sondern es
ist administrativ unmöglich, seitdem der Staat selbst Eisenbahnen ge¬
baut hat, um die Communication mit dem Ausland zu befördern, seit
tausend Wege offen stehen, um Manuscripte nach Leipzig und Ham¬
burg zu senden; wie will man diese Sendungen überwachen? Wird diese
Ohnmacht nicht zu einer Aenderung veranlassen ? Fordert es nicht die Würde
des Staates, ein Gesetz, über dessen Befolgung er nicht wachen kann,
abzuschaffen? Aber das wäre eine radicale Maßregel, und so lassen
wir's lieber durch dick und dünn gehen, um nur Nichts zu ändern.

Wiesner's Untersuchung hat bisher keine weiteren Folgen gehabt.
Man hatte ihn rufen lassen und ihn in aller Höflichkeit gefragt, was
ihn zur Herausgabe seines Buches bewogen habe, worauf Wiesner
eben so ernst als ruhig antwortete: Der Drang nach Wahrheit und
die Besorgnis?, die falschen Daten und Meinungen des Herrn Tcngo-
borski könnten dem Staate schaden. -- Glaubten Sie, daß das Buch
die österreichische Censur passiren würde? -- Ich zweifelte nicht daran,
da es im patriotischen Interesse geschrieben ist. -- Und warum un¬
terbreiteten Sie selbes nicht der Censur? -- Weil die Widerlegung
dringend war und der Censurweg sie Monate lang hinausgeschoben
hätte. -- Diese Antworten wurden zu Protocoll genommen. Seitdem
ist bereits eine zweite Broschüre von Wiesner erschienen, gleichfalls
bei Wigand. Auch Rank befindet sich seit mehreren Tagen wieder
hier und lebt unangefochten seinen neuen Productionen. Man fühlt
es, daß es unklug wäre, achtbare und im höheren (wenn auch nicht
im polizeilichen) Sinne patriotische Schriftsteller zu verfolgen oder
gar zu strafen. Die öffentliche Meinung ist zu sehr auf der Seite
der Letzteren, und die heimliche Meinung der Censoren selbst reiht sich
an jene öffentliche. Aber dieses laut auszusprechen, einen entschiedenen
Schritt vorwärts zu thun und die innere bessere Ansicht als Gesetz
zu proclamiren, dazu fehlt der Entschluß.

Da Weber und Spinner in letzterer Zeit ein stehender Artikel in


Grcnjl'oder um. II. HZ

mung. Die Regierung kann die Einheit herstellen und will es auch,
und doch gelangt sie nicht dazu. Der Schlendrian, diese große Erb¬
krankheit, liegt uns zu sehr im Blute. Man flickt und flickt, erläßt
unzählige supplementirende Jnstructionen und bedeckt den Rock mit
tausend kleinen Fetzen, wahrend es doch weit weniger mühselig wäre,
einen neuen Rock zu machen. Wie soll Harmonie unter den verschie¬
denen Nationalitäten Oesterreichs herrschen, wenn die Regierung, selbst
bei so kleinen ungefährlichen Dingen, es unterläßt, sie herzustellen?

Mit den Ccnsurgesctzen verhält es sich eben so. Diese Frage
hat in letzterer Zeit den Fortschritt gemacht, daß selbst die Censuräm-
ter zur Einsicht gekommen sind, wie man mit den gegenwärtigen Nor¬
men nicht mehr fortgehen könne. Das Gesetz, welches österreichischen
Schriftstellern verbietet, in's Ausland zu schreiben, ist nicht mehr auf¬
recht zu halten; nicht blos vom Standpunkt des Princips, sondern es
ist administrativ unmöglich, seitdem der Staat selbst Eisenbahnen ge¬
baut hat, um die Communication mit dem Ausland zu befördern, seit
tausend Wege offen stehen, um Manuscripte nach Leipzig und Ham¬
burg zu senden; wie will man diese Sendungen überwachen? Wird diese
Ohnmacht nicht zu einer Aenderung veranlassen ? Fordert es nicht die Würde
des Staates, ein Gesetz, über dessen Befolgung er nicht wachen kann,
abzuschaffen? Aber das wäre eine radicale Maßregel, und so lassen
wir's lieber durch dick und dünn gehen, um nur Nichts zu ändern.

Wiesner's Untersuchung hat bisher keine weiteren Folgen gehabt.
Man hatte ihn rufen lassen und ihn in aller Höflichkeit gefragt, was
ihn zur Herausgabe seines Buches bewogen habe, worauf Wiesner
eben so ernst als ruhig antwortete: Der Drang nach Wahrheit und
die Besorgnis?, die falschen Daten und Meinungen des Herrn Tcngo-
borski könnten dem Staate schaden. — Glaubten Sie, daß das Buch
die österreichische Censur passiren würde? — Ich zweifelte nicht daran,
da es im patriotischen Interesse geschrieben ist. — Und warum un¬
terbreiteten Sie selbes nicht der Censur? — Weil die Widerlegung
dringend war und der Censurweg sie Monate lang hinausgeschoben
hätte. — Diese Antworten wurden zu Protocoll genommen. Seitdem
ist bereits eine zweite Broschüre von Wiesner erschienen, gleichfalls
bei Wigand. Auch Rank befindet sich seit mehreren Tagen wieder
hier und lebt unangefochten seinen neuen Productionen. Man fühlt
es, daß es unklug wäre, achtbare und im höheren (wenn auch nicht
im polizeilichen) Sinne patriotische Schriftsteller zu verfolgen oder
gar zu strafen. Die öffentliche Meinung ist zu sehr auf der Seite
der Letzteren, und die heimliche Meinung der Censoren selbst reiht sich
an jene öffentliche. Aber dieses laut auszusprechen, einen entschiedenen
Schritt vorwärts zu thun und die innere bessere Ansicht als Gesetz
zu proclamiren, dazu fehlt der Entschluß.

Da Weber und Spinner in letzterer Zeit ein stehender Artikel in


Grcnjl'oder um. II. HZ
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181605"/>
            <p xml:id="ID_1168" prev="#ID_1167"> mung. Die Regierung kann die Einheit herstellen und will es auch,<lb/>
und doch gelangt sie nicht dazu. Der Schlendrian, diese große Erb¬<lb/>
krankheit, liegt uns zu sehr im Blute. Man flickt und flickt, erläßt<lb/>
unzählige supplementirende Jnstructionen und bedeckt den Rock mit<lb/>
tausend kleinen Fetzen, wahrend es doch weit weniger mühselig wäre,<lb/>
einen neuen Rock zu machen. Wie soll Harmonie unter den verschie¬<lb/>
denen Nationalitäten Oesterreichs herrschen, wenn die Regierung, selbst<lb/>
bei so kleinen ungefährlichen Dingen, es unterläßt, sie herzustellen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1169"> Mit den Ccnsurgesctzen verhält es sich eben so. Diese Frage<lb/>
hat in letzterer Zeit den Fortschritt gemacht, daß selbst die Censuräm-<lb/>
ter zur Einsicht gekommen sind, wie man mit den gegenwärtigen Nor¬<lb/>
men nicht mehr fortgehen könne. Das Gesetz, welches österreichischen<lb/>
Schriftstellern verbietet, in's Ausland zu schreiben, ist nicht mehr auf¬<lb/>
recht zu halten; nicht blos vom Standpunkt des Princips, sondern es<lb/>
ist administrativ unmöglich, seitdem der Staat selbst Eisenbahnen ge¬<lb/>
baut hat, um die Communication mit dem Ausland zu befördern, seit<lb/>
tausend Wege offen stehen, um Manuscripte nach Leipzig und Ham¬<lb/>
burg zu senden; wie will man diese Sendungen überwachen? Wird diese<lb/>
Ohnmacht nicht zu einer Aenderung veranlassen ? Fordert es nicht die Würde<lb/>
des Staates, ein Gesetz, über dessen Befolgung er nicht wachen kann,<lb/>
abzuschaffen? Aber das wäre eine radicale Maßregel, und so lassen<lb/>
wir's lieber durch dick und dünn gehen, um nur Nichts zu ändern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1170"> Wiesner's Untersuchung hat bisher keine weiteren Folgen gehabt.<lb/>
Man hatte ihn rufen lassen und ihn in aller Höflichkeit gefragt, was<lb/>
ihn zur Herausgabe seines Buches bewogen habe, worauf Wiesner<lb/>
eben so ernst als ruhig antwortete: Der Drang nach Wahrheit und<lb/>
die Besorgnis?, die falschen Daten und Meinungen des Herrn Tcngo-<lb/>
borski könnten dem Staate schaden. &#x2014; Glaubten Sie, daß das Buch<lb/>
die österreichische Censur passiren würde? &#x2014; Ich zweifelte nicht daran,<lb/>
da es im patriotischen Interesse geschrieben ist. &#x2014; Und warum un¬<lb/>
terbreiteten Sie selbes nicht der Censur? &#x2014; Weil die Widerlegung<lb/>
dringend war und der Censurweg sie Monate lang hinausgeschoben<lb/>
hätte. &#x2014; Diese Antworten wurden zu Protocoll genommen. Seitdem<lb/>
ist bereits eine zweite Broschüre von Wiesner erschienen, gleichfalls<lb/>
bei Wigand. Auch Rank befindet sich seit mehreren Tagen wieder<lb/>
hier und lebt unangefochten seinen neuen Productionen. Man fühlt<lb/>
es, daß es unklug wäre, achtbare und im höheren (wenn auch nicht<lb/>
im polizeilichen) Sinne patriotische Schriftsteller zu verfolgen oder<lb/>
gar zu strafen. Die öffentliche Meinung ist zu sehr auf der Seite<lb/>
der Letzteren, und die heimliche Meinung der Censoren selbst reiht sich<lb/>
an jene öffentliche. Aber dieses laut auszusprechen, einen entschiedenen<lb/>
Schritt vorwärts zu thun und die innere bessere Ansicht als Gesetz<lb/>
zu proclamiren, dazu fehlt der Entschluß.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1171" next="#ID_1172"> Da Weber und Spinner in letzterer Zeit ein stehender Artikel in</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grcnjl'oder um.  II. HZ</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0421] mung. Die Regierung kann die Einheit herstellen und will es auch, und doch gelangt sie nicht dazu. Der Schlendrian, diese große Erb¬ krankheit, liegt uns zu sehr im Blute. Man flickt und flickt, erläßt unzählige supplementirende Jnstructionen und bedeckt den Rock mit tausend kleinen Fetzen, wahrend es doch weit weniger mühselig wäre, einen neuen Rock zu machen. Wie soll Harmonie unter den verschie¬ denen Nationalitäten Oesterreichs herrschen, wenn die Regierung, selbst bei so kleinen ungefährlichen Dingen, es unterläßt, sie herzustellen? Mit den Ccnsurgesctzen verhält es sich eben so. Diese Frage hat in letzterer Zeit den Fortschritt gemacht, daß selbst die Censuräm- ter zur Einsicht gekommen sind, wie man mit den gegenwärtigen Nor¬ men nicht mehr fortgehen könne. Das Gesetz, welches österreichischen Schriftstellern verbietet, in's Ausland zu schreiben, ist nicht mehr auf¬ recht zu halten; nicht blos vom Standpunkt des Princips, sondern es ist administrativ unmöglich, seitdem der Staat selbst Eisenbahnen ge¬ baut hat, um die Communication mit dem Ausland zu befördern, seit tausend Wege offen stehen, um Manuscripte nach Leipzig und Ham¬ burg zu senden; wie will man diese Sendungen überwachen? Wird diese Ohnmacht nicht zu einer Aenderung veranlassen ? Fordert es nicht die Würde des Staates, ein Gesetz, über dessen Befolgung er nicht wachen kann, abzuschaffen? Aber das wäre eine radicale Maßregel, und so lassen wir's lieber durch dick und dünn gehen, um nur Nichts zu ändern. Wiesner's Untersuchung hat bisher keine weiteren Folgen gehabt. Man hatte ihn rufen lassen und ihn in aller Höflichkeit gefragt, was ihn zur Herausgabe seines Buches bewogen habe, worauf Wiesner eben so ernst als ruhig antwortete: Der Drang nach Wahrheit und die Besorgnis?, die falschen Daten und Meinungen des Herrn Tcngo- borski könnten dem Staate schaden. — Glaubten Sie, daß das Buch die österreichische Censur passiren würde? — Ich zweifelte nicht daran, da es im patriotischen Interesse geschrieben ist. — Und warum un¬ terbreiteten Sie selbes nicht der Censur? — Weil die Widerlegung dringend war und der Censurweg sie Monate lang hinausgeschoben hätte. — Diese Antworten wurden zu Protocoll genommen. Seitdem ist bereits eine zweite Broschüre von Wiesner erschienen, gleichfalls bei Wigand. Auch Rank befindet sich seit mehreren Tagen wieder hier und lebt unangefochten seinen neuen Productionen. Man fühlt es, daß es unklug wäre, achtbare und im höheren (wenn auch nicht im polizeilichen) Sinne patriotische Schriftsteller zu verfolgen oder gar zu strafen. Die öffentliche Meinung ist zu sehr auf der Seite der Letzteren, und die heimliche Meinung der Censoren selbst reiht sich an jene öffentliche. Aber dieses laut auszusprechen, einen entschiedenen Schritt vorwärts zu thun und die innere bessere Ansicht als Gesetz zu proclamiren, dazu fehlt der Entschluß. Da Weber und Spinner in letzterer Zeit ein stehender Artikel in Grcnjl'oder um. II. HZ

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/421
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/421>, abgerufen am 27.07.2024.